Entscheidungsstichwort (Thema)

Sog. Grenzübertrittsbescheinigung kindergeldrechtlich nicht ausreichend

 

Leitsatz (NV)

1. Eine von der Ausländerbehörde ausgestellte sog. Grenzübertrittsbescheinigung, in der ein Datum genannt ist, bis zu dem ein Ausländer die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen hat, kann nicht einer Duldung gleichgesetzt werden, die nach § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a EStG Voraussetzung für die spätere Gewährung von Kindergeld ist.

2. Es ist höchstrichterlich geklärt, dass es für die Kindergeldberechtigung auf den "Besitz" einer ausreichenden ausländerrechtlichen Aufenthaltsgenehmigung oder eines aufenthaltsrechtlichen Titels ankommt und nicht darauf, ob ein Anspruch auf eine entsprechende Genehmigung bzw. einen entsprechenden Titel besteht.

 

Normenkette

AufenthG § 23 Abs. 1, § 25 Abs. 5; FGO § 74; EStG § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b; GG Art. 100 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG München (Urteil vom 04.06.2008; Aktenzeichen 10 K 1953/07; EFG 2008, 1978)

 

Tatbestand

I. Die aus dem ehemaligen Jugoslawien stammende Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betrieb nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) zunächst erfolglos ein Asylverfahren. Danach war sie im Besitz eines von der Ausländerbehörde ausgestellten, als "Ausreiseaufforderung und Grenzübertrittsbescheinigung für Ausländer" bezeichneten Schreibens, aus dem hervorgeht, dass die Klägerin verpflichtet war, die Bundesrepublik bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verlassen. Bei einem Verlassen des Bundesgebiets hätte der Grenzübertritt von der Grenzpolizei bescheinigt werden sollen. Das Ausreisedatum wurde mehrfach hinausgeschoben. Im April 2005 erhielt die Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), im März 2007 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG.

Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) hatte zunächst Kindergeld für vier Kinder festgesetzt. Durch Bescheid vom 30. März 2007 hob sie die Festsetzung für die Monate Januar bis Oktober 2006 auf und forderte einen Betrag von 6 410 € zurück, da die Klägerin in diesem Zeitraum keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hatte. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) führte im Wesentlichen aus, die Klägerin habe im streitigen Zeitraum zwar eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG besessen, sie habe jedoch nicht die Voraussetzung eines rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalts in der Bundesrepublik von mindestens drei Jahren erfüllt (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Die Grenzübertrittsbescheinigung könne nicht einer Gestattung oder Duldung gleichgesetzt werden. Auch stehe der Klägerin kein Kindergeld nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 (BGBl II 1969, 1438) i.d.F. des Änderungsabkommens vom 30. September 1974 (BGBl II 1975, 390) zu, da in der Kundenhistorie der Arbeitsagentur für die Monate Januar bis Oktober 2006 kein Erwerbseinkommen berücksichtigt worden sei. Leistungen der Kranken- oder Arbeitslosenversicherung habe die Klägerin nicht bezogen.

Zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Ausländerbehörde habe ihr nach Abschluss des Asylverfahrens mehr als vier Jahre lang sog. Grenzübertrittsbescheinigungen ausgestellt. Sowohl das Bundesverwaltungsgericht als auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hätten in mehreren Entscheidungen hervorgehoben, dass es der Konzeption des Ausländergesetzes (AuslG 1990) entspreche, einen vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer entweder abzuschieben oder ihn nach § 55 Abs. 2 AuslG 1990 zu dulden. Bei der Grenzübertrittsbescheinigung handele sich um ein von der Verwaltungspraxis "erfundenes" Schriftstück. Die Ausländerbehörde wäre verpflichtet gewesen, eine Duldung oder sogar eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG 1990 zu erteilen. Jedenfalls sei die faktische Hinnahme des Aufenthalts der Klägerin über einen Zeitraum von mehr als vier Jahren einem geduldeten Aufenthalt gleichzusetzen. Diesem Umstand komme grundsätzliche Bedeutung zu. Die Rechtsfrage, die für eine Vielzahl von Fällen von Bedeutung sei, sei bislang noch nicht durch den Bundesfinanzhof (BFH) geklärt worden. Im Übrigen werde angeregt, die Sache im Hinblick auf die Vorlagebeschlüsse des FG Köln vom 9. Mai 2007  10 K 1690/07 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2007, 1247) sowie 10 K 1689/07 (Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2008, 160) dem BVerfG vorzulegen.

 

Entscheidungsgründe

II. 1. Das Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist nicht im Hinblick auf die Vorlagebeschlüsse des FG Köln in EFG 2007, 1247 sowie in DStRE 2008, 160 entsprechend § 74 FGO auszusetzen. Der Senat hat zur Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung Kindergeldberechtigung von Ausländern in § 62 Abs. 2 EStG Stellung genommen und ausgeführt, weshalb er die vom FG Köln in den beiden Beschlüssen vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht teilt (Urteile vom 15. März 2007 III R 93/03, BFHE 217, 443, BFH/NV 2007, 1234, sowie III R 54/05, BFH/NV 2007, 1298; vom 22. November 2007 III R 54/02, BFHE 220, 45, BFH/NV 2008, 457; III R 63/04, BFH/NV 2008, 771, sowie III R 60/99, BFHE 220, 39, BFH/NV 2008, 846).

Eine Aussetzung des Verfahrens nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes --wie von der Klägerin angeregt--, um eine Entscheidung des BVerfG einzuholen, kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil im Verfahren wegen Nichtzulassung der Revision eine Vorlage an das BVerfG nicht möglich ist.

2. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die von der Klägerin --sinngemäß-- aufgeworfene Rechtsfrage, ob eine über mindestens drei Jahre hinweg verlängerte sog. Grenzübertrittsbescheinigung kindergeldrechtlich einer Duldung gleichzusetzen ist, könnte in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden, da die weiteren Voraussetzungen nach § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG nicht erfüllt sind. Hiernach hängt die Kindergeldberechtigung eines Ausländers, der im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ist, u.a. davon ab, dass er im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt. Die Klägerin war im streitigen Zeitraum nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt und bezog auch keine Leistungen nach dem SGB III; die Inanspruchnahme von Elternzeit wurde nicht behauptet.

Unabhängig hiervon ist die Rechtsfrage, die nach Ansicht der Klägerin in einem Revisionsverfahren beantwortet werden sollte, durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits geklärt. Der BFH hat entschieden, dass für die Kindergeldberechtigung der "Besitz" einer ausreichenden ausländerrechtlichen Aufenthaltsgenehmigung nach dem AuslG 1990 oder eines aufenthaltsrechtlichen Titels nach dem AufenthG entscheidend ist und es nicht darauf ankommt, ob ein Anspruch auf eine entsprechende Genehmigung bzw. einen entsprechenden Titel besteht (s. BFH-Beschlüsse vom 18. Dezember 1998 VI B 221/98, BFHE 187, 562, BStBl II 1999, 140; vom 14. August 1997 VI B 43/97, BFH/NV 1998, 169; vom 1. Dezember 1997 VI B 147/97, BFH/NV 1998, 696, und vom 18. Februar 2009 III B 132/08, BFH/NV 2009, 922).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2226204

BFH/NV 2009, 1811

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