Leitsatz (amtlich)

Erledigt sich bei einer Klage, über die nach dem bei der letzten mündlichen Verhandlung geltenden Recht zu entscheiden wäre, die Hauptsache durch eine Rechtsänderung zuungunsten einer Partei, so entspricht es billigem Ermessen, dieser Partei die Verfahrenskosten aufzuerlegen, auch wenn sie ohne die Rechtsänderung obgesiegt hätte.

 

Normenkette

FGO § 138 Abs. 1

 

Tatbestand

Am 18. April 1972 beantragte die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Sendung von Rum aus Trinidad zu ihrem offenen Zollager abzufertigen. Das ZA lehnte den Antrag am 16. Mai 1972 unter Berufung auf § 15 Abs. 1 Nr. 1 ZG mit der Begründung ab, der Einfuhr der Ware stehe ein Einfuhrverbot entgegen, da sie nicht als Rum i. S. des § 3 des BranntwMonG anzusehen sei. Nach erfolgloser Beschwerde erhob die Klägerin Klage mit dem Antrag, die den Zollantrag zurückweisende Verfügung des ZA und die Beschwerdeentscheidung der OFD aufzuheben sowie den Beklagten und Revisionskläger (HZA) zu verurteilen, dem Zollantrag stattzugeben. Die Klage hatte Erfolg.

Im Revisionsverfahren erklärten beide Seiten die Hauptsache für erledigt und beantragten jeweils, der Gegenseite die Kosten aufzuerlegen. Die Erledigung beruht auf folgendem: Mit Bekanntmachung vom 8. April 1976 (BAnz Nr. 74 vom 15. April 1976) erteilte die Bundesmonopolverwaltung eine allgemeine Einfuhrbewilligung u. a. für Trinkbranntwein in trinkfertigem Zustand, der aus einem assoziierten überseeischen Land eingeführt wird. Die Klägerin stellte am 17. Mai 1976 erneut den Antrag auf Abfertigung der Ware zu ihrem offenen Zollager. Das ZA entsprach dem Antrag.

 

Entscheidungsgründe

Nach den übereinstimmenden Erklärungen der Parteien ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Der erkennende Senat hat daher nach § 138 FGO durch Beschluß über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Danach sind die Kosten dem HZA aufzuerlegen.

Die Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 FGO sind nicht gegeben. Es ist nicht der angefochtene Verwaltungsakt - die Zurückweisung des ursprünglichen Zollantrags - zurückgenommen oder geändert worden, sondern die Klägerin hat einen neuen Zollantrag gestellt, aufgrund dessen die Verwaltung die Ware zum offenen Zollager abgefertigt hat. Der Senat hat daher nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu entscheiden (§ 138 Abs. 1 FGO). Die Ermessensausübung durch das Gericht muß danach der Billigkeit entsprechen. Dabei kann aber nicht außer acht gelassen werden, wie die Kostenentscheidung nach dem Gesetz hätte lauten müssen, wenn der Prozeß fortgesetzt worden wäre. Wäre das der Fall gewesen, so wäre das HZA unterlegen. Es entspricht daher billigem Ermessen, dem HZA die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Es geht um eine Anfechtungsklage (Aufhebung der den Zollantrag zurückweisenden Verfügung), gekoppelt mit einer Verpflichtungsklage (Verurteilung des HZA, dem Zollantrag stattzugeben). Dabei verfolgt der Aufhebungsantrag offensichtlich nur den unselbständigen Zweck, durch Aufhebung des ablehnenden Bescheids den Weg zur Vornahme des begehrten Verwaltungsakts freizumachen. In einem solchen Fall ist der Beurteilung die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder - bei schriftlicher Entscheidung - der diesem gleichzusetzende Zeitpunkt zugrunde zu legen (vgl. Urteil des BVerwG vom 1. Dezember 1955 I C 81.53, BVerwGE 3, 21; Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. bis 6. Aufl., § 100 FGO Anm. 30; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., § 101 FGO Anm. 4). Im Verfahren eingetretene Rechtsänderungen sind also zu berücksichtigen. Das gilt auch für das Revisionsverfahren; auch das Revisionsgericht ist gehalten, den neu eingetretenen Rechtszustand bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen (vgl. BVerwG-Entscheidung vom 17. Dezember 1954 V C 97.54, BVerwGE 1, 291).

Im vorliegenden Fall ist die Kostenentscheidung unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstands zu treffen. Maßgebender Zeitpunkt dafür ist der Zeitpunkt nach Erledigung der Hauptsache, d. h. der Zeitpunkt der letzten Erledigungserklärung der Beteiligten (21. Juli 1976). Zu diesem Zeitpunkt war bereits eine Änderung der maßgebenden Rechtslage durch den Erlaß der Bekanntmachung vom 8. April 1976 der Bundesmonopolverwaltung eingetreten; denn dadurch ist das gesetzliche Einfuhrverbot des § 3 BranntwMonG für die streitbefangene Ware aufgehoben worden. Hätte sich die Hauptsache nicht erledigt, so wäre die Entscheidung des erkennenden Senats unter Berücksichtigung der Bekanntmachung zu treffen gewesen. Danach hätte - wie sich bei der im Rahmen einer Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 FGO erforderlichen nur summarischen Prüfung ergibt - die Revision des HZA zurückgewiesen werden müssen, weil das FG im Ergebnis zu Recht (zumindest nach der neuen Rechtslage) die Verwaltung zur Vornahme des von der Klägerin begehrten Verwaltungsaktes verpflichtet hatte.

