Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeitsvoraussetzungen der NZB; erneute Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage; Bezeichnung der Divergenz

 

Leitsatz (NV)

1. Die Rechtsfrage, ob sich eine tatsächliche Einigung zwischen Finanzamt und Steuerpflichtigen nicht nur auf Tatsachen, sondern auch auf Rechtsfragen beziehen kann, ist bereits geklärt. Vereinbarungen sind grundsätzlich nur über eine bestimmte steuerliche Behandlung von Sachverhalten zulässig, nicht aber über das anzuwendende Recht. Die erneute Klärungsbedürftigkeit der Frage wird nicht dargetan, wenn sich der Beschwerdeführer im wesentlichen nur darauf beruft, Teile der Literatur und die Rechtsprechung einiger Finanzgerichte hielten auch eine Einigung in bezug auf Rechtsfragen für zulässig, und er sich mit der zitierten Rechtsprechung nicht substantiiert befaßt.

2. Für eine Abweichung i. S. von §115 Abs. 2 Nr. 2 FGO ist nicht erforderlich, daß das FG in den Urteilsgründen ausdrücklich einen allgemeinen von der Rechtsprechung des BFH abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat. Ein allgemeiner Rechtssatz kann auch in scheinbar nur fallbezogenen Ausführungen des FG enthalten sein. Die Abweichung ist in diesem Fall nur dann ausreichend bezeichnet i. S. von §115 Abs. 3 Satz 3 FGO, wenn der Beschwerdeführer kenntlich macht, aus welchen fallbezogenen Ausführungen sich der konkludent aufgestellte Rechtssatz ergibt.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, Abs. 3 S. 3

 

Gründe

Die Beschwerde ist nicht zulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen (§115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

1. Die von den Klägern in der Beschwerdeschrift behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht schlüssig dargelegt.

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. von §115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und Handhabung des Rechts betrifft. Es muß sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 27. Juni 1985 I B 23/85, BFHE 144, 133, BStBl II 1985, 605). Diese grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache muß in der Beschwerdeschrift dargelegt werden (§115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Dazu reicht die bloße Behauptung, die Streitsache habe grundsätzliche Bedeutung, nicht aus. Erforderlich ist vielmehr die schlüssige und substantiierte Darlegung der bezeichneten Voraussetzungen für das Vorliegen einer grundsätzlichen Bedeutung. Der Beschwerdeführer muß dabei konkret auf die Rechtsfrage und auf ihre Klärungsbedürftigkeit sowie auf ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingehen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479, und vom 31. März 1995 XI B 151/94, BFH/NV 1995, 1071).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdeschrift nicht. Die Kläger haben mit der Frage, ob sich eine tatsächliche Einigung zwischen Finanzamt und Steuerzahler nicht nur auf Tatsachen, sondern auch auf Rechtsfragen beziehen könne, zwar eine konkrete Rechtsfrage herausgestellt. Sie haben aber die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage nicht ausreichend dargetan. Die herausgestellte Rechtsfrage ist bereits geklärt, und die erneute Klärungsbedürftigkeit wurde in der Beschwerdeschrift nicht dargelegt. Nach der Rechtsprechung des BFH sind Vereinbarungen zwischen Steuerpflichtigen und zuständiger Finanzbehörde über eine bestimmte (steuerliche) Behandlung von Sachverhalten, die der Besteuerung -- insbesondere in Schätzungsfällen -- zugrunde zu legen sind, grundsätzlich zulässig. Unzulässig sind hingegen Vereinbarungen über das anzuwendende Recht. Die Grundlage einer tatsächlichen Verständigung liegt in dem bestehenden, konkreten Steuerrechtsverhältnis zwischen Steuerpflichtigen und Finanzamt. Ihre Bindungswirkung beruht auf dem auch im Steuerrechtsverhältnis geltenden Grundsatz von Treu und Glauben, wonach jeder Beteiligte auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nehmen muß und sich zu seinem eigenen früheren (nachhaltigen) Verhalten nicht in Widerspruch setzen darf (BFH-Urteil vom 11. Dezember 1984 VIII R 131/76, BFHE 142, 549, BStBl II 1985, 354, und vom 6. Februar 1991 I R 13/86, BFHE 164, 168, BStBl II 1991, 673, m. w. N.).

Es ist zwar nicht ausgeschlossen, daß auch eine durch die Rechtsprechung des BFH geklärte Rechtsfrage erneut klärungsbedürftig werden kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn neue gewichtige Gesichtspunkte und Stimmen auftauchen, die diese Rechtsprechung in Frage stellen und eine erneute Überprüfung in einem Revisionsverfahren als veranlaßt erscheinen lassen. Solche gewichtige Zweifel haben die Kläger indes nicht dargetan. Die Kläger haben zwar vorgetragen, Teile der Literatur und die Rechtsprechung einiger Finanzgerichte (FG) hielten auch eine Einigung in bezug auf Rechtsfragen für zulässig, da eine Trennung zwischen Tatsachen und Rechtsfragen nicht immer möglich sei. Damit haben die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) jedoch die (erneute) Klärungsbedürftigkeit der Frage nicht schlüssig dargelegt. Sie haben sich insbesondere nicht substantiiert mit dem von ihnen zitierten Urteil des FG Baden-Württemberg (Entscheidungen der Finanzgeichte 1991, 59) befaßt, das -- entgegen der Behauptung in der Beschwerdeschrift -- im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH die Auffassung vertritt, daß tatsächliche Verständigungen nur im Bereich der Sachverhaltsermittlung zulässig sind. Ebensowenig haben sich die Kläger in genügender Weise mit der Rechtsprechung des BFH auseinandergesetzt, der die Grundlage einer tatsächlichen Verständigung in inzwischen ständiger Rechtsprechung im konkreten Steuerrechtsverhältnis sieht (BFH in BFHE 164, 168, mit zahlreichen Nachweisen).

