Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozeßkostenhilfe - Erklärung über persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse

 

Leitsatz (NV)

1. Einem Beteiligten, der wegen Mittellosigkeit an der fristgerechten Einlegung der Beschwerde (Revision) durch einen postulationsfähigen Vertreter gehindert war, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann gewährt werden, wenn er innerhalb der Rechtsmittelfrist das Gesuch um Prozeßkostenhilfe und die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der vorgeschriebenen Form (§ 117 Abs. 2 bis 4 ZPO) vorgelegt hat.

2. Die gegenüber dem FG in der vorgeschriebenen Form abgegebene Erklärung gemäß § 117 Abs. 2 ZPO reicht i.d.R. für das Verfahren vor dem BFH nicht aus.

 

Normenkette

FGO § 142; ZPO §§ 114, 117 Abs. 1-4

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg

 

Tatbestand

Der Kläger und Antragsteller (Antragsteller), ein Steuerbevollmächtigter und Rechtsbeistand, der eine dreijährige Haftstrafe verbüßt, beantragte beim FG die Gewährung von Prozeßkostenhilfe u.a. für zwei dort anhängige Klageverfahren über die Erteilung von Abrechnungsbescheiden. Das FG ging aufgrund einer vom Antragsteller in einem weiteren Verfahren vorgelegten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse davon aus, daß dieser nicht im Stande sei, die Kosten der Prozeßführung aufzubringen. Es lehnte aber durch seine Beschlüsse vom 7. Dezember 1984 die Anträge des Antragstellers auf Prozeßkostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Klagen ab.

Mit Schriftsatz vom 22. Januar 1985 beantragt der Antragsteller beim Bundesfinanzhof (BFH) die Gewährung von Prozeßkostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Durchführung von Beschwerden gegen die Beschlüsse des FG, mit denen seine Anträge auf Prozeßkostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Klageverfahren abgelehnt worden sind. Den Anträgen an den BFH war keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers beigefügt. Der Antragsteller weist im Antragsschriftsatz lediglich darauf hin, daß er im Gefängnis sei und auch nach Ansicht des FG kein verwendbares Vermögen habe. Der Aufforderung der Geschäftsstelle des VII. Senats des BFH, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem amtlich vorgeschriebenen Formblatt nachzureichen, kam der Antragsteller nicht nach.

Der Beklagte (das Finanzamt - FA -) beantragt, die Anträge auf Prozeßkostenhilfe abzulehnen.

 

Entscheidungsgründe

Die Anträge des Antragstellers auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe für die von ihm beabsichtigten Beschwerdeverfahren vor dem BFH sind abzulehnen.

Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozeßkostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Als Maßnahme der Prozeßkostenhilfe kommt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters in Betracht, wenn sie erforderlich erscheint oder die Vertretung durch derartige Personen als Prozeßbevollmächtigte - wie für die vom Antragsteller beabsichtigten Beschwerdeverfahren (Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG -) - vorgeschrieben ist (§ 142 FGO i.V.m. § 121 ZPO). Dem Antrag auf Bewilligung der Prozeßkostenhilfe, der bei dem Prozeßgericht zu stellen ist, sind eine Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen (§ 142 FGO i.V.m. § 117 Abs. 1 und 2 ZPO). Die Erklärung ist auf dem durch die Verordnung vom 24. November 1980 (BGBl I, 2163) eingeführten amtlichen Vordruck abzugeben (§ 117 Abs. 3 und 4 ZPO).

Die Rechtsverfolgung des Antragstellers hat schon deshalb keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil die von ihm beabsichtigten Beschwerden, auch wenn sie von einem vor dem BFH vertretungsberechtigten Prozeßbevollmächtigten eingelegt würden, wegen Versäumung der Beschwerdefrist als unzulässig verworfen werden müßten. Denn die Beschwerdefrist gegen die am 18. Januar 1985 zugestellten Beschlüsse des FG über die Versagung der Prozeßkostenhilfe ist am 1. Februar 1985 abgelaufen (§§ 129, 54 Abs. 2 FGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 2, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Der Antragsteller hat innerhalb der Beschwerdefrist nur den Antrag auf Prozeßkostenhilfe gestellt, nicht aber das Rechtsmittel selbst eingelegt.

Zwar stellt es eine die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) rechtfertigende unverschuldete Verhinderung, die Beschwerdefrist einzuhalten, dar, wenn ein Beteiligter infolge Mittellosigkeit nicht in der Lage ist, das Rechtsmittel durch einen befugten Vertreter beim BFH fristgerecht einzulegen. Nach der gefestigten Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes setzt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist in diesem Falle aber voraus, daß der Rechtsmittelführer innerhalb der Frist alles Zumutbare tut, um das in seiner Mittellosigkeit bestehende Hindernis zu beheben. Das bedeutet, daß er bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist alle Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe zur Einlegung des Rechtsmittels schaffen muß. Dazu gehört, daß der Antragsteller innerhalb dieser Frist das Gesuch um Prozeßkostenhilfe und die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der vorgeschriebenen Form (§ 117 Abs. 2 bis 4 ZPO) vorlegt, sofern er nicht auch hieran wiederum ohne sein Verschulden gehindert ist (vgl. zum Armenrecht nach der früheren Rechtslage: Beschluß des Senats vom 22. November 1977 VII S 5-6, 9/77, BFHE 123, 436, BStBl II 1978, 72, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - BGH -; zur Prozeßkostenhilfe: BFH-Beschlüsse vom 1. September 1982 I S 4/82, BFHE 136, 354, BStBl II 1982, 737, und vom 27. Juni 1983 II S 2/83, BFHE 138, 526, BStBl II 1983, 644; Beschluß des Bundessozialgerichts - BSG - vom 30. April 1982 7 BH 10/82, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Finanzgerichtsordnung, § 142, Rechtsspruch 30; BGH-Beschluß vom 9. Juli 1981 VII ZR 127/81, Versicherungsrecht - VersR - 1981, 884). Nur wenn zugleich mit dem Antrag auf Prozeßkostenhilfe durch eine postulationsfähige Person die Beschwerde (oder Revision) fristgerecht eingelegt (und begründet) ist, ist es für die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe nicht hinderlich, daß die Erklärung gemäß § 117 Abs. 2 ZPO nach Ablauf der Rechtsmittelfrist nachgereicht wird (BFH-Beschlüsse vom 29. April 1981 IV S 4/77, BFHE 133, 253, BStBl II 1981, 580, und in BFHE 138, 526, BStBl II 1983, 644).

