Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsätzliche Bedeutung; Verletzung der Hinweispflicht; rechtliches Gehör; unzureichende Vollmacht

 

Leitsatz (NV)

1. Zu den Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung.

2. Das Finanzgericht verletzt seine nach §76 Abs. 2 FGO bestehende Hinweispflicht nicht, wenn es den anwaltlich vertretenen Beteiligten nicht innerhalb der diesem gesetzten Ausschlußfrist für die Vorlage der Prozeßvollmacht auf die Mängel bei der Unterzeichnung der vorgelegten Vollmacht hinweist.

3. Erscheint der zur mündlichen Verhandlung geladene Prozeßbevollmächtigte eines Beteiligten zur mündlichen Verhandlung nicht pünktlich, so kann er, wenn er sein Erscheinen oder eine mögliche Verspätung nicht vorher angekündigt hat, in der Regel nicht erwarten, daß das Gericht von einer pünktlichen Eröffnung der mündlichen Verhandlung absieht und noch einige Zeit mit dem Beginn der mündlichen Verhandlung wartet.

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 62 Abs. 3 S. 1, § 76 Abs. 2, § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, Abs. 3 S. 3

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) gegen den Rückforderungsbescheid des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt -- FA --) als unzulässig abgewiesen, weil der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin seine Bevollmächtigung nicht innerhalb der ihm gesetzten Ausschlußfrist in der gehörigen Form nachgewiesen habe. Die innerhalb der Ausschlußfrist vorgelegte Vollmacht sei, wie deren Auslegung ergebe, nicht mit einer Unterschrift, sondern nur mit einer Paraphe der Klägerin versehen gewesen. Erst nach Ablauf der Ausschlußfrist sei eine ordnungsgemäß unterzeichnete Vollmacht der Klägerin vorgelegt worden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand habe der Klägerin nicht gewährt werden können, weil die Versäumung der Ausschlußfrist nicht unverschuldet gewesen sei. Auf dem Vollmachtsformular werde ausdrücklich die "Unterschrift" des Vollmachtgebers verlangt. Daraus ergebe sich, daß eine Paraphe nicht ausreiche. Deshalb könne sich die Klägerin nicht darauf berufen, daß sie bisher auch ihre Steuererklärungen -- vom FA unbeanstandet -- mit der Paraphe abgezeichnet habe.

 

Entscheidungsgründe

Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Klägerin, die sie auf die grundsätzliche Bedeutung der Sache und auf Verfahrensfehler stützt, kann keinen Erfolg haben.

1. Soweit die Klägerin die Nichtzulassungsbeschwerde auf die grundsätzliche Bedeutung der Sache stützt, ist sie unzulässig.

Die Klägerin hat zur grundsätzlichen Bedeutung der Sache nur ausgeführt, daß die Vorentscheidung rechtsfehlerhaft sei. Der Auslegung des Gerichts, daß bei der innerhalb der Ausschlußfrist vorgelegten Vollmacht nicht erkennbar gewesen sei, daß sie von der Klägerin stamme, könne nicht gefolgt werden.

Diese Ausführungen reichen jedoch für die nach §115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erforderliche Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nicht aus. Denn die Klägerin hat weder eine konkrete Rechtsfrage gestellt, noch hat sie im einzelnen dargelegt, aus welchen Gründen die erstrebte Revisionsentscheidung über den Einzelfall hinaus der Rechtsklarheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung dienen kann (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 6. August 1996 VII B 110/96, BFH/NV 1997, 106).

2. Die gerügten Verfahrensfehler (ungenügende Sachaufklärung, Verletzung des rechtlichen Gehörs) liegen nicht vor. Insoweit ist die Nichtzulassungsbeschwerde unbegründet.

a) Die Klägerin sieht die ungenügende Sachverhaltsaufklärung darin, daß das FG nicht innerhalb der Zeitspanne zwischen dem 12. Juli (Vorlage der nach Meinung des FG unzureichenden Vollmacht) und dem 23. Juli (Ablauf der Ausschlußfrist) durch eine prozeßleitende Verfügung zur Behebung bzw. Heilung der nach seiner Meinung bestehenden Mängel der Vollmacht aufgefordert habe. Die damit behauptete Verletzung der Hinweispflicht nach §76 Abs. 2 FGO liegt jedoch nicht vor.

