Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Selbstverbrauchsteuer bei geringwertigen Gerüst- und Schalungsteilen

 

Leitsatz (NV)

Genormte Gerüst- und Schalungsteile, die zwar i. d. Regel zusammengesetzt verwendet werden, aber ebenso wieder voneinander gelöst oder getrennt und in anderer Zusammensetzung verwendet werden können, sind i. S. des § 6 Abs. 2 EStG a. F. selbständig nutzungsfähige Wirtschaftsgüter. Ihre Anschaffung löst keine Selbstverbrauchsteuer i. S. des § 30 UStG 1967 aus, wenn die Anschaffungskosten der Einzelteile jeweils 800 DM nicht übersteigen.

 

Normenkette

UStG 1967 § 30; EStG § 6 Abs. 2 i. d. bis 1976 geltenden Fassung

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg

 

Tatbestand

Die Klägerin betrieb ein Bauunternehmen. Den Bestand an genormten Gerüst- und Schalungsteilen erfaßte sie in ihren Bilanzen in Form eines Festwerts, die Zugänge zum Bestand verbuchte sie gewinnmindernd als Aufwand.

Das Finanzamt (Beklagter) behandelte die Zugänge an Gerüst- und Schalungsteilen in den Jahren 1968 bis 1971 als selbstverbrauchsteuerpflichtig und setzte die Umsatzsteuer wie folgt fest:

Selbstverbrauchsteuer DM Gesamtsteuer DM

1968: 8 % aus 143 294,00 = 11 463,59 .........

1969: 7 % aus 95 044,50 = 6 653,12 .........

1970: 6 % aus 229 840,00 = 13 790,40 .........

1971: 4 % aus 454 282,00 = 18 171,29 ......... .

Die Klägerin machte geltend, die Gerüst- und Schalungsteile seien als geringwertige Wirtschaftsgüter im Sinne des § 6 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes nicht selbstverbrauchsteuerbar gemäß § 30 Abs. 2 UStG 1967, hilfsweise, die Zugänge seien nicht steuerbare Ergänzungsinvestitionen zu einem Wirtschaftsgut ,,Gesamtheit der genormten und aufeinander abgestimmten Gerüst- und Schalungsteile". Die Einsprüche hatten keinen Erfolg.

Mit der Klage begründete die Klägerin ihre Auffassung, die Gerüst- und Schalungsteile seien im Sinne des § 6 Abs. 2 EStG selbständig bewertungs- und nutzungsfähig, damit, daß neben dem zunächst vorgesehenen Verwendungszweck (als Systemteile) auch eine vielfältige andere Nutzung der Einzelteile stattfinde, die in ihrem Unternehmen durchaus üblich sei. Im einzelnen führte sie folgende Verwendungen auf:

a) Schalungsstützen

Schalungsstützen würden bei Umbauarbeiten regelmäßig zur Abstützung und zur Unterfangung von Wänden, Holzbalkendecken etc. verwendet. Ihr Vorteil liege darin, daß sie relativ leicht seien und ohne Mühe in der Höhe verstellt werden könnten.

b) Kanalspindeln

Die Kanalspindeln würden ebenfalls bei Umbauarbeiten verwendet und zwar hauptsächlich zur Unterfangung von Fundamenten und Kellermauern, da hierbei die Schalungsstützen zu lang seien.

c) H-Stahlrohrgerüst

Die Leitern (2 bis 2,50 m lang) würden nicht nur als Leiteraufgänge in Verbindung mit dem Gerüst verwendet, sondern auf allen Baustellen als selbständige Anlegeleitern für alle möglichen Zwecke. Die Horizontalrahmen des Stahlrohrgerüstes seien 2,50 m lang und 1,10 m breit; ihre Tragkraft betrage 300 kg/pro qm. Damit seien sie ausgezeichnet für die Abdeckung von Kanalgräben im städtischen Kanalbau geeignet. Es könnten hiermit Fußgängerüberwege schnell und mit der erforderlichen Tragkraft hergestellt werden.

d) H-AZ-Schalung

Die Ankerstangen würden zusammen mit den Muttern als Spannelemente bei sämtlichen vorkommenden Schalungen verwendet (Schalungen einfachster Art mit losen Kanthölzern und Brettern), obwohl sie nur zum Zusammenspannen von AZ-Schalungen gedacht seien. Der Vorteil liege in der großen Tragfähigkeit dieser Spannanker, die auch bei Normalschalungen erwünscht seien.

