Leitsatz (amtlich)

Hat das FA zunächst durch einen vorläufigen Umsatzsteuerbescheid eine negative Steuerzahlungsschuld festgesetzt und setzt es im endgültigen Umsatzsteuerbescheid die Umsatzsteuer auf 0 DM fest, so handelt es sich bei dem endgültigen Umsatzsteuerbescheid hinsichtlich der Differenz um einen vollziehbaren Verwaltungsakt, dessen Vollziehung bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 69 Abs. 3 FGO insoweit ausgesetzt werden kann.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 3; UStG 1967 §§ 16, 18

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH & Co. KG, befaßt sich mit der Errichtung und dem Betrieb von Hotelbauten im Ausland. Bei ihrer Gründung im August 1970 waren ein Komplementär (die geschäftsführende GmbH) und zwei Kommanditisten beteiligt. Im Streitjahr 1970 wurden keine steuerbaren Umsätze bewirkt. Die Klägerin befaßte sich neben der Errichtung der Hotelbauten im Ausland mit der Werbung von Kommanditisten, die zur Ausgabe von Kommanditanteilen an weitere ... Kommanditisten führte. Die Werbetätigkeit wurde von der geschäftsführenden GmbH durchgeführt. Diese stellte ihre Leistungen der Klägerin in Rechnung, wobei sie Umsatzsteuer von insgesamt ... DM gesondert auswies.

Entsprechend der von der Klägerin abgegebenen Umsatzsteuererklärung 1970, in der die Entgelte für steuerbare Umsätze mit 0 DM und die abziehbaren Vorsteuerbeträge mit ... DM angegeben waren, so daß sich ein Erstattungsbetrag (negative Steuerzahlungsschuld) von ... DM ergab, setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (FA) die Umsatzsteuer 1970 durch einen gemäß § 100 Abs. 2 AO vorläufigen Bescheid vom 5. April 1972 auf eine negative Steuerzahlungsschuld von ... DM fest. Dieser Betrag wurde an die Klägerin ausgezahlt. Nach einer Umsatzsteuersonderprüfung vom März 1972, deren Feststellungen dem zuständigen Veranlagungsbezirk des FA im Mai 1972 zugeleitet wurden, stellte sich das FA auf den Rechtsstandpunkt, daß die der Klägerin im Zusammenhang mit der Ausgabe der Kommanditanteile von der GmbH in Rechnung gestellte Umsatzsteuer wegen der Steuerfreiheit dieser Umsätze nach § 4 Nr. 8 UStG 1967 nicht als Vorsteuer abgezogen werden könne (§ 15 Abs. 2 UStG 1967). Es erließ daher gemäß § 225 AO einen berichtigten und endgültigen Steuerbescheid 1970 vom 21. Juli 1972, mit dem die Umsatzsteuer auf 0 DM festgesetzt wurde.

Die Klägerin hat gegen diesen Bescheid Sprungklage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Den gleichzeitig gestellten Antrag der Klägerin, die Vollziehung des endgültigen Umsatzsteuerbescheides 1970 gemäß § 69 Abs. 3 FGO bis zur Entscheidung des FG in der Hauptsache auszusetzen, hat das FG abgelehnt. Nach seiner Auffassung bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Annahme, daß die Ausgabe von Kommanditanteilen nach § 4 Nr. 8 UStG 1967 steuerfrei ist mit der Folge, daß hinsichtlich der mit diesen Leistungen im Zusammenhang stehenden Vorsteuerbeträge das Vorsteuerabzugsverbot des § 15 Abs. 2 UStG 1967 eingreift.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde, mit der die Klägerin im wesentlichen folgendes geltend macht. Die Zweifelhaftigkeit der Rechtslage, die zu einer Aussetzung der Vollziehung nötige, ergebe sich schon aus den gegensätzlichen Meinungen im Schrifttum und in der Rechtsprechung der FG. Außerdem habe das FA zu Unrecht das Vorliegen eines Leistungsaustausches bejaht. Die Aufnahme von neuen Kommanditisten sei ein nichtsteuerbarer Vorgang, der den Abzug der ihr in diesem Zusammenhang in Rechnung gestellten Steuern als Vorsteuern nicht ausschließe.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen. Es teilt im wesentlichen die vom FG eingenommene Rechtsauffassung.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO i. V. m. Abs. 2 Satz 2 dieser Vorschrift soll das Gericht auf Antrag des Steuerpflichtigen die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsakts bestehen. Voraussetzung für die Statthaftigkeit eines solchen Antrages ist, daß der Verwaltungsakt, dessen Aussetzung begehrt wird, vollzogen werden kann. Dies ist bei solchen Bescheiden der Fall, die dem Steuerpflichtigen eine Leistungspflicht auferlegen oder - wie bei Grundlagenbescheiden - die Grundlage für eine Leistungspflicht legen (vgl. den Beschluß des Senats vom 28. November 1974 V B 44/74, BFHE 114, 171, BStBl II 1975, 240). Der endgültige Umsatzsteuerbescheid 1970, der auf 0 DM lautet, enthält für sich allein betrachtet eine solche Leistungspflicht nicht. Er kann jedoch nicht isoliert gesehen werden, sondern muß zu dem vorausgegangenen vorläufigen Umsatzsteuerbescheid 1970 in Beziehung gesetzt werden. Es ergibt sich dann, daß aus dem endgültigen Umsatzsteuerbescheid 1970 eine Leistungspflicht der Klägerin folgt, die auf die Rückzahlung des erstatteten Betrages von ... DM gerichtet ist. Der von der Klägerin gestellte Aussetzungsantrag ist daher statthaft.

Er ist auch der Sache nach begründet. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts zu bejahen sind, wