Entscheidungsstichwort (Thema)

Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern

 

Leitsatz (amtlich)

Die Grunderwerbsteuerbefreiung gemäß Artikel 1 Nr. 1 Buchstabe a des unten angeführten GrESWG kann unter Berücksichtigung der Umstände des Sonderfalles auch dann in Betracht kommen, wenn die Grundsteuervergünstigung lediglich aus verfahrensrechtlichen Gründen verspätet mit Wirkung für eine erst nach Ablauf von fünf Jahren seit dem Erwerbsvorgang beginnende Restlaufzeit gewährt worden ist.

 

Normenkette

GrESWGBY 1/1/a

 

Tatbestand

Durch notarielle Urkunden vom März 1955 / September 1956 erwarb die Klägerin ein unbebautes Grundstück. Der Erwerb wurde Anfang Oktober 1956 genehmigt. Nach Abgabe einer Verpflichtungserklärung gemäß Artikel 3 des bayerischen Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau in der Fassung vom 12. November 1958 - GrESWG - (GVBl S. 330) stellte das FA den Erwerb vorerst von der Grunderwerbsteuer gemäß Artikel 1 Nr. 1 Buchstabe a GrESWG frei. Nach Bezugsfertigkeit des Gebäudes (Mitte September 1959) beantragte die Klägerin bei der Stadtverwaltung Mitte Oktober 1960 die Anerkennung der Wohnungen als steuerbegünstigt gemäß §§ 82, 83 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II. WoBauG). Durch Anerkennungsbescheid von Mitte Dezember 1961 wurden die Wohnungen mit Wirkung ab Bezugsfertigkeit als steuerbegünstigt anerkannt. Zwischenzeitlich hatte das für die Einheitsbewertung zuständige FA durch nicht angefochtenen Bescheid von Ende August 1961 eine Art- und Wertfortschreibung des Grundstückseinheitswerts auf den 1. Januar 1960 durchgeführt und den Grundsteuermeßbetrag auf den 1. Januar 1961 aus dem vollen Einheitswert des Grundstücks einschließlich des Gebäudes veranlagt. Nach Erhalt eines entsprechenden Grundsteuerbescheids beantragte die Klägerin Mitte Dezember 1961 Grundsteuervergünstigung ab Bezugsfertigkeit. Nach Belehrung gewährte das FA durch Fortschreibungsveranlagung im Februar 1962 die Grundsteuervergünstigung mit Wirkung ab 1. April 1962 für die Restlaufzeit.

Als das für die Grunderwerbsteuer zuständige FA diesen Sachverhalt feststellte, erhob es die Grunderwerbsteuer gemäß Artikel 4 GrESWG nach, da die Grundsteuervergünstigung nicht ab dem nächstmöglichen Zeitpunkt nach Bezugsfertigkeit, also ab 1. April 1960, sondern verspätet und nach Ablauf der Fünfjahresfrist (Anfang Oktober 1961) gewährt worden sei.

Nach erfolglosem Einspruch gab das FG der Berufung durch Urteil IV 112/64 vom 1. Oktober 1965 (EFG 1966, 237) statt.

Mit der Rb. macht das FA (Beklagter) geltend, das Urteil des Senats II 89/62 vom 9. Dezember 1964 (HFR 1965, 276), das auch auf Artikel 1 Nr. 1 Buchstabe a GrESWG anwendbar sein müsse, knüpfe die Grunderwerbsteuerbefreiung an die objektive Voraussetzung der tatsächlich gewährten Grundsteuervergünstigung. Es sei also unerheblich, aus welchen Gründen die Klägerin die Grundsteuervergünstigung nicht rechtzeitig erwirkt habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. - jetzt Revision - hat keinen Erfolg. Der Senat hat nicht nur das Urteil II 79/62 U vom 25. November 1964 (BFH 81, 270, BStBl III 1965, 98) zum bremischen Gesetz über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaues von der Grunderwerbsteuer 1954 (GVBl 1954, 119) und durch Urteil II 14/62 vom selben Tag (HFR 1965, 225) zum rheinland-pfälzischen Gesetz über die Grunderwerbsteuerbefreiung beim Wohnungsbau (GVBl 1955, 21) in Verbindung mit dem I. WoBauG - wenn auch im letztgenannten Fall bei etwas differierendem Wortlaut -, sondern durch das o. a. Urteil II 89/62 und erneut durch Urteil II 92/65 vom 1. August 1967 (BStBl III 1967, 709) auch unmittelbar zu dem bayerischen GrESWG entschieden, daß die Grunderwerbsteuerbefreiung - in den beiden letztgenannten Fällen nach Artikel 1 Nr. 1 Buchstabe a und Nr. 4 Buchstabe a GrESWG - nur beansprucht werden kann, wenn die Grundsteuervergünstigung nach § 92 des II. WoBauG tatsächlich gewährt worden ist.