Das Finanzgericht gab der Klage statt, soweit die Zugänge an Gerüst- und Schalungsteilen Anschaffungskosten für sogenannte Kanaldielen enthielten. Es bejahte deren Bewertungsfreiheit im Sinn des § 6 Abs. 2 EStG im Anschluß an das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 28. Juli 1976 I R 232/74 (BFHE 119, 459; BStBl II 1977, 144). Daher falle gemäß § 30 Abs. 2 UStG 1967 Selbstverbrauchsteuer insoweit nicht an. Das Finanzgericht hielt Gerüst- und Schalungsteile für nicht mit Kanaldielen vergleichbar. Als genormte Teile träten sie entsprechend ihrer primären Zweckbestimmung im Betrieb der Klägerin als Einheit auf. Es sei nicht entscheidungserheblich, daß daneben Teile erforderlichenfalls zu den von der Klägerin genannten Zwecken auch einzeln genutzt würden, wobei offenbleibe, inwieweit die Teile in den von der Klägerin genannten Beispielen einzeln oder wie z. B. bei Leitern ebenfalls wieder in einem Funktionszusammenhang mit anderen Teilen genützt würden. Der durch den Einzeleinsatz erzielbare wirtschaftliche Nutzen trete hinter das durch die zweckentsprechende Nutzung erzielbare wirtschaftliche Gesamtergebnis eindeutig zurück, so daß eine generelle selbständige Nutzungsfähigkeit nicht bejaht werden könne.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung der § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967, § 6 Abs. 2 EStG, §§ 76, 96 FGO.

Die Klägerin sieht eine Verletzung des § 76 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 sowie des § 96 Abs. 1 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung durch unrichtige, dem Inhalt der Akten widersprechende Feststellung des Sachverhalts darin: Sie habe im finanzgerichtlichen Verfahren mehrmals substantiiert die Verwendung der Gerüst- und Schalungsteile in ihrem Betrieb - außerhalb des Zusammenhangs mit anderen Anlagegegenständen - vorgetragen. Dieser Tatsachenvortrag sei nicht bestritten worden; das Finanzgericht habe ihn in seine Feststellungen aufgenommen. Das Finanzgericht habe aber die festgestellte Tatsache als unerheblich behandelt und dabei seine eigene Meinung an die Stelle der klärungsbedürftigen Tatsachen gesetzt. Der nicht beachtete Vortrag sei entscheidungserheblich, weil erst nach der Neufassung des § 6 Abs. 2 Satz 2 EStG durch Artikel 9 Nr. 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 14. Dezember 1976, BGBl I 1976, 3341 - EGAO 1977 - ein Wirtschaftsgut nur dann einer selbständigen Nutzung nicht fähig sei, ,,wenn es nach seiner betrieblichen Zweckbestimmung nur zusammen mit anderen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens genutzt werden kann".

Die Verletzung materiellen Rechts sieht die Klägerin darin, daß das Finanzgericht entgegen § 6 Abs. 2 Satz 2 EStG in seiner neuen Fassung die Frage der selbständigen Nutzungsfähigkeit eines Wirtschaftsguts (Gerüst- und Schalungsteile) nach dessen ,,vornehmlicher" bzw. üblicher Verwendungsbestimmung beurteile, statt nach der tatsächlichen Verwendung im Betrieb. Die Maßgeblichkeit der tatsächlichen Verwendung habe der Bundesfinanzhof im Urteil vom 28. Juli 1976 I R 232/74 (BFHE 119, 459; BStBl II 1977, 144) hervorgehoben. Insgesamt ergebe sich aus den Urteilen des Bundesfinanzhofs vom 13. September 1966 I 53/64 (BFHE 86, 799; BStBl III 1966, 692) - Transportwagen -, vom 28. März 1973 I R 105/71 (BFHE 109, 323; BStBl II 1974, 2) - Straßenleuchten -, vom 18. November 1975 VIII R 9/73 (BFHE 117, 243; BStBl II 1976, 214) - Schriftenminima -, und vom 28. Juli 1976 I R 232/74 (BFHE 119, 459; BStBl II 1977, 144) - Kanaldielen -, daß die Gerüst- und Schalungsteile als selbständig nutzungsfähige geringwertige Wirtschaftsgüter angesehen werden müßten.