2. Die Kläger haben die behauptete Divergenz der Vorentscheidung zu Entscheidungen des BFH nicht in der nach §115 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Weise kenntlich gemacht.

Wird die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision auf die Behauptung gestützt, das Urteil des FG weiche von einer Entscheidung des BFH ab und beruhe auf dieser Abweichung (§115 Abs. 2 Nr. 2 FGO), so muß die Entscheidung des BFH, von der das FG nach der Behauptung des Beschwerdeführers abgewichen sein soll, bezeichnet werden (§115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Darüber hinaus muß aus der Entscheidung des FG ein diese tragender abstrakter Rechtssatz abgeleitet werden, der zu einem ebenfalls die Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz der Entscheidung des BFH in Widerspruch stehen kann (BFH-Beschluß vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479). Die nach Auffassung der Beschwerdeführer voneinander abweichenden Rechtssätze sind erkennbar oder doch zumindest in nachvollziehbarer Weise gegenüberzustellen.

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdeschrift nicht gerecht. Die Kläger haben unter Hinweis auf BStBl II 1985, 354 und BStBl II 1991, 45 zwar Entscheidungen des BFH bezeichnet, aus denen sich nach ihrer Behauptung der tragende Rechtssatz ableiten läßt, daß sich eine tatsächliche Verständigung nur auf Tatsachen und nicht auf Rechtsfragen beziehen könne. Sie haben weiter vorgetragen, das FG habe seiner Entscheidung den hiervon abweichenden Rechtssatz zugrundegelegt, eine tatsächliche Verständigung könne sich auch auf Rechtsfragen beziehen. In der Beschwerdeschrift ist jedoch nicht ausreichend kenntlich gemacht, aus welchen Ausführungen des FG-Urteils sich dieser Rechtssatz ergebe. Für eine Abweichung i. S. von §115 Abs. 2 Nr. 2 FGO ist zwar nicht erforderlich, daß das FG in den Urteilsgründen ausdrücklich einen allgemeinen von der Rechtsprechung des BFH abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat. Ein allgemeiner Rechtssatz kann auch in scheinbar nur fallbezogenen Ausführungen des FG enthalten sein. Auch in diesem Fall muß sich aber der vom FG konkludent aufgestellte Rechtssatz deutlich aus dem gedanklichen Zusammenhang der Entscheidungsgründe entnehmen lassen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, §115 Anm. 17). Die Abweichung ist in diesem Fall nur dann ausreichend bezeichnet i. S. von §115 Abs. 3 Satz 3 FGO, wenn der Beschwerdeführer kenntlich macht, aus welchen fallbezogenen Ausführungen sich der konkludent aufgestellte abweichende Rechtssatz ergibt. Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Die Kläger haben vielmehr ohne jeden Nachweis auf die Ausführungen des FG nur behauptet, das FG habe die Rechtsauffassung vertreten, eine tatsächliche Verständigung könne sich auch auf Rechtsfragen beziehen.

3. Auch soweit die Kläger ihre Beschwerde schließlich damit begründen, die angefochtene Entscheidung beruhe auf einem Verfahrensmangel, haben sie den Zulassungsgrund nicht entsprechend den Voraussetzungen des §115 Abs. 3 Satz 3 FGO geltend gemacht.

Sofern ein Verfahrensmangel i. S. des §115 Abs. 2 Nr. 3 FGO darauf gestützt wird, das FG habe unzulässigerweise ein Beweisangebot übergangen, so ist, da es sich insoweit um einen verzichtbaren Mangel handelt (§155 FGO i. V. m. §§295, 532, 538 der Zivilprozeßordnung), der Verfahrensmangel nur dann i. S. von §115 Abs. 3 Satz 3 FGO ausreichend bezeichnet, wenn -- neben anderen Voraussetzungen -- dargelegt wird, daß das Rügerecht noch besteht. Da das Rügerecht nicht nur durch ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung, sondern bereits durch das Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge untergeht, muß der Beschwerdeführer dartun, daß er den Verfahrensmangel entweder in einer mündlichen Verhandlung vor dem FG gerügt hat bzw. warum dies nicht hat erfolgen können (zu den Voraussetzungen der nach §115 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Bezeichnung eines Verfahrensmangels vgl. Kühn/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Nebengesetze, 17. Aufl., §115 FGO Anm. 7 c).

Daran fehlt es im Streitfall. Die Kläger haben zwar vorgetragen, sie hätten die Zeugenvernehmung ihres Steuerberaters ausdrücklich beantragt und durch die Befragung hätte sich klären lassen, welche Einsprüche zurückgenommen werden sollten. Die Kläger haben jedoch nicht dargetan, daß ihr Rügerecht noch besteht. Sie haben insbesondere nicht dargelegt, daß sie die Nichterhebung des Beweises in der mündlichen Verhandlung gerügt hätten bzw. warum ihnen dies nicht möglich gewesen sei.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66628

BFH/NV 1998, 188

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