Entscheidungsstichwort (Thema)

Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung im Falle einer Ermessensentscheidung; Verfahrensfehler

 

Leitsatz (NV)

1. Wird die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage geltend gemacht, wann und in welcher Höhe Verspätungszuschläge zu mindern sind, wenn die ursprüngliche Steuerfestsetzung zu hoch gewesen ist, muß die Beschwerdeschrift sich mit den vom Gesetzgeber in § 152 Abs. 2 der AO 1977 festgelegten Vorgaben zur Ermessensausübung und der zu dieser Vorschrift ergangenen Rechtsprechung des BFH auseinandersetzen.

2. Die Behauptung, die Vorschriften der §§ 149 i. V. m. 109 AO 1977 und § 152 AO 1977 würden wegen des der Verwaltung eingeräumten Ermessens gegen das Grund gesetz verstoßen, weil wegen der unterschiedlichen Handhabung der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und Gleichheit verletzt sei, genügt zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht (§ 115 Abs. 3 S. 3 FGO).

3. Zur schlüssigen Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 96 FGO), mangelhafter Sachaufklärung (§ 76 FGO) und zur Rüge, das FG hätte das Ruhen des Verfahrens anordnen müssen, gehört auch die Darlegung, daß bei Beachtung der vom Beschwerdeführer für notwendig gehaltenen Maßnahmen eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, Abs. 3 S. 3; AO 1977 §§ 109, 149, 152 Abs. 2

 

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig und deshalb zu verwerfen.

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat weder die grundsätzliche Bedeutung einer bestimmten Rechtsfrage nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) noch einen Verfahrensmangel i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechend schlüssig gerügt.

Die Beschwerde gegen ein nach § 105 Abs. 5 FGO abgekürztes Urteil ist statthaft.

1. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache muß nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO in der Beschwerdeschrift dargelegt werden. Das bedeutet, daß der Kläger eine konkrete Rechtsfrage formuliert und die Beschwerdeschrift schlüssige und genaue Angaben darüber enthält, aus welchen Gründen im einzelnen die Klärung dieser Rechtsfrage durch die zu treffende Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und der Rechtsfortentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (ständige Rechtsprechung vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 27. Juni 1985 I B 27/85, BFHE 144, 137, BStBl II 1985, 625, und vom 27. Juni 1985 I B 23/85, BFHE 144, 133, BStBl II 1985, 605, m. w. N.). Hat sich die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits mit dem Problemkreis befaßt, in dessen Zusammenhang die vom Kläger für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Rechtsfrage steht, darf er sich nicht auf den allgemeinen Hinweis beschränken, daß dennoch klare und eindeutige Grundsätze in der BFH-Rechtsprechung fehlen würden. Die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit im Interesse der Allgemeinheit erfordert vielmehr, daß sich der Kläger mit der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung auseinandersetzt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 3. März 1995 VIII B 58/94, BFH/NV 1995, 974, und vom 10. August 1994 II B 54/94, BFH/NV 1995, 140) und darlegt, wieso diese Rechtsprechung nicht zu einer Klärung der Rechtsfrage geführt habe (BFH-Beschluß vom 23. Januar 1996 VIII B 57/95, BFH/NV 1996, 492).

Der Vortrag des Klägers, es sei erforderlich, daß der BFH eindeutige und verständliche Rechtsgrundsätze dazu aufstelle, wann und in welcher Höhe Verspätungszuschläge festzusetzen und wie diese zu mindern sind, wenn die ursprüngliche Steuerfestsetzung zu hoch gewesen ist, und inwieweit bei dieser Minderung des Verspätungszuschlages der wirtschaftliche (Zins-)Vorteil der Finanzbehörde zu berücksichtigen ist, der sich aus einer in der Regel zeitlich ver zögerten Erstattung von Steuerbeträgen ergebe, um die unsicheren Grenzen des Ermessensspielraums der Finanzverwaltung klarer einzugrenzen, genügt zur Darstellung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht. Die Beschwerdeschrift enthält weder eine Auseinandersetzung mit den vom Gesetzgeber in § 152 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) festgelegten Vorgaben noch mit der umfangreichen Rechtsprechung des BFH zur Ausübung des Ermessens bei der Festsetzung von Verspätungszuschlägen (vgl. z. B. zu den Ermessenserwägungen BFH-Beschluß vom 18. Januar 1995 I B 225/93, BFH/NV 1995, 853, m. w. N., und Urteil vom 30. April 1987 IV R 42/85, BFHE 149, 429, BStBl II 1987, 543; zur Ermittlung und Bewertung des gezogenen Zinsvorteils BFH-Urteil vom 26. April 1995 I R 28/94, BFHE 178, 1, BStBl II 1995, 680, m. w. N.; zur Änderung von Verspätungszuschlägen bei niedrigerer Steuerfestsetzung BFH-Urteil vom 16. Mai 1995 XI R 73/94, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1995, 599; zur Steuerfestetzung von 0 DM BFH- Urteil vom 27. Juni 1989 VIII R 73/84, BFHE 158, 103, BStBl II 1989, 955; zur Bewertung der Vorteile der Steuerpflichtigen und zur Nichtberücksichtigung von Nachteilen aus verzögerter Auszahlung von Erstattungsguthaben BFH-Urteil vom 12. Dezember 1990 I R 92/88, BFHE 163, 299, BStBl II 1991, 384) und zum Verhältnis des § 152 AO 1977 zu § 233 a AO 1977 BFH-Urteil vom 8. September 1993 I R 30/93 (BFHE 172, 304, BStBl II 1994, 81, unter II. 2.). Die Beschwerde enthält auch keine Ausführungen dazu, daß und unter welchen Gesichtspunkten die vorliegende Rechtsprechung des BFH zur Klärung der aufgeworfenen Rechtsfragen nicht geführt habe.

Soweit der Kläger die grundsätzliche Bedeutung auf einen Verstoß der Vorschriften des § 152 AO 1977 und des § 149 AO 1977 i. V. m. § 109 AO 1977 gegen das Grundgesetz (GG) stützen will, genügt die vorliegende Beschwerdeschrift den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO ebenfalls nicht. Wird die grundsätzliche Bedeutung darauf gestützt, daß die der Rechtsfrage zugrundeliegenden Rechtsnormen gegen das GG verstoßen, hat der Kläger zu erläutern, gegen welche Norm der Verfassung die Steuervorschrift seiner Ansicht nach verstößt, und dies näher zu begründen (vgl. Klein/Ruban, Der Zugang zum Bundesfinanzhof, S. 71, 72 Teilziffer 160 sowie BFH-Beschluß vom 1. September 1995 VIII B 12/95, BFH/NV 1996, 228). Der Vortrag, daß der Verwaltung in den genannten Normen ein Ermessen eingeräumt worden sei, das gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und wegen der unterschiedlichen Handhabung durch die Finanzbehörden auch gegen Art. 3 GG verstoße, erschöpft sich in der bloßen Behauptung der Verfassungwidrigkeit. Das reicht nicht aus (vgl. BFH-Beschluß vom 27. März 1992 III B 547/90, BFHE 168, 17, BStBl II 1992, 842, unter 2. c, Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Rz. 62, m. w. N.). Hier fehlen insbesondere Darlegungen dazu, daß der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit nicht eingehalten hätte (vgl. z. B. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- vom 11. Februar 1992 1 BvL 29/87, BVerfGE 85, 238, 244 f., und BFH-Beschluß vom 28. Oktober 1993 V B 86/93, BFH/NV 1994, 425). Schließlich hat das BVerfG die Regelung des § 152 Abs. 2 AO 1977 im Beschluß vom 19. Februar 1987 1 BvR 1323/86, HFR 1988, 34 bestätigt.