Ferner rügt die Klägerin - übereinstimmend mit ihrem Vortrag im ersten Rechtszug -, die Auslegung des Begriffs Wirtschaftsgut durch das angefochtene Urteil widerspreche dem Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 26. November 1973 GrS 5/71 (BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132) unter Verletzung des § 30 Abs. 2 UStG 1967 i. V. m. § 6 Abs. 1 Satz 1 EStG. Halte man nämlich mit dem Finanzgericht die einzelnen Gerüst- und Schalungsteile einer eigenen selbständigen Nutzung für nicht fähig, weil sie nur im Nutzungs- und Funktionszusammenhang mit anderen Gegenständen verwendet werden könnten, so dürften sie nach diesem Beschluß (BFHE 111, 242) nicht als selbständige Wirtschaftsgüter im Sinne des § 30 Abs. 2 UStG 1967 angesehen werden. Die jährlichen Ergänzungen des Bestandes seien dann Erhaltungsaufwand, der nicht aktiviert und nicht zur Selbstverbrauchsteuer herangezogen werden dürfe.

Die Klägerin beantragte, das Urteil des Finanzgerichts aufzuheben und die Umsatzsteuer im Hinblick auf die Selbstverbrauchsteuerbeträge herabzusetzen.

Das Finanzamt beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben; die Sache war an das Finanzgericht zurückzuverweisen.

Selbstverbrauch im Sinne des § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967 lag vor, wenn ein Unternehmer körperliche Wirtschaftsgüter, die der Abnutzung unterliegen und deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten nach den einkommensteuerrechtlichen Vorschriften im Jahr der Anschaffung oder Herstellung nicht in voller Höhe als Betriebsausgaben abgesetzt werden können, im Inland der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zuführte.

Aufgrund dieser Anknüpfung an das Einkommensteuerrecht ergab sich kein Selbstverbrauch bei der Zuführung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten gemäß § 6 Abs. 2 EStG im Jahr der Anschaffung oder Herstellung in voller Höhe als Betriebsausgaben abgesetzt werden konnten.

Die für die Streitjahre 1968 bis 1971 geltende Fassung des § 6 Abs. 2 a. F. EStG bezog sich auf bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die einer selbständigen Bewertung und Nutzung fähig waren, und deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten 800 DM nicht überstiegen.

Die Frage, ob der Erwerb einer Vielzahl von einzelnen Gegenständen des beweglichen Anlagevermögens, die zusammengesetzt und wieder voneinander gelöst oder getrennt werden können, als Erwerb einzelner, selbständig nutzungsfähiger Wirtschaftsgüter im Sinne des § 6 Abs. 2 a. F. EStG oder als Erwerb eines einheitlichen Ganzen anzusehen ist, wurde im Zuge der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nach unterschiedlichen Grundsätzen beantwortet. Der V. Senat des Bundesfinanzhofs vertrat in seinem Urteil vom 23. März 1972 V R 139/71 (BFHE 105, 307; BStBl II 1972, 683) im Anschluß an das ertragsteuerrechtliche Urteil vom 29. Juli 1966 VI 302/65 (BFHE 87, 310; BStBl III 1967, 151) die Auffassung, die Zuführung von Gerüst- und Schalungsteilen sei mangels deren selbständiger Nutzungsfähigkeit im Sinne des § 6 Abs. 2 a. F. EStG selbstverbrauchsteuerpflichtig; diese seien technisch aufeinander abgestimmt und würden ihrer Bestimmung nach als einheitliches Ganzes verwendet.