Der Senat hält grundsätzlich an dieser Rechtsprechung fest. Allen bisherigen Entscheidungen ist gemeinsam, daß der Grundstückserwerber im Ergebnis freiwillig auf die Grundsteuervergünstigung verzichtet hatte. Wenn es letztlich auf die Motive eines solchen Verzichts bei der insoweit nach objektiven Merkmalen gestalteten Grunderwerbsteuerbefreiung nicht ankommen kann, so darf doch nicht übersehen werden, daß der vorliegende Fall sich von den bisherigen Fällen schon im Ausgangspunkt auch objektiv wesentlich dadurch unterscheidet, daß die Klägerin von Anfang an die Grundsteuervergünstigung nach dem II. WoBauG angestrebt und nur aus verfahrensrechtlichen Gründen verspätet, nach Ablauf der Fünfjahresfrist des Artikel 4 GrESWG erhalten hat. Diese Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der grunderwerbsteuerbare Rechtsvorgang verwirklicht worden ist (vgl., wenn auch zu § 4 Abs. 2 Satz 2 GrEStG, Urteil des Senats II 114/64 vom 18. Mai 1966, BFH 86, 262, BStBl III 1966, 399, mit weiteren Nachweisen der Rechtsprechung), im Streitfall mit der Genehmigung des Grundstückserwerbs Anfang Oktober 1956, so daß auch die Voraussetzung, daß die Grundsteuervergünstigung tatsächlich gewährt sein mußte, im Regelfall zu dem auf die Bezugsfertigkeit der Wohnung folgenden, spätestens jedenfalls zu einem innerhalb der Fünfjahresfrist liegenden Zeitpunkt erfüllt sein muß.

Die Frage, ob diese Frist gewahrt ist, kann jedoch nicht allein, wie es wohl das FG meint, nach der Ausstellung des Anerkennungsbescheids (§§ 82, 83 des II. WoBauG) beurteilt werden. Denn die Entscheidung, ob die Grunderwerbsteuerfreiheit wegen tatsächlicher Inanspruchnahme der Grundsteuervergünstigung in Betracht kommt, hängt nicht allein und nicht in jedem Fall vom Vorliegen des Anerkennungsbescheids ab, wie der Senat bereits in den o. a. Urteilen II 89/62 und II 92/65 im einzelnen dargelegt hat. Insbesondere die Frage, ob dem Anerkennungsbescheid bei Beurteilung der Grunderwerbsteuerbefreiung schon deshalb rückwirkend Kraft beizulegen ist, weil die Wohnungen ausdrücklich mit Wirkung ab Bezugsfertigkeit (Mitte September 1959) als steuerbegünstigt anerkannt worden sind, braucht im vorliegenden Fall nicht geprüft zu werden, weil der Senat bereits aus anderen Gründen zu dem Ergebnis kommt, daß unter den Umständen des vorliegenden Sonderfalles die Frist als gewahrt gelten muß.