In bezug auf die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob eine Verpflichtung zur Abgabe von Umsatzsteuererklärungen auch dann bestehe, wenn der Umsatzsteuersonderprüfer des Finanzamts in seinem Bericht die zurückzuzahlenden Vorsteuerbeträge zutreffend festgelegt habe und weitere Besteuerungsgrundlagen nicht in Betracht kämen, und ob in einem solchen Fall auf einen Verspätungszuschlag zu verzichten sei, fehlt es an der Darlegung, aus welchen Gründen die Frage über das individuelle Interesse des Klägers hinaus für die Allgemeinheit von Bedeutung und daher klärungsbedürftig sei (vgl. dazu Herrmann, Die Zulassung der Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde im Steuerprozeß, Rdnr. 151, 152 und BFH-Beschluß vom 12. März 1996 VIII B 134/95, BFH/NV 1996, 691).

2. Der Kläger hat auch keinen Verfahrensfehler schlüssig gerügt (§§ 115 Abs. 2 Nr. 3, 115 Abs. 3 Satz 3 FGO).

a) Mit dem Vortrag, das Finanzgericht (FG) habe die Frage der Ermessensüberschreitung nicht geprüft, weil es sich mit dem klägerischen Vorbringen, wie die wirtschaftlichen Zinsvorteile des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt -- FA --) infolge der späteren Erstattung herabzusetzender Steuern bei der Bemessung des Verspätungszuschlages zu berücksichtigen seien nicht auseinandergesetzt und weil es nur auf eineinhalb Seiten zu den strittigen Punkten Stellung genommen habe, rügt der Kläger im Kern einen Begründungsmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO, auf den er die Nichtzulassungsbeschwerde nicht stützen kann. Denn ein Rechtsschutzbedürfnis für die Nichtzulassungsbeschwerde besteht nur insoweit, als damit nicht unter § 116 Abs. 1 FGO, der für die dort abschließend genannten schwerwiegenden Verfahrensverstöße die zulassungsfreie Verfahrensrevision eröffnet, fallende Verfahrensmängel geltend gemacht werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 9. Juni 1986 IX B 90/85, BFHE 146, 395, BStBl II 1986, 679, und vom 2. September 1987 II B 103/87, BFHE 150, 445, BStBl II 1987, 785; Gräber/Ruban, a. a. O., Rz. 21 Vor § 115, § 115 Rz. 31).

b) Soweit der Kläger eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO) darin sieht, daß das FG seine Klagebegründungsgesichtspunkte zwar einzeln aufgeführt, sie aber nicht beurteilt und bewertet habe, erfüllen seine Ausführungen nicht die formellen Anforderungen an die Rüge. Der Verfahrensmangel der Versagung des rechtlichen Gehörs ist u. a. nur dann ausreichend dargelegt, wenn der Kläger vorträgt, was er bei Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte (Gräber/Ruban, a. a. O., § 119 Teilziffer 13; BFH-Urteil vom 1. Juni 1989 V R 72/84, BFHE 157, 255, BStBl II 1989, 677). Wird die Verletzung des rechtlichen Gehörs mit der Begründung gerügt, das FG habe einen bestimmten Sachvortrag nicht zur Kenntnis genommen, muß ferner angegeben werden, daß bei Berücksichtigung des übergangenen Sachvortrags eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre. Zudem hat der Kläger vorzutragen, inwieweit er alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, sich das rechtliche Gehör vor dem FG zu verschaffen (BFH- Beschluß vom 14. März 1989 V B 77/88, BFH/NV 1990, 509).

Der Kläger hat nicht dargelegt, was er noch vorgetragen hätte. Es fehlen auch Ausführungen dazu, daß bei Berücksichtigung seines Sachvortrages eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre. Dazu hätte aber Anlaß bestanden, denn das FG hat in den Entscheidungsgründen -- zutreffend -- darauf hingewiesen, daß es die Ermessensentscheidung der Verwaltung ohne Ausübung eigenen Ermessens lediglich auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen hat (§ 102 FGO), und ausdrücklich klargestellt, daß eine eventuelle Steuerherabsetzung zu einer erneuten Ermessenausübung durch die Verwaltung führen müßte.