Von diesen Beurteilungskriterien ist die Rechtsprechung zu § 6 Abs. 2 a. F. EStG bis zum Urteil des I. Senats des Bundesfinanzhofs vom 28. März 1973 (BFHE 109, 323, BStBl II 1974, 2) im wesentlichen ausgegangen. Dieses Urteil hat den Begriff der selbständigen Nutzungsfähigkeit weiter ausgelegt: Ein Wirtschaftsgut verliere seine selbständige Nutzungsfähigkeit nur, wenn der Nutzungszusammenhang mit anderen Wirtschaftsgütern der Einheit unauflöslich sei; das sei immer dann zu verneinen, wenn das Wirtschaftsgut ohne wesentliche Veränderung aus seinem bisherigen Nutzungszusammenhang herausgenommen und in einen anderen Nutzungszusammenhang gestellt werden könne.

Die Vorschrift des § 6 Abs. 2 a. F. EStG ist durch Artikel 9 Nr. 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 14. Dezember 1976 (BGBl I 1976, 3341, BStBl I 1976, 694) u. a. durch die Streichung des Tatbestandsmerkmals der selbständigen Bewertungsfähigkeit und durch folgende hinzugefügte Sätze ergänzt worden: ,,Ein Wirtschaftsgut ist einer selbständigen Nutzung nicht fähig, wenn es nach seiner betrieblichen Zweckbestimmung nur zusammen mit anderen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens genutzt werden kann und die in den Nutzungszusammenhang eingefügten Wirtschaftsgüter technisch aufeinander abgestimmt sind. Das gilt auch, wenn das Wirtschaftsgut aus dem betrieblichen Nutzungszusammenhang gelöst und in einen anderen betrieblichen Nutzungszusammenhang eingefügt werden kann . . ." Gemäß Artikel 102 Abs. 1 EGAO 1977 gilt diese erweiterte Gesetzesfassung ab 1. Januar 1977.

Der Bundesfinanzhof hat insbesondere mit Urteilen vom 26. Juli 1979 IV R 170/74 (BFHE 129, 315; BStBl II 1980, 176); und vom 19. Februar 1981 IV R 161/77 (BFHE 132, 559; BStBl II 1981, 652) die Meinung des Bundesministers der Finanzen abgelehnt, die einschränkende Ergänzung des Gesetzes sei nur als Klarstellung des schon bisher bestehenden Rechtszustandes anzusehen. Der Bundesfinanzhof hat die Ergänzung vielmehr für eine Gesetzesänderung gehalten, für die der Gesetzgeber keine Rückwirkung vorgeschrieben hat.

Diese abschließende Auslegung des § 6 Abs. 2 a. F. EStG ist nunmehr auch im Rahmen des § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967 maßgeblich. Da die von der Klägerin erworbenen Gerüst- und Schalungsteile zwar nur in der Regel zusammengesetzt verwendet werden, aber ebenso wieder voneinander gelöst oder getrennt und in anderer Zusammensetzung verwendet werden können, ist das Merkmal der selbständigen Nutzungsfähigkeit der einzelnen Teile im Sinne des § 6 Abs. 2 a. F. EStG zu bejahen.

Das Urteil des Finanzgerichts, das auf der früheren Auslegung der Vorschrift beruht, war aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache wird an das Finanzgericht zurückverwiesen. Es ist noch festzustellen, ob die Anschaffungskosten der einzelnen Gerüst- und Schalungsteile jeweils 800 DM nicht überstiegen. Die Klägerin trägt zwar mit der Revision vor, diese Voraussetzung sei erfüllt. Vor dem Finanzgericht hat sie jedoch bislang (mit Schreiben vom 13. April 1977) nur geltend gemacht, Angaben darüber könnten erforderlichenfalls zur Verfügung gestellt werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414091

BFH/NV 1987, 331

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