Der Antragsteller hat innerhalb der Beschwerdefrist lediglich Prozeßkostenhilfe beantragt; die Beschwerde sollte nach Bewilligung der Prozeßkostenhilfe durch einen ihm beizuordnenden Rechtsanwalt eingelegt werden. Da dem Gesuch um Prozeßkostenhilfe keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers beigefügt war, kann dem Antragsteller nach den vorstehend ausgeführten Rechtsgrundsätzen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist nicht gewährt werden.

Es kann dahingestellt bleiben, ob in allen Fällen die Wiedereinsetzung versagt werden muß, wenn sich der Rechtsmittelführer innerhalb der Frist nicht des amtlichen Vordrucks (§ 117 Abs. 3 und 4 ZPO) bedient hat. Jedenfalls ist dies dann der Fall, wenn - wie im Streitfall - die formlosen Angaben nicht den Erklärungen entsprechen, die der Vordruck fordert (vgl. BSG-Beschluß in StRK, Finanzgerichtsordnung, § 142, Rechtsspruch 30). Der Antragsteller hat in seinem Antrag auf Prozeßkostenhilfe lediglich angegeben, er sitze im Gefängnis und habe kein verwendbares Vermögen. Diese Angaben reichen zur Prüfung der Frage, ob und inwieweit der Antragsteller in der Lage sei, die Kosten der Prozeßführung aufzubringen, und zur Entscheidung über den Antrag nicht aus.

Der Antragsteller hat zwar gegenüber dem FG, wenn auch in einem anderen Verfahren, eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der vorgeschriebenen Form abgegeben. Diese Erklärung reicht jedoch - abgesehen davon, daß sie dem BFH innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht vorlag - für das Beschwerdeverfahren nicht aus. Denn die Prozeßkostenhilfe wird auf Antrag an das Prozeßgericht (§ 117 Abs. 1 ZPO) für jeden Rechtszug besonders bewilligt (§ 142 FGO i.V.m. § 119 Satz 1 ZPO; BFHE 136, 354, BStBl II 1982, 737). Es kann weiter dahinstehen, ob dem BGH darin zu folgen wäre, daß eine Bezugnahme auf eine im früheren Rechtszug auf dem Vordruck abgegebene Erklärung dann ausreicht, wenn die Verhältnisse seitdem unverändert geblieben sind und dies bei der Bezugnahme deutlich gemacht wird (BGH-Beschluß vom 16. März 1983 IVb ZB 73/82, StRK, Finanzgerichtsordnung, § 142, Rechtsspruch 32). Das Prozeßkostenhilfegesuch des Antragstellers für die Beschwerdeverfahren enthält weder eine Bezugnahme auf eine vordruckgerecht abgegebene Erklärung in der Vorinstanz noch enthält es die Versicherung, daß die dort angegebenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse seitdem unverändert geblieben sind. Der Hinweis des Antragstellers darauf, daß er nach Ansicht des FG kein verwendbares Vermögen habe, reicht auch für eine Bezugnahme der vom BGH geforderten Art nicht aus.

Der Antragsteller war schließlich auch nicht ohne Verschulden gehindert, die für die Gewährung der Prozeßkostenhilfe erforderliche Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse innerhalb der Beschwerdefrist dem Prozeßgericht vorzulegen. Trotz seiner Inhaftierung wäre es ihm möglich gewesen, sich den amtlich eingeführten Vordruck zu beschaffen und ihn nach Ausfüllung rechtzeitig dem Beschwerdegericht einzureichen. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn keine besondere Belehrung des Antragstellers erfolgt ist, daß er auch die Erklärung nach § 117 Abs. 2 ZPO innerhalb der Rechtsmittelfrist abgeben müsse, um die Möglichkeit zu wahren, später Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist zu erhalten (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juni 1983 1 BvR 277/83, StRK, Finanzgerichtsordnung, § 142, Rechtsspruch 33). Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß der Antragsteller als Steuerbevollmächtigter und Rechtsbeistand hinsichtlich der Notwendigkeit der Einhaltung von Rechtsmittelfristen nicht ganz unkundig war. Weitere Gründe für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur rechtzeitigen Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und damit für die Wiedereinsetzung wegen der versäumten Beschwerdefrist sind weder vorgetragen worden noch ersichtlich.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414080

BFH/NV 1985, 47

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