Dagegen kann nicht mit Erfolg eingewendet werden, daß das HZA ohne die Änderung der Rechtslage u. U. obgesiegt hätte. Zwar ist die Änderung der Rechtslage ohne Zutun des HZA eingetreten; sie war auch nicht ohne weiteres vorhersehbar. Aber darauf kann es nicht ankommen. In Rechtsstreiten, bei denen wie hier die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder eines gleichzusetzenden Zeitpunkts maßgebend ist, muß bei einer Neuregelung zuungunsten einer Partei vor diesem Zeitpunkt stets auch zu deren Ungunsten entschieden und müssen ihr die Kosten kraft Gesetzes (§ 135 Abs. 1 FGO) auferlegt werden, ohne daß es darauf ankäme, ob diese Partei bis zur Rechtsänderung im Recht gewesen ist. Das ist Ausfluß des allgemeinen Prozeßrisikos, das in Fällen, in denen der Erfolg auch von in der Zukunft liegenden unbekannten Faktoren abhängt, zwangsläufig höher ist als sonst. Folgerichtig wäre es dann aber im Rahmen einer isolierten Kostenentscheidung unbillig, nicht nach dem gleichen Grundsatz zu entscheiden.

Diese Entscheidung entspricht im Ergebnis dem Beschluß des BFH vom 24. September 1970 II R 101/69 (BFHE 100, 293, BStBl II 1971, 3). Der II. Senat hatte darin entschieden, daß die Behörde die Verfahrenskosten zu tragen hat, wenn ein Rechtsstreit nach Aufhebung des angefochtenen Steuerbescheids wegen rückwirkender Erweiterung einer Befreiungsvorschrift in der Hauptsache erledigt ist. Zum im wesentlichen gleichen Ergebnis ist auch das BVerwG in seinen Entscheidungen vom 17. Mai 1966 II C 66.64 (Die öffentliche Verwaltung 1966 S. 654) und vom 13. Oktober 1967 VII B 3.64 (StRK, Finanzgerichtsordnung, § 143, Rechtsspruch 7) gelangt. In den dort entschiedenen Fällen hatte sich der Rechtsstreit dadurch erledigt, daß das BVerfG die im Rechtsstreit umstrittene Vorschrift für verfassungswidrig erklärt hatte. Das BVerwG entschied, daß die Kosten des Rechtsstreits die Behörde zu tragen habe, die sich auf die verfassungswidrige Vorschrift gestützt habe, und zwar unabhängig davon, ob die Behörde Erfolg gehabt hätte, wenn die streitige Vorschrift verfassungsmäßig gewesen wäre. Das entspreche, so meinte das BVerwG, der Billigkeit, denn die Klage hätte zum Erfolg geführt, da die maßgebende Vorschrift verfassungswidrig gewesen sei.

In Rechtsprechung und Schrifttum wird zum Teil die Auffassung vertreten, bei Erledigung durch Rechtsänderung während des Rechtsstreits entspreche es billigem Ermessen, die Verfahrenskosten jenem Beteiligten aufzuerlegen, der unterlegen wäre, wenn die Rechtsänderung nicht eingetreten wäre, oder wenigstens die Kosten zu teilen (vgl. Hübschmann-Hepp-Spitaler, a. a. O., § 138 FGO Anm. 18 und 19; Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 22. September 1972 I B 459/72, Monatsschrift für Deutsches Recht 1973 S. 614, StRK, Finanzgerichtsordnung, § 138, Rechtsspruch 66, jeweils mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Schrifttum). Es kann hier unentschieden bleiben, ob dieser Auffassung oder der - insbesondere im verwaltungsrechtlichen Schrifttum überwiegend vertretenen - Gegenmeinung zu folgen ist (vgl. Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 6. Aufl., § 161 Anm. 13; Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl., § 161 Anm. 5, und das dort zitierte Schrifttum). Jedenfalls unterscheidet diese Auffassung nicht genügend, ob der Entscheidung, hätte sich die Hauptsache nicht erledigt, die Rechtslage zur Zeit des Erlasses der angefochtenen Verwaltungsentscheidung oder die Rechtslage zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung zugrunde zu legen ist. Für den letzteren Fall jedenfalls wäre es unbillig, die Partei, zu deren Gunsten die Rechtsänderung eingetreten ist, auch nur einen Teil der Kosten tragen zu lassen, da sie, wäre der Prozeß fortgesetzt worden, diesen mit der sich aus dem Gesetz ergebenden Kostenfolge ohne Kostennachteile gewonnen hätte (so auch Koehler, Verwaltungsgerichtsordnung, § 161 Anm. B IV 6).

 

Fundstellen

Haufe-Index 71644

BStBl II 1976, 686

BFHE 1977, 407

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