Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestandskräftige Bescheidsänderung während des Revisionsverfahrens

 

Leitsatz (NV)

  1. Bei Änderung des angefochtenen Steuerbescheids während des Revisionsverfahrens - nach einer Außenprüfung hinsichtlich anderer Punkte - wird der Änderungsbescheid nur auf Antrag des Klägers Gegenstand des Verfahrens. Stellt der Kläger diesen Antrag nicht und legt er auch keinen Einspruch gegen den Änderungsbescheid ein, so daß dieser Bescheid bestandskräftig wird, entfällt das Rechtsschutzinteresse für das Revisionsverfahren gegen den ursprünglich angefochtenen Steuerbescheid; die Revision ist dann als unzulässig zu verwerfen.
  2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Antragsfrist nach § 68 Satz 2 FGO setzt voraus, daß der Wiedereinsetzungsantrag innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO gestellt wurde. Wegen Versäumung dieser Zweiwochenfrist Wiedereinsetzung zu gewähren entfällt von vornherein, wenn der Prozeßbevollmächtigte der Kläger rechtsirrtümlich die Antragstellung gemäß § 68 FGO nicht für erforderlich gehalten hat; das Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten müssen sich die Kläger zurechnen lassen.
 

Normenkette

AO 1977 § 164 Abs. 2, § 355 Abs. 1; FGO §§ 68, 123 S. 2, § 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1, § 155; ZPO § 85 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG des Landes Brandenburg (EFG 1996, 167)

 

Tatbestand

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1991 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden.

Der Kläger ist Inhaber einer Firma für ... und .... Das Unternehmen war im Jahre 1972 in Volkseigentum übergeleitet worden und wurde als Struktureinheit im volkseigenen Betrieb Stadtbau geführt. Auf der Grundlage des Gesetzes über die Gründung und Tätigkeit privater Unternehmen und über Unternehmensbeteiligungen vom 7. März 1990 --ReprivG-- (Gesetzblatt der DDR --GBl DDR-- I 1990, 141) wurde das Unternehmen ab dem 1. Juli 1990 reprivatisiert. Für das Jahr 1990 gewährte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) eine Steuerbefreiung gemäß § 3 der ersten Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Gründung und Tätigkeit privater Unternehmen und über Unternehmensbeteiligungen (1. DV-ReprivG).

Für das Streitjahr 1991 setzte das FA die Einkommensteuer fest, ohne die Steuerbefreiung für reprivatisierte Unternehmen gemäß § 3 Abs. 1 1. DV-ReprivG zu gewähren. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 167 veröffentlicht.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Im Laufe des Revisionsverfahrens hat das FA im Anschluß an eine Außenprüfung gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) den Änderungsbescheid für 1991 vom 19. Februar 1999 unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung erlassen. Nach den nicht bestrittenen Angaben des FA enthielt die Originalausfertigung des Bescheids den Hinweis nach § 68 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FA übermittelte eine Abschrift des Bescheids dem Bundesfinanzhof (BFH) mit dem Hinweis, daß die Kläger keinen Einspruch eingelegt und --jedenfalls beim FA-- keinen Antrag nach § 68 FGO gestellt haben. Nachdem die Geschäftsstelle des erkennenden Senats den Schriftwechsel des FA den Klägern am 20. Juli 1999 zur Stellungnahme zugeleitet hatte, beantragten die Kläger mit Schriftsatz vom 11. August 1999, vorsorglich den Bescheid gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens zu machen und hinsichtlich der Versäumung der Antragsfrist des § 68 Satz 2 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO).

Zur Begründung wird ausgeführt: Da der im Revisionsverfahren befindliche streitige Sachverhalt von den Feststellungen der zwischenzeitlich durchgeführten Betriebsprüfung nicht betroffen sei, habe es keines Antrags nach § 68 FGO bedurft. Ungeachtet dessen sei dem Bürovorsteher des Prozeßbevollmächtigten (Pb), Steuerberater A, ein Büroversehen unterlaufen. Organisationsmäßig würden Klageverfahren und deren Stand auf einem Aktenvorblatt dokumentiert. Steuerberater A habe den auf dem Aktenvorblatt befindlichen Vermerk bezüglich des anhängigen Revisionsverfahrens beim Bescheidabgleich mit dem Betriebsprüfungsbericht übersehen. Aus welchem Grunde dieser Hinweis übersehen wurde, sei nicht nachvollziehbar.

Von dem Schreiben vom 20. Juli 1999 der Geschäftsstelle des Senats, mit dem die Abschriften des FA nebst Anlagen dem Pb zugeleitet worden seien, habe dieser erst am 9. August 1999 Kenntnis erlangt, da er vom 14. Juli bis 8. August 1999 in Urlaub gewesen sei und daher die Antragsfrist ohne Verschulden nicht habe einhalten können. Im übrigen habe das FA im Änderungsbescheid den Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 AO 1977 aufgehoben, ohne vorher rechtliches Gehör zu gewähren. Darin liege ein weiterer Grund für die Wiedereinsetzung.

