Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterablehnung

 

Leitsatz (NV)

1. Eine pauschale Ablehnung eines ganzen Spruchkörpers ohne Angabe von ernstlichen Gründen in der Person des einzelnen Richters stellt einen Mißbrauch des Ablehnungsrechts dar und ist daher unzulässig.

2. Hinweise eines Richters auf seine - vorläufige - Meinung über den voraussichtlichen Ausgang eines Prozesses liegen im allgemeinen auch im wohlverstandenen Interesse der Beteiligten. Sie rechtfertigen daher in der Regel keine Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42 Abs. 1-2

 

Tatbestand

Die Klägerin, Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat mit Schreiben vom 2. Januar 1987 beim Finanzgericht (FG) Klage wegen Einkommensteuer 1983 und 1984 erhoben. Die Klägerin wurde dabei durch ihren in X wohnhaften Sohn vertreten.

Mit Schreiben vom 15. Januar 1987 beantragte die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Klagebegründung wurde vom FG mehrfach angemahnt. Termin zur mündlichen Verhandlung wurde auf den 20. April 1988 anberaumt.

Am 20. April 1988 zeigte die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin telegrafisch an, daß sie die Klägerin nunmehr vertrete. Sie bat um eine Terminverlegung um einen Monat mit der Begründung, daß die Klagebegründung und die Steuererklärung nunmehr fertiggestellt seien. Daraufhin wurde der Termin auf den 18. Mai 1988 verlegt. Mit Schreiben vom 13. Mai 1988, das beim FG am 17. Mai 1988 einging, erweiterte die Klägerin die Klage auf die Einkommensteuer 1985, die auf einer Schätzung beruhte. Ferner beantragte sie, den Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 27. Juli 1988 zu verschieben, weil die Prozeßbevollmächtigte wegen Arbeitsüberlastung die erforderliche Klagebegründung nicht hätte anfertigen können.

Das FG trennte mit Beschluß vom 18. Mai 1988, an dem der Vorsitzende Richter am FG A, der Richter am FG B und Dr. C als Vertreter des Berichterstatters, Richter am FG D, mitwirkten, das Verfahren wegen Einkommensteuer 1985 ab. Der Termin wegen Einkommensteuer 1983 und 1984 wurde auf den 8. Juni 1988 verlegt. In den Ladungsschreiben wurde darauf hingewiesen, daß nach Aktenlage entschieden werde, falls die Steuererklärung für 1984 und die Klagebegründung für 1983 bis zu diesem Termin nicht eingereicht würden.

Mit Schreiben vom 6. Juni 1988 lehnte die Klägerin den Vorsitzenden Richter am FG A, die Richter am FG Dr. C, B und D sowie die ehrenamtlichen Richter Dipl.-Ing. L und R wegen Befangenheit ab. Die Richter A, B und Dr. C hätten am Beschluß des FG vom 18. Mai 1988 mitgewirkt. Die Klageerweiterung habe zu keinerlei prozessualen Schwierigkeiten geführt. Es habe kein sachlicher und rechtlicher Grund bestanden, den Klageerweiterungsteil wieder abzutrennen. Es sei ignoriert worden, daß der Rechtsstreit aus X geführt werde. Das entscheidende Kriterium für die Steuererklärung und für den Rechtsstreit sei das sich im Umbau befindliche Wohn- und Geschäftshaus in X. Alle damit zusammenhängenden Umstände kenne ausschließlich der Sohn der Klägerin. Durch die Trennung sei billigend in Kauf genommen worden, daß der Klägerin durch zusätzlich entstehende mündliche Verhandlungen erhebliche vermeidbare Mehrkosten entstünden. Die drei Berufsrichter und die zwei ehrenamtlichen Richter hätten auch die Ausführungen im Schriftsatz vom 13. Mai 1988 ignoriert und trotz dringender Bitte um Terminsanberaumung auf den 27. Juli 1988 erneut Termin bereits für den 8. Juni 1988 anberaumt.

Richter am FG D habe anläßlich eines Telefongesprächs am 21. April 1988 gegenüber dem Sohn der Klägerin geäußert, die Klage sei unzulässig, weil kein Antrag gestellt worden sei. Evtl. sei sie verspätet erhoben worden und es müsse ein Wiedereinsetzungsantrag gestellt werden. Im übrigen habe sich der Richter sehr verärgert gezeigt, daß noch immer keine Klagebegründung vorgelegen habe. Zur Glaubhaftmachung wurde eine eidesstattliche Versicherung des Sohnes der Klägerin vorgelegt.

Vorsitzender Richter am FG A und die Richter am FG Dr. C und D haben erklärt, daß sie sich nicht für befangen halten. Die dienstlichen Äußerungen wurden der Klägerin bekanntgegeben. Der Termin vom 8. Juni 1988 ist abgesetzt worden.

Das FG hat das Gesuch auf Ablehnung des Vorsitzenden Richters am FG A, der Richter am FG B und Dr. C und der ehrenamtlichen Richter Dipl.-Ing. L und R als unzulässig zurückgewiesen. Das Gesuch auf Ablehnung des Richters am FG D sei zwar zulässig, aber unbegründet. Es bestehe kein Grund, daß dieser Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde.

