Leitsatz (amtlich)

1. Das Vorbringen einer GbR, das FG habe ihre Klage gegen einen Umsatzsteuerbescheid nicht im Hinblick darauf abweisen dürfen, daß einer der Gesellschafter die schriftliche Vollmacht für den Prozeßbevollmächtigten schuldhaft erst nach Ablauf der Ausschlußfrist gemäß Art. 3 § 1 Satz 1 VGFGEntlG vorgelegt habe, enthält keine schlüssige Rüge i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO.

2. Der BFH ist berechtigt, eine bei ihm eingelegte, offensichtlich unzulässige Nichtzulassungsbeschwerde ohne vorherige Nichtabhilfeentscheidung des FG zu verwerfen.

 

Orientierungssatz

1. Eine zulassungsfreie Verfahrensrevision ist nur dann statthaft, wenn innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ein Mangel i.S. des § 116 Abs. 1 FGO schlüssig gerügt wird (vgl. BFH-Beschluß vom 21.4.1986 IV R 190/85; Literatur). Dazu müssen die zur Begründung der Rüge vorgetragenen Tatsachen –als wahr unterstellt– die Schlußfolgerung auf den behaupteten Verfahrensmangel rechtfertigen.

2. Zur Rüge des in § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO bezeichneten Verfahrensmangels muß sich aus den vorgetragenen Tatsachen ableiten lassen, daß der Beteiligte in gesetzwidriger Weise im Verfahren vor dem FG nicht vertreten war, weil das Gericht z.B. bei Vorbereitung oder Durchführung der mündlichen Verhandlung den Vorschriften des Gesetzes nicht genügt und dadurch dem Beteiligten die Teilnahme unmöglich gemacht hat (vgl. BFH-Rechtsprechung).

3. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs fällt nicht unter die in § 116 Abs. 1 FGO abschließend aufgezählten Verfahrensmängel (vgl. BFH-Rechtsprechung).

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 3, § 116 Abs. 1 Nr. 3; VGFGEntlG Art. 3 § 1 S. 1; FGO § 96 Abs. 2, § 120 Abs. 2 S. 2

 

Tatbestand

I. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage gegen die Umsatzsteuerbescheide für 1982 bis 1984 durch das der Klägerin, Revisionsklägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) am 18. November 1988 zugestellte Urteil als unzulässig ab. Für die Klageabweisung war maßgebend, daß der Gesellschafter P –anders als die übrigen sieben Gesellschafter der Klägerin– innerhalb der dafür mit ausschließender Wirkung vom FG gesetzten, zweimal verlängerten Frist (Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit –VGFGEntlG–) keine schriftliche Vollmacht für den Prozeßbevollmächtigten vorgelegt hatte. Die schriftliche Prozeßvollmacht des bezeichneten Gesellschafters reichte der Prozeßbevollmächtigte im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem FG am 26. Oktober 1988 nach. Das FG ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu.

Die Klägerin hat am 19. Januar 1989 Revision eingelegt (V R 112/88). Während der verlängerten Revisionsbegründungsfrist hat sie ausgeführt, die Revision werde gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erhoben. Sie rügt die Verletzung der §§ 56, 62 FGO sowie des Anspruchs auf rechtliches Gehör.

Zur Begründung macht sie u.a. geltend, das Verschulden des Gesellschafters P an der nicht rechtzeitigen Vorlage der schriftlichen Vollmacht gegenüber dem FG könne den übrigen Gesellschaftern nicht angelastet werden. Anderenfalls werde das rechtliche Gehör der übrigen Gesellschafter verletzt. Nach der zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von der Rechtsprechung vertretenen Auslegung brauchten sich die übrigen Gesellschafter nur Verschulden von Vertretern zurechnen zu lassen. Der Gesellschafter P sei aber nicht Vertreter der übrigen Gesellschafter. § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO müsse auch für den Fall gelten, in dem die Vollmacht von sieben Gesellschaftern der Klägerin fristgemäß und lediglich die Vollmacht eines Gesellschafters der Klägerin verspätet vorgelegt worden sei.

Die Klägerin beantragt Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) ist der Revision entgegengetreten.

In der Revisionsbegründungsschrift hat die Klägerin außerdem beantragt, die Revision im Fall ihrer Unzulässigkeit als Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zu behandeln (V B 72/89).

 

Entscheidungsgründe

II. Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Rechtsmittel (§ 72 Abs. 1, § 121 FGO) sind unzulässig.