Die Kläger beantragen, zum Teil sinngemäß, das Urteil des FG sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 1991 vom 19. Februar 1999 in der Weise zu ändern, daß die Einkünfte aus Gewerbebetrieb unberücksichtigt bleiben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unzulässig und daher durch Beschluß zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO). Denn nach Ergehen des geänderten Einkommensteuerbescheids 1991 vom 19. Februar 1999 fehlt wegen dessen Bestandskraft den Klägern das Rechtsschutzbedürfnis.

1. Wird wie im Streitfall der angefochtene Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt, so wird dieser nach § 68 Satz 1 FGO --nur-- auf Antrag des Klägers Gegenstand des Verfahrens. Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des neuen Verwaltungsakts zu stellen (§ 68 Satz 2 FGO). Diese Regelung gilt auch im Revisionsverfahren beim BFH (§§ 121, 123 Satz 2 FGO; vgl. BFH-Beschluß vom 12. September 1996 III R 170/90, BFH/NV 1997, 242).

Nachdem die Kläger sowohl die Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 1 AO 1977) als auch die Antragsfrist nach § 68 Satz 2 FGO ungenutzt haben verstreichen lassen, ist der angefochtene Einkommensteuerbescheid 1991 in der Form und mit dem Inhalt der unter dem 19. Februar 1999 vorgenommenen Änderung in Bestandskraft erwachsen; der ursprünglich angefochtene Bescheid (vom 28. Februar 1994) kann daher keine Wirkung gegen die Kläger mehr entfalten (vgl. ständige Rechtsprechung seit Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231, 233). Für das Revisionsverfahren gegen den ursprünglich angefochtenen Einkommensteuerbescheid ist das Rechtsschutzbedürfnis nachträglich entfallen, die Revision mithin unzulässig (vgl. BFH-Beschlüsse vom 10. Oktober 1994 IV R 26/91, BFH/NV 1995, 245; vom 14. März 1996 XI B 121/91, BFH/NV 1996, 630; in BFH/NV 1997, 242; vom 6. April 1998 III B 74/96, BFH/NV 1998, 1489).

2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Antragsfrist des § 68 Satz 2 FGO kommt nicht in Betracht.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nach § 56 FGO auf Antrag (Abs. 1) und/oder durch Nachholung der versäumten Rechtshandlung (Abs. 2 Satz 3, 4) demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist (hier: die Antragsfrist des § 68 Satz 2 FGO) einzuhalten; der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen und zu begründen (Abs. 2 Satz 1). Er erfordert eine substantiierte in sich schlüssige Darstellung der für die Wiedereinsetzung erheblichen Tatsachen innerhalb dieser Zweiwochenfrist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 26. November 1997 X R 78/97, BFH/NV 1998, 711; vom 14. Oktober 1998 X R 87/97, BFH/NV 1999, 621; vom 13. November 1998 X R 31/97, BFH/NV 1999, 941). Daran fehlt es im Streitfall. Denn innerhalb der Zweiwochenfrist nach Wegfall des Hindernisses (hier: nach Kenntnisnahme von der Fristversäumnis am 15. Juli 1999) haben die Kläger bzw. ihr Pb weder den Antrag nach § 68 FGO noch einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Die Anträge wurden vielmehr erst mit Schriftsatz vom 11. August 1999 und damit verspätet gestellt.

Selbst wenn man in dem Schriftsatz des Pb vom 11. August 1999 (konkludent) einen weiteren, zweiten Wiedereinsetzungsantrag wegen urlaubsbedingter Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist für den ersten Wiedereinsetzungsantrag sieht, sind die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung insoweit nicht substantiiert und schlüssig dargetan. Hat der Pb einen Antrag nach § 68 FGO nicht für erforderlich gehalten, waren weder die fehlerhafte Fristenkontrolle noch die Urlaubsabwesenheit ursächlich für die unterlassene Antragstellung. Insoweit ist regelmäßig von einem nicht unverschuldeten Rechtsirrtum auszugehen, wenn ein Steuerberater als Prozeßbevollmächtigter --trotz ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung-- einen Antrag nach § 68 FGO nicht stellt in der Annahme, dies sei nicht notwendig, da der im Revisionsverfahren befindliche streitige Sachverhalt durch die dem Änderungsbescheid zugrundeliegenden Feststellungen der Betriebsprüfung nicht betroffen sei (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. Mai 1996 X B 166/95, BFH/NV 1996, 771, und vom 30. September 1998 X B 81/98, BFH/NV 1999, 492). Dieses Verschulden des Pb müssen sich die Kläger zurechnen lassen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 424720

BFH/NV 2000, 443

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