Mit der Beschwerde rügt die Klägerin unrichtige Behandlung des Ablehnungsgesuchs. Sie verweist zunächst auf ihre früheren Ausführungen und führt ergänzend aus, aus der Begründung des Beschlusses und aus den dienstlichen Äußerungen ergäben sich weitere Ablehnungsgründe. In der Behauptung, die Klägerin verhalte sich ,,rechtsmißbräuchlich", liege ein weiterer Ablehnungsgrund. Auch aus der Tatsache, daß entscheidungserhebliche Ausführungen im Ablehnungsgesuch im Beschluß einfach übergangen seien, folge ein weiterer Ablehnungsgrund. So werde nicht darauf eingegangen, daß der Sohn der Klägerin derzeit seine Arbeitskraft ausschließlich einer wissenschaftlichen Arbeit widmen müsse, deren erfolgreiches Bestehen für ihn von existentieller Bedeutung sei, und er deshalb an der Mitwirkung der Klagebegründung oder Terminswahrnehmung gehindert sei. Aufgrund dessen müsse befürchtet werden, daß die Unterzeichner des FG-Beschlusses es begrüßen würden, wenn der Sohn der Klägerin diese Arbeit nicht erfolgreich abschließen würde. Die Äußerung des Richters am FG Dr. C vom 7. Juni 1988: ,,Ich halte mich nicht für befangen" sei provozierend.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Das FG hat das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter am FG A und die Richter am FG Dr. C und B und die ehrenamtlichen Richter Dipl.-Ing. L und R zu Recht als unzulässig angesehen.

Nach § 42 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i. V. m. § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Gründe für ein solches Mißtrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden wird. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung wirklich von Voreingenommenheit beeinflußt ausfiele. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabs Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, und vom 29. April 1988 VI B 47/87, BFH /NV 1988, 794).

Das Ablehnungsgesuch der Klägerin richtet sich gegen alle Berufsrichter und die ehrenamtlichen Richter des erkennenden Senats des FG. Eine solche pauschale Ablehnung eines ganzen Spruchkörpers ohne Angabe von ernstlichen Gründen in der Person des einzelnen Richters stellt einen Mißbrauch des Ablehnungsrechts dar und ist daher unzulässig (BFH-Urteil vom 25. Oktober 1973 IV R 80/72, BFHE 110, 479, BStBl II 1974, 142; BFH-Beschluß vom 13. Februar 1986 VIII S 22 /85, BFH / NV 1988, 779).

Entgegen der Auffassung der Klägerin in der Beschwerdebegründung ist der Hinweis des FG auf diese Rechtsprechung und die Verwendung des Wortes ,,rechtsmißbräuchlich" im FG-Beschluß nicht als weiterer Ablehnungsgrund zu werten, denn diese Ausdrucksweise dient der Kennzeichnung unzulässiger Richterablehnungsgesuche. Sie entspricht langjähriger Rechtsprechung.

Das FG konnte das unzulässige Ablehnungsgesuch unter Mitwirkung abgelehnter Richter zurückweisen (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Februar 1960 2 BvR 36/60, BVerfGE 11, 1; BFH-Beschlüsse in BFH / NV 1988, 779; vom 13. Juni 1986 III R 162/82, BFH /NV 1988, 502).

2. Das FG hat auch das Gesuch auf Ablehnung des Richters am FG D zu Recht als unbegründet zurückgewiesen.

Die Klägerin hatte bei vernünftiger, objektiver Betrachtungsweise auch von ihrem Standpunkt keinen Anlaß zu der Annahme, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde.

Hinweise eines Richters auf seine - vorläufige - Meinung über den voraussichtlichen Ausgang eines Prozesses liegen im allgemeinen auch im wohlverstandenen Interesse der Beteiligten. Diesen ist gewöhnlich daran gelegen, die Einstellung des Richters zu den für den Prozeßausgang maßgeblichen rechtlichen Problemen zu erfahren. Auf diese Weise erhalten sie Gelegenheit ihre eigene, von der des Richters abweichende Ansicht näher zu erläutern und dabei zusätzliche Gesichtspunkte vorzutragen oder bereits angeführte Gesichtspunkte stärker hervorzuheben, um den Richter von der Richtigkeit ihrer Meinung zu überzeugen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 5. März 1971 VI B 64/70, BFHE 102, 10, BStBl II 1971, 527, und in BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555).

Die Äußerungen des Richters am FG D beim Telefongespräch mit dem Sohn der Klägerin gingen über das im Interesse einer zügigen Abwicklung eines FG-Verfahrens Gebotene nicht hinaus. Angesichts der Säumigkeit der Klägerin bei der Abgabe ihrer Einkommensteuererklärungen und des Nichtvorliegens der Klagebegründung über geraume Zeit liegt ein Hinweis auf die Prozeßförderungspflicht der Klägerin nicht nur im Interesse an einer zügigen Abwicklung von FG-Verfahren, sondern auch im wohlverstandenen Interesse der Klägerin. Die Äußerungen waren weder der Form noch der Sache nach zu beanstanden. Selbst nach den von der Klägerin vorgetragenen Tatsachen konnte bei vernünftiger, objektiver Betrachtung weder der Verdacht einer gewollten Verunsicherung noch der Verdacht einer beabsichtigten Schädigung des Sohnes der Klägerin in seinem beruflichen Fortkommen aufkommen. Die in Frage stehenden Maßnahmen des Berichterstatters konnten noch nicht einmal den Anschein erwecken, für dessen Handlungsweise sei etwas anderes bestimmend gewesen als das Bestreben, den Fortgang des Verfahrens zu fördern.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416518

BFH/NV 1990, 175

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