1. Die Revision ist unzulässig. Sie ist gemäß §§ 124, 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen.

Die Revision ist nicht wegen bedingter Einlegung unzulässig. Die Auslegung der Revisionseinlegung und -begründung ergibt nicht, daß sie im Fall ihrer Unzulässigkeit nicht als eingelegt habe gelten sollen. Die Revision ist aber unzulässig, weil sie nicht zugelassen worden ist und ein Fall einer zulassungsfreien Revision nicht gegeben ist.

a) Gegen das Urteil des FG steht den Beteiligten die Revision zu, wenn das FG oder der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat (§ 115 Abs. 1 FGO i.V.m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs –BFHEntlG–). Einer Zulassung der Revision bedarf es nicht, wenn einer der in § 116 Abs. 1 FGO bezeichneten Verfahrensmängel gerügt wird. Im Streitfall ist keine dieser Voraussetzungen erfüllt.

Die Revision ist weder vom FG noch vom BFH zugelassen worden (siehe auch nachfolgend 2.).

Die Revision ist ebenfalls nicht nach § 116 Abs. 1 FGO statthaft. Zwar hat die Klägerin einen Verfahrensmangel nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO geltend gemacht. Eine zulassungsfreie Verfahrensrevision ist jedoch nur dann statthaft, wenn innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ein Mangel i.S. des § 116 Abs. 1 FGO schlüssig gerügt wird (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO; BFH-Beschluß vom 21. April 1986 IV R 190/85, BFHE 146, 357, BStBl II 1986, 568; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 116 FGO Tz. 9, 23; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 116 Rz. 3, m.w.N.).

Dazu müssen die zur Begründung der Rüge vorgetragenen Tatsachen –als wahr unterstellt– die Schlußfolgerung auf den behaupteten Verfahrensmangel rechtfertigen. Zur Rüge des in § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO bezeichneten Verfahrensmangels muß sich aus den vorgetragenen Tatsachen ableiten lassen, daß der Beteiligte in gesetzwidriger Weise im Verfahren vor dem FG nicht vertreten war, weil das Gericht z.B. bei Vorbereitung oder Durchführung der mündlichen Verhandlung den Vorschriften des Gesetzes nicht genügt und dadurch dem Beteiligten die Teilnahme unmöglich gemacht hat (BFH-Beschluß vom 27. Januar 1988 IV R 14/86, BFHE 152, 196, BStBl II 1988, 447 unter 3.; BFH-Urteil vom 10. August 1988 III R 220/84, BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948 unter II 1. b; vgl. auch BFH-Beschluß vom 15. Dezember 1986 IV B 59-61/86, IV B 66/86, BFH/NV 1988, 643 unter III. 1. a).

Diesen Anforderungen entspricht die Revisionsbegründung nicht. Aus ihr ergibt sich nicht, daß das FG den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin durch fehlerhafte Anwendung von Vorschriften über die Vertretung nicht als ihren Vertreter behandelt hat. Vielmehr trägt die Klägerin selbst vor, daß sie in der mündlichen Verhandlung vor dem FG durch ihren Prozeßbevollmächtigten vertreten worden war.

Soweit die Klägerin geltend macht, die schuldhaft erst nach Ablauf der vom FG gemäß Art. 3 § 1 VGFGEntlG von dem Gesellschafter P unterzeichnete schriftliche Prozeßvollmacht stehe einer Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Frist zur Vorlage der von sämtlichen Gesellschaftern zu erteilenden Prozeßvollmacht nicht entgegen, weil die Gesellschafter für das Verschulden des Mitgesellschafters nicht einzustehen hätten, enthält das Vorbringen ebenfalls keine schlüssige Rüge eines Verfahrensmangels nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO. Das FG verletzt keine Vorschriften über die Vertretung, wenn es die Klage abweist, weil die nach Art. 3 § 1 Satz 1 VGFGEntlG gesetzte Ausschlußfrist zur Vorlage der schriftlichen Vollmacht (§ 62 Abs. 3 Satz 1 FGO) schuldhaft versäumt worden ist. Das gilt insbesondere, wenn das FG –wie der Vortrag der Klägerin ergibt– die Voraussetzungen für die Bestimmung dieser Ausschlußfrist eingehalten hat. Das FG konnte von der Klägerin –einer BGB-Gesellschaft– die Vorlage einer von allen Gesellschaftern unterschriebenen Vollmacht (§ 62 Abs. 3 Satz 1 FGO) auf den Prozeßbevollmächtigten fordern, weil sie als steuerrechtsfähiger Unternehmer (§ 2 Abs. 1 des UmsatzsteuergesetzesUStG 1980–) von ihren Gesellschaftern gemeinsam vertreten (§ 709 Abs. 1, § 714 des Bürgerlichen Gesetzbuches –BGB–) wird (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 6. Oktober 1987 VIII R 330/83, BFH/NV 1988, 184).