Die Klägerin hat von Anfang an die Grundsteuervergünstigung und die Grunderwerbsteuerbefreiung angestrebt. Sie hat unwidersprochen vorgetragen, sie habe ursprünglich geglaubt, mit dem notariellen Antrag sei auch der "Antrag für den sozialen Wohnungsbau ... erledigt" gewesen, jedenfalls dann aber mit dem Antrag von Mitte Oktober 1960 auf Anerkennung der Wohnungen als steuerbegünstigt gemäß § 82 des II. WoBauG. Sie hat anschließend mit Schreiben von Anfang November 1960 bei dem für die Einheitsbewertung zuständigen FA gebeten, deshalb mit der "Festsetzung der Grundsteuer" zu warten, also damals bereits noch innerhalb des Fünfjahreszeitraums (Artikel 4 GrESWG) jedenfalls auch der Finanzverwaltung gegenüber zu erkennen gegeben, daß sie Grundsteuervergünstigung wegen sozialen Wohnungsbaues begehre. Bei normalem Ablauf hätte der Mitte Oktober 1960 beantragte Anerkennungsbescheid so rechtzeitig zu einem Zeitpunkt erteilt gewesen sein können, daß die Klägerin die Grundsteuervergünstigung zumindest noch innerhalb des Fünfjahreszeitraums und noch vor Ergehen des Grundsteuermeßbescheids von Ende August 1961 hätte auch ausdrücklich beantragen können; sie hätte die Grundsteuervergünstigung möglicherweise selbst nach der damaligen Verwaltungsübung, wonach der restliche Vergünstigungszeitraum mit dem auf die Antragstellung folgenden 1. April begann (vgl. Abschnitt 14 Abs. 3 der Verwaltungsanordnung - II. WoBauG in der Fassung vom 25. August 1961, Beilage zum Bundesanzeiger Nr. 166 vom 30. August 1961, BStBl I 1961, 665), zum 1. April 1961 - also auch für Grunderwerbsteuerzwecke rechtzeitig - erhalten können. Jedenfalls hat die Klägerin unmittelbar nach Erteilung des Anerkennungsbescheids von Mitte Dezember 1961, ebenfalls noch Mitte Dezember 1961 die Grundsteuervergünstigung beantragt. Nach dem Grundsatzurteil des für die Einheitsbewertung und Grundsteuer zuständigen III. Senats des BFH III 160/60 S vom 6. September 1963 (BFH 77, 507, BStBl III 1963, 506), bei dem dieser Senat auch in weiteren Urteilen verblieben ist (vgl. Urteile III 378/60 vom 6. September 1963, HFR 1964, 48, und III 74/61 vom 28. August 1964, HFR 1965, 118), hätte der Grundsteuermeßbetrag bereits auf den Beginn des Kalenderjahrs neu veranlagt werden müssen, in dem die Grundsteuervergünstigung geltend gemacht worden war, also auf den noch innerhalb des Fünfjahreszeitraums liegenden 1. Januar 1961 mit Wirkung für die Grundsteuervergünstigung ab 1. April 1961. Dieses S-Urteil ist zwar nach Erlaß des Fortschreibungsbescheids vom Februar 1962 auf den 1. Januar 1962 mit Wirkung für die Grundsteuervergünstigung ab 1. April 1962 ergangen. Es entschied aber nur, was auch damals schon rechtens war (vgl. inzwischen Abschnitt 14 Abs. 3 Satz 4 der Neufassung der Verwaltungsanordnung - II. WoBauG durch die änderungsanordnung vom 18. Mai 1967, Bundesanzeiger Nr. 95 vom 24. Mai 1967).

Unter Würdigung der gesamten Umstände hält es der Senat für gerechtfertigt, daß die Klägerin in ihrem Sonderfall trotz gewisser Irrtümer und Versäumnisse, die auch ihr bei der Geltendmachung der Grundsteuervergünstigung unterlaufen sind, hinsichtlich der Grunderwerbsteuerbefreiung - unter Berücksichtigung des hierdurch verfolgten Zwecks der Förderung des sozialen Wohnungsbaues mit seinen Folgewirkungen für den Wohnungseigentümer - so zu stellen ist, als ob ihr, wie es Recht gewesen wäre, die ihr bereits ab 1. April 1961 zustehende Grundsteuervergünstigung auch tatsächlich bereits ab diesem Zeitpunkt gewährt worden wäre.

Demnach war die Revision zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412703

BStBl III 1967, 710

BFHE 1967, 551

BFHE 89, 551

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