Entscheidungsstichwort (Thema)

Abschreibung einer Meistergeige

 

Leitsatz (NV)

  1. Bei Instrumenten, die bereits über 100 alt sind (hier: Meistergeige) und die regelmäßig im Konzertalltag bespielt werden, kann die Restnutzungsdauer mit 100 Jahren angesetzt werden, sofern der Steuerpflichtige keine kürzere Nutzungsdauer nachweist (Bestätigung des BFH-Urteils vom 26.1.2001 VI R 26/98, BStBl II 2001, 194).
  2. Es bestehen keine Bedenken, bei neuen Meistergeigen eine typisierende Nutzungsdauer von 50 Jahren zugrunde zu legen.
 

Normenkette

EStG § 7 Abs. 1, § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 7; FGO § 96 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg (EFG 2000, 1182)

 

Tatbestand

I. Der Kläger, Revisionsbeklagte und Anschlussrevisionskläger (Kläger) bezieht als Mitglied des Orchesters beim Nationaltheater Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In der für ihn und seine Ehefrau (Heirat am 22. Juli 1991) eingereichten gemeinsamen Einkommensteuererklärung 1991 machte er u.a. eine technische Absetzung für Abnutzung (AfA) von 10 542 DM aus der Anschaffung einer Violine "Jean Baptiste Vuillaume, Paris" geltend. Die (spätere) Ehefrau des Klägers hatte das Instrument am 27. Januar 1991 für 115 000 DM erworben. In dem Kaufvertrag wird festgestellt: "Das Instrument befindet sich, wie besehen, in einwandfreiem Zustand. Expertisen zu dieser Geige (Machold, Schweizer Expertenkammer, Vatelot) sind vorhanden und werden von mir zugesandt. … Das Instrument ist in allen Teilen Original." Mit weiterem Kaufvertrag vom 30. Januar 1991 veräußerte die spätere Ehefrau das Instrument zum gleichen Preis an den Kläger.

Der Beklagte, Revisionskläger und Anschlussrevisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) schätzte die technische Nutzungsdauer der aus der Zeit um 1855 bis 1860 stammenden Geige auf 100 Jahre und berücksichtigte in dem Einkommensteuerbescheid 1991 vom 22. November 1993 AfA in Höhe von 1 150 DM.

Das Finanzgericht (FG) hielt die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 1182 aufgeführten Gründen für teilweise begründet.

Mit seiner dagegen gerichteten Revision rügt das FA die Verletzung von Bundesrecht und des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 i.V.m. § 7 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sowie des § 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 162 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977).

Das FA beantragt sinngemäß, unter Zurückweisung der Revision des Klägers und unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des FG Baden-Württemberg vom 18. Juli 2000 13 K 30/95 die Klage als unbegründet zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben, der Klage stattzugeben und entsprechend dem Antrag aus der mündlichen Verhandlung vom 18. Juli 2000 eine Abschreibungsdauer von 30 Jahren zugrunde zu legen.

 

Entscheidungsgründe

II. 1. Die Revision des FA ist begründet, soweit das FG nur einen Absetzungszeitraum von 50 Jahren zugrunde gelegt hat. Die Vorentscheidung war deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).

a) Wie der Senat bereits entschieden hat, kann bei Instrumenten, die bereits über 100 Jahre alt sind (hier: Meistergeige) und die regelmäßig im Konzertalltag bespielt werden, die Restnutzungsdauer mit 100 Jahren angesetzt werden, sofern der Steuerpflichtige keine kürzere Nutzungsdauer darlegt und nachweist bzw. zumindest glaubhaft macht. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das Senatsurteil vom 26. Januar 2001 VI R 26/98 (BFHE 195, 140, BStBl II 2001, 194) verwiesen. Nach den Feststellungen des FG, an die das Revisionsgericht gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), handelt es sich um die Anschaffung einer wertvollen Geige (Kaufpreis 115 000 DM), und zwar um eine Violine "Jean Baptiste Vuillaume, Paris", die aus der Zeit um 1855 bis 1860 stammt. Diese Geige wird auch vom Kläger als Berufsmusiker im regelmäßigen Konzertalltag bespielt, sodass nach der o.a. Entscheidung des Bundesfinanzhofs ―BFH― (BFHE 195, 140, BStBl II 2001, 194) von einer Restnutzungsdauer von 100 Jahren auszugehen ist.

Eine kürzere Nutzungsdauer hat der Kläger nach den Ausführungen des FG weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht. Das FG hat darauf hingewiesen, es sei nicht nachvollziehbar, nach welchen Maßstäben der vom Kläger beauftragte Geigenbaumeister B dem Instrument des Klägers nur eine technische Nutzungsdauer von 15 bis 20 Jahren, maximal jedoch 30 Jahren, zugestanden habe; es hat daraus gefolgert, dass es sich mangels irgendwelcher Belegtatsachen nur um eine willkürliche Schätzung handele. Die vom FG vorgenommene Gesamtwürdigung ist jedenfalls möglich, wenn nicht sogar zwingend. Ein Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze kann der Gesamtwürdigung nicht entnommen werden (vgl. dazu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 118 Rz. 54), zumal keine Tatsachen bzw. Umstände, die eine kürzere Nutzungsdauer belegt hätten, vom Kläger dargelegt worden sind.

Wie der Senat im Urteil in BFHE 195, 140, BStBl II 2001, 194 ausgeführt hat, bestehen zwar keine Bedenken, bei neuen Meistergeigen mit der Vorinstanz eine typisierende Nutzungsdauer von 50 Jahren zugrunde zu legen. Eine Orientierung an diesem Zeitraum hält der Senat allerdings dann für unzulässig, wenn es sich um Instrumente handelt, die bereits über 100 Jahre alt sind und die regelmäßig im Konzertalltag bespielt werden. Bei derartigen Unikaten ―wie im Streitfall― würde eine Schätzung der Restnutzungsdauer mit 50 Jahren zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führen.

b) Die Sache ist spruchreif. Ausgehend von einer Nutzungsdauer von 100 Jahren ergibt sich ein AfA-Satz von jährlich 1 v.H., was im Streitfall eine jährliche AfA in Höhe von 1 150 DM bedeutet; Bemessungsgrundlage für die AfA sind die Anschaffungskosten in Höhe von 115 000 DM (vgl. BFH-Urteil vom 26. Januar 2001 VI R 165/98, BFH/NV 2001, 897).

2. Die Anschlussrevision des Klägers ist zwar zulässig, da sie innerhalb eines Monats nach der Zustellung der Revisionsbegründung eingelegt und begründet worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 9. Mai 2000 VIII R 77/97, BFHE 192, 445, BStBl II 2000, 660), sie ist aber unbegründet. Die Anschlussrevision war daher aus den vorstehenden Gründen (s. II. 1.) zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 732073

BFH/NV 2002, 787

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