Eine Verletzung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Art. 3 § 1 Satz 2 VGFGEntlG i.V.m. § 56 FGO) durch das FG scheidet nach dem Vortrag der Klägerin aus, weil sie einräumt, daß einer ihrer Gesellschafter die Frist schuldhaft versäumt habe (§ 56 Abs. 1 FGO). Die Klägerin muß sich dessen Verschulden nach dem bei § 56 Abs. 1 FGO allgemein geltenden Rechtsgrundsatz zurechnen lassen (vgl. dazu Tipke/Kruse, a.a.O., § 56 FGO Tz. 4), daß der Vertretene für das Verschulden seiner Vertreter einstehen muß.

Unschlüssig ist das Vorbringen der Klägerin auch, soweit sie Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs fällt nicht unter die in § 116 Abs. 1 FGO abschließend aufgezählten Verfahrensmängel (ständige Rechtsprechung des BFH, z.B. Beschlüsse vom 17. Februar 1988 VII R 114/87, BFH/NV 1988, 716; vom 9. Februar 1988 VII R 96/87, BFH/NV 1988, 650; vom 2. Dezember 1987 IX R 279/87, BFH/NV 1988, 382).

2. Die von der Klägerin neben der Revision unmittelbar beim BFH erhobene Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig.

Sie ist nicht innerhalb eines Monats seit Zustellung des Urteils (§ 115 Abs. 3 Satz 1 FGO) bei dem FG eingelegt (§ 115 Abs. 3 Satz 2 FGO) und begründet worden (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 26. Mai 1988 V B 42/88, BFH/NV 1988, 795). Gründe, die für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1, Abs. 2 FGO) sprechen könnten, sind bei der vorhandenen eindeutigen Rechtsmittelbelehrung durch das FG und der Einlegung durch einen Rechtsanwalt nicht erkennbar. Unter diesen Umständen ist unerheblich, ob die Nichtzulassungsbeschwerde außerdem unter einer unzulässigen Bedingung (vgl. dazu allgemein BFH-Beschluß vom 19. November 1985 VII B 70/85, BFH/NV 1986, 344; Herrmann, Die Zulassung der Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde im Steuerprozeß, 1986, Rdnr. 112 f.) erhoben worden war.

Der Senat konnte die bei dem BFH eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verwerfen, ohne vorher eine Nichtabhilfeentscheidung des FG (§ 115 Abs. 5 Satz 1 FGO) herbeizuführen. Wegen der bezeichneten Gründe für die Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde hätte das FG nicht abhelfen dürfen. Würde es gleichwohl in einer Abhilfeentscheidung die Revision zulassen, wäre der BFH daran nicht gebunden, weil die Revisionszulassung offensichtlich gesetzwidrig wäre (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 9. November 1988 II R 20/86, BFHE 155, 23, BStBl II 1989, 109, m.w.N.). Unter diesen Umständen würde die Rückgabe der Akten an das FG zur Herbeiführung der Nichtabhilfeentscheidung lediglich zu einer Verfahrensverzögerung führen. Dies wäre nicht durch den Sinn des Abhilfeverfahrens gerechtfertigt (vgl. dazu Tipke/Kruse, a.a.O., § 130 FGO Tz. 1), aus verfahrensökonomischen Gründen das Rechtsmittelgericht nicht mit begründeten Beschwerden zu beschäftigen. Unter den bezeichneten Voraussetzungen kann deshalb ausnahmsweise auf eine Nichtabhilfeentscheidung des FG verzichtet werden (vgl. auch BFH-Beschlüsse vom 3. Mai 1984 1984, 562; vom 11. April 1989 VII B 68/89; vom 22. Juni 1988 IV B 79/88; vom 6. Dezember 1984 VI R 120/84, nicht veröffentlicht).

 

Fundstellen

BStBl II 1989, 850

BFHE 157, 308

BB 1989, 1817-1817 (L1-2)

DB 1989, 2056 (ST)

DStR 1989, 636 (KT)

HFR 1989, 624 (LT)

StRK, R. 8a (LT)

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