Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine AdV bestandskräftiger Verwaltungsakte

 

Leitsatz (NV)

1. Die Voraussetzungen in § 69 Abs. 4 FGO n. F. stellen, ebenso wie diejenigen in Art. 3 § 7 VGFGEntlG, Zugangsvoraussetzungen dar.

2. Wird eine Steuerfestsetzung durch Verwerfung der gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegten Beschwerde bestandskräftig, kommt eine Aussetzung des Vollzugs des unanfechtbar gewordenen Verwaltungsaktes nicht mehr in Betracht.

3. Wird ein beim Gericht gestellter Aussetzungsantrag zurückgenommen, ist das Verfahren entsprechend § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO einzustellen.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 3 S. 1, § 72 Abs. 2 S. 2

 

Tatbestand

Der Beklagte und Antragsgegner (das Finanzamt -- FA --) erließ im Anschluß an eine Steuerfahndungsprüfung gegen den Kläger und Antragsteller (Antragsteller) u. a. für die Streitjahre 1980, 1981 und 1986 entsprechende Einkommensteuerbescheide, durch welche die bisher nicht erklärten Einkünfte aus Kapitalvermögen sowie aufgrund einer Geldverkehrsrechnung im Schätzungswege ermittelte sonstige Einkünfte angesetzt worden sind.

Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Während des Klageverfahrens hatte das FA dem Prozeßbevollmächtigten des Antragstellers hinsichtlich des Umfangs der den Einkommensteuerbescheiden beigefügten Vorläufigkeitsvermerke geänderte Einkommensteuerbescheide mit entsprechender Rechtsmittelbelehrung zugestellt. Den vom Prozeßbevollmächtigten gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist nach § 68 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) lehnte das Finanzgericht (FG) ab.

Gegen das Urteil des FG hat der Antragsteller Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Gleichzeitig beantragte er die Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide für 1980, 1981 und 1986 sowie der Zinsbescheide über Aussetzungszinsen für diese Jahre vom 18. Mai 1994.

Mit Verfügung vom 16. Mai 1994 hatte das FA die Aussetzungsverfügung vom 12. Juni 1989 hinsichtlich der Streitjahre aufgehoben und den Antragsteller zur Zahlung aufgefordert. Unter dem 30. Juni 1994 erging eine Mahnung des FA. Den Aussetzungsantrag hinsichtlich der Zinsbescheide vom 18. Mai 1994 hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 31. August 1994 zurückgenommen.

Das FA beantragt, den Aussetzungsantrag als unzulässig abzulehnen.

Die Voraussetzungen des § 69 Abs. 4 FGO seien nicht erfüllt.

Der Senat hat die in der Hauptsache erho bene Nichtzulassungsbeschwerde durch Beschluß vom heutigen Tag als unzulässig verworfen.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag ist unzulässig.

1. Der Bundesfinanzhof (BFH) ist im Streitfall zuständiges Gericht der Hauptsache i. S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO, da die Nichtzulassungsbeschwerde bei ihm anhängig ist (Beschluß des erkennenden Senats vom 18. März 1991 VIII S 2/91, BFH/NV 1991, 829).

2. Eine unmittelbare Anrufung des Gerichts der Hauptsache war jedoch nach § 69 Abs. 4 FGO nicht zulässig.

Im Streitfall hatte das FA dem ursprünglichen Aussetzungsbegehren des Antragstellers stattgegeben. Der Antragsteller hat bei dem FA keinen weiteren Aussetzungsantrag gestellt. Soweit das FA die ursprüngliche Aussetzungsverfügung vom 12. Juni 1989 nach Ergehen des erstinstanzlichen Urteils und vor Erhebung der Nichtzulassungsbeschwerde aufgehoben hat, kann dem nicht entnommen werden, daß es einen Aussetzungsantrag ebenfalls ablehnend beschieden hätte. Die Aussetzung der Vollziehung war ursprünglich ohnehin nur bis zu einem Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch ausgesetzt worden. Die Aufhebungsverfügung vom 16. Mai 1994 konnte unter diesen Umständen nicht im Sinne einer Ablehnung eines weiteren Aussetzungsbegehrens verstanden werden. Vielmehr kam ihr lediglich klarstellende Bedeutung für den weiteren Verfahrensablauf zu.

Von dem Erfordernis einer vorherigen vollständigen oder zumindest teilweisen Ablehnung eines Aussetzungsantrages kann auch nicht im Hinblick auf eine etwa drohende Vollstreckung i. S. des § 69 Abs. 4 Nr. 2 FGO abgesehen werden.

Eine Vollstreckung droht erst dann, wenn die Finanzbehörde mit der Vollstreckung begonnen hat (BFH-Beschluß vom 29. Oktober 1985 VII B 69/85, BFHE 145, 17, BStBl II 1986, 236, 237) oder sie jedenfalls aus Sicht eines objektiven Beobachters unmittelbar bevorsteht (BFH-Beschluß vom 5. Juni 1985 II S 3/85, BFHE 143, 414, BStBl II 1985, 469, 470). Die Voraussetzungen nach § 69 Abs. 4 FGO stellen sog. Zugangsvoraussetzungen dar. Aus dem Wesen der Zugangsvoraussetzung folgt, daß sie im Zeitpunkt der Antragstellung bei Gericht vollständig gegeben sein müssen, andernfalls der Antrag unzulässig ist (BFH- Beschluß vom 11. Oktober 1979 IV B 61/79, BFHE 129, 8, BStBl II 1980, 49, 50). Eine Heilung durch Eintritt der Voraussetzungen während des gerichtlichen Verfahrens ist danach nicht möglich (BFH-Urteil vom 17. Mai 1985 III R 213/82, BFHE 143, 509, BStBl II 1985, 521, 522).

Die Übernahme dieser Voraussetzungen aus Art. 3 § 7 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit in § 69 Abs. 4 FGO n. F. hat an ihrem rechtlichen Charakter nichts geändert (einhellige Meinung, vgl. Tipke /Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 69 FGO Rz. 16; List in Hübschmann /Hepp /Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 69 FGO Rz. 47; Dumke in Schwarz, Finanzgerichtsordnung, § 69 Rz. 40; Koch /Gräber, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 69 Rz. 61, 68).

Die erst am 30. Juni 1994 ergangene Mahnung (§ 259 der Abgabenordnung -- AO 1977 --) kann im Rahmen der Prüfung der Zugangsvoraussetzungen nicht mehr berücksichtigt werden.

3. Darüber hinaus kommt eine Aussetzung der Vollziehung unanfechtbarer Verwaltungsakte nicht mehr in Betracht. Nachdem das Urteil des FG, durch Verwerfung der in der Hauptsache erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluß vom heutigen Tage, rechtskräftig geworden ist, sind die Einkommensteueränderungsbescheide für die Streitjahre als Grundlage der Vollziehung bestandskräftig geworden (vgl. BFH in BFH/NV 1991, 829).

4. Soweit der Antrag hinsichtlich der Zinsbescheide zurückgenommen worden ist, war das Verfahren entsprechend § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO einzustellen (BFH-Beschluß vom 7. Mai 1987 VI B 186/86, BFH/NV 1987, 665).

 

Fundstellen

Haufe-Index 420285

BFH/NV 1995, 537

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