Das FG war nicht verpflichtet, die Klägerin oder ihren Prozeßbevollmächtigten auf den später beanstandeten Mangel der Vollmacht hinzuweisen. Die formalen Anforderungen an die nach §62 Abs. 3 Satz 1 FGO erforderliche schriftliche Vollmacht sind eindeutig bestimmt. Danach muß die notwendige Unterschrift, wie das FG richtig ausgeführt hat, einen individuellen Schriftzug aufweisen, der sich als bürgerlicher Name darstellt; eine Paraphe reicht nicht aus (vgl. BFH-Urteil vom 20. September 1991 III R 36/90, BFHE 166, 103, BStBl II 1992, 300, m. w. N.). Zumindest der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hätte als Rechtsanwalt diese Anforderungen an den Nachweis der Bevollmächtigung (§62 Abs. 3 Satz 1 FGO) kennen und selbst auf deren Einhaltung achten müssen. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, in solch eindeutigen Fällen die Aufgabe des von einem Beteiligten selbst gewählten Rechtsanwalts zu übernehmen und selbst dafür zu sorgen, daß noch vor Ablauf der Ausschlußfrist eine ordnungsgemäß unterschriebene Vollmacht vorgelegt wird.

b) Die Klägerin sieht ihr Recht auf Gehör dadurch als verletzt an, daß die auf den 16. Dezember 1996, 9.30 Uhr, anberaumte mündliche Verhandlung, zu der ihr Prozeßbevollmächtigter geladen wurde, in ihrer Abwesenheit durchgeführt und ein klageabweisendes Urteil erlassen worden sei. Als sie zusammen mit ihrem Prozeßbevollmächtigten an diesem Tag um 9.40 Uhr den Sitzungssaal betreten habe, habe ihnen der Einzelrichter mitgeteilt, daß das Urteil gesprochen und die Klage abgewiesen worden sei. Sie und ihr Prozeßbevollmächtigter hätten den Sitzungssaal nach kurzer einseitiger Erörterung um 9.44 Uhr wieder verlassen. Die Klägerin ist durch die gerügte Vorgehensweise des Einzelrichters nicht in ihrem Recht auf Gehör (§96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt worden.

Dem Recht der Parteien auf Anhörung wird dadurch genügt, daß eine mündliche Verhandlung stattfindet, die Parteien dazu ordnungsgemäß geladen werden, die Verhandlung zu dem anberaumten Termin eröffnet und den Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung gegeben wird. Erscheint ein Beteiligter nicht pünktlich, so liegt es grundsätzlich im Ermessen des Vorsitzenden -- hier des Einzelrichters --, ob er die mündliche Verhandlung eröffnet oder gleichwohl noch eine gewisse Zeit abwartet. Für den Fall, daß ein Beteiligter sein Erscheinen oder die Möglichkeit einer geringfügigen Verspätung angekündigt hat, kann er nach der Rechtsprechung des BFH im allgemeinen damit rechnen, daß eine gewisse Zeit gewartet und die Verhandlung nicht bereits z. B. zehn Minuten nach dem anberaumten Termin eröffnet wird (BFH-Beschluß vom 24. August 1992 X B 19/92, BFH/NV 1993, 46; Urteile vom 25. September 1990 IX R 207/87, BFH/NV 1991, 397, sowie vom 30. Januar 1986 IV R 22/84, BFH/NV 1987, 649). Hat der zur mündlichen Verhandlung geladene Prozeßbevollmächtigte eines Beteiligten dagegen -- wie im Streitfall -- sein Erscheinen oder eine mögliche Verspätung nicht vorher angekündigt, so kann er in der Regel nicht erwarten, daß das Gericht, das keine Anhaltspunkte dafür hat, ob und wann der Prozeßbevollmächtigte erscheinen wird, von einer pünktlichen Eröffnung der mündlichen Verhandlung absieht und möglicherweise vergeblich auf ihn wartet, zumal sich dann auch die nachfolgenden Termine verschieben und die Beteiligten dieser Verfahren unnötig Zeit verlieren würden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66417

BFH/NV 1998, 63

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