Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsätzliche Bedeutung ‐ Rechtsfortbildung ‐ Sicherung der Einheit der Rechtsprechung: Vorrangige Anwendung des Progressionsvorbehalts

 

Leitsatz (NV)

Ein weiterer Klärungsbedarf besteht nach dem Urteil des BFH vom 9. August 2001 III R 50/00, BFHE 196, 185, BStBl II 2001, 778, hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der vorrangigen Anwendung des Progressionsvorbehalts nach § 32a Abs. 1 Satz 2 EStG erst recht nicht für Sachverhalte, in denen die steuerpflichtigen Einkünfte den Grundfreibetrag sogar ‐ zumindest geringfügig ‐ überschreiten.

 

Normenkette

EStG §§ 2, 32a Abs. 1 S. 2, § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2

 

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig und deshalb durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargelegt (§ 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2, § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

1. a) Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) verlangt eine substantiierte Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Fall voraussichtlich auch klärungsfähig ist. Dazu ist auszuführen, dass die Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfrage von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtslage abhängig ist. Hierzu muss sich die Beschwerde insbesondere mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), den Äußerungen im Schrifttum sowie mit ggf. veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinander setzen. Hat der BFH über die Rechtsfrage bereits entschieden, so ist zusätzlich darzulegen, weshalb eine erneute Entscheidung des BFH für erforderlich gehalten wird. Eine weitere bzw. erneute Klärung der Rechtsfrage kann z.B. geboten sein, wenn gegen die bisherige Rechtsprechung gewichtige Einwendungen erhoben worden sind, mit denen sich der BFH bislang noch nicht auseinander gesetzt hat.

Darüber hinaus ist auf die Bedeutung der Klärung der konkreten Rechtsfrage für die Allgemeinheit einzugehen (vgl. Beschluss des BFH vom 17. Oktober 2001 III B 65/01, BFH/NV 2002, 217).

b) Die Beschwerdebegründung wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Die Klägerin hat im Wesentlichen nur die Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Urteils behauptet, sich indes überhaupt nicht mit dem vom erkennenden Senat erlassenen Urteil vom 9. August 2001 III R 50/00 (BFHE 196, 185, BStBl II 2001, 778), auf das sich das Finanzgericht (FG) mehrfach ausdrücklich bezogen hat, auseinander gesetzt. In diesem Urteil hat der Senat die einheitliche Rechtsprechung sowohl des BFH als auch der FG, die verfassungsrechtliche Billigung dieser Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und das überwiegend zustimmende Schrifttum dargestellt. Die Klägerin hat keinen weiteren oder gar erneuten Klärungsbedarf bestimmter Rechtsfragen dargetan.

Zutreffend hat das FG in dem angefochtenen Urteil ausgeführt, dass die rechtliche und verfassungsrechtliche Würdigung des erkennenden Senats zu einem Fall, in dem die steuerpflichtigen Einkünfte allein den Grundfreibetrag nicht überstiegen, erst recht gelten müsse, wenn sie ―wie im Streitfall― bereits den Grundfreibetrag ―zumindest geringfügig― überschritten.

2. a) Ebenso wenig legt die Klägerin den Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO hinreichend dar.

Eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts ist insbesondere in Fällen erforderlich, in denen über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist, so beispielsweise, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Grundsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtschöpferisch auszufüllen. Die Rechtsfortbildung muss über den Einzelfall hinaus im allgemeinen Interesse liegen und die Frage nach dem "ob" und ggf. "wie" der Rechtsfortbildung muss klärungsbedürftig sein. Insoweit gelten die zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO höchstrichterlich entwickelten strengen Darlegungsanforderungen gleichermaßen (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 217, 218, m.w.N.).

b) Die Klägerin hat, wie bereits unter Ziff. 1. ausgeführt, keinen weiteren oder erneuten Klärungsbedarf einer bestimmten Rechtsfrage dargetan.

3. Schließlich genügt das Vorbringen der Klägerin auch nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Darlegung eines Zulassungsgrundes nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO.

Danach ist die Revision zuzulassen, wenn dies zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

Weder hat die Klägerin eine Divergenz des angefochtenen FG-Urteils zu einer anderen, genau zu bezeichnenden gerichtlichen Entscheidung behauptet, noch hat sie mit ihren Beanstandungen schlüssig dargetan, dass das FG-Urteil auf schwerwiegenden Fehlern bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts beruhe, die das Vertrauen in die Rechtsprechung beschädigen können (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Februar 2002 III B 155/01, BFH/NV 2002, 804, 805), oder dass es sich gar um eine willkürliche, jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrende Entscheidung handele (vgl. BFH-Beschluss vom 14. Februar 2002 VII B 141/01, BFH/NV 2002, 798, 799, m.w.N.).

Vielmehr hat das FG in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der finanzgerichtlichen Judikatur sowie der herrschenden Meinung im Schrifttum den Streitfall entschieden. Soweit das FG zur Kennzeichnung des wirtschaftlichen Sachverhaltes in § 2 des Einkommensteuergesetzes nicht enthaltene Begriffe verwendet hat, führt dies nicht zu einem qualifizierten Mangel in der zuvor gekennzeichneten Art. Vor allem hätte die Klägerin auch erkennbar machen müssen, dass allein bei Nichtverwendung dieser Begriffe ein abweichendes sachliches Ergebnis zumindest möglich gewesen wäre.

Einer weiteren Begründung bedarf es nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO nicht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 853149

BFH/NV 2003, 39

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