Der Kläger hat auch nicht dargelegt, daß er alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, sich das rechtliche Gehör zu verschaffen. Schließlich hat er an der mündlichen Verhandlung, die der Erörterung des Streitstoffes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht dient (§ 93 Abs. 1 FGO) ohne Angabe von Gründen nicht teilgenommen, obwohl er ordnungsgemäß geladen war.

Die gleichen Erwägungen gelten für die Rüge des Klägers, das rechtliche Gehör sei verletzt, weil er vor der mündlichen Verhandlung keine Gelegenheit zur Äußerung zu der Feststellung des Gerichts, der Verspätungszuschlag sei nicht Geldbuße, noch Strafe, noch Zins, erhalten habe. Der Kläger hat hierzu auch nicht dargelegt, daß es sich um einen für die Entscheidung maßgeblichen Rechtssatz handelt (vgl. dazu Ruban, a. a. O., § 119 Teilziffer 10 a, m. w. N.; Herrmann, a. a. O., Rdnr. 198, 230 ff., 233).

c) Auch die Rüge, das FG habe den Sachverhalt nicht ausreichend festgestellt (§ 76 FGO), ist nicht schlüssig erhoben. Die Rüge mangelnder Sachaufklärung erfordert u. a. die Darlegung, daß die nichtberücksichtigten Tatsachen auch aus der Sicht des FG entscheidungserheblich gewesen wären (BFH-Urteil vom 10. Mai 1990 V R 17/85, BFH/NV 1991, 201, I. 1). Dazu hätte der Kläger schlüssig dartun müssen, welchen Einfluß die Berücksichtigung der von ihm im Rechtsstreit wegen Einkommensteuer 1986/1987 vorgetragenen Gesichtspunkte auf das Ergebnis der vom FG vorzunehmenden Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidung der Oberfinanzdirektion (OFD) hätte haben können. Das hat der Kläger nicht dargelegt. Schon deshalb ist der gerügte Verfahrensmangel nicht schlüssig dargetan.

d) Der Einwand des Klägers, das FG habe seinen Antrag auf Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung über das Klageverfahren zur Einkommensteuer 1990 nicht beachtet, genügt zur schlüssigen Rüge eines Verfahrensmangels ebenfalls nicht. Zwar ist das Ruhen des Verfahrens ein Sonderfall der Aussetzung (BFH-Urteil vom 1. Dezember 1967 III 205/65, BFHE 91, 261, BStBl II 1968, 302). Die Anordnung des Ruhens des Verfahrens nach § 155 FGO i. V. m. § 251 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ist indes nur möglich, wenn beide Parteien dies beantragen (BFH-Beschluß vom 29. November 1991 III R 207/90, BFH/NV 1992, 610). Daß dieses Erfordernis im finanzgerichtlichen Verfahren vorgelegen hätte, hat der Kläger nicht behauptet. Es ist auch nach Aktenlage nicht ersichtlich. Das Vorbringen genügt auch nicht den Anforderungen an die schlüssige Rüge, das FG hätte das Verfahren -- von Amts wegen -- aussetzen müssen (§ 74 FGO). Die Beschwerde hat nicht dargetan, inwiefern die Aussetzung im Hinblick darauf, daß Gegenstand der richterlichen Überprüfung nach § 102 FGO die Ermessensausübung der Behörde zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung war (vgl. BFH-Urteil vom 29. März 1979 V R 69/77, BFHE 128, 17, BStBl II 1979, 641, und vom 27. Februar 1991 XI R 23/88, BFH/NV 1991, 430), den materiellen Inhalt der FG-Entscheidung hätte beeinflussen können.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ab.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421951

BFH/NV 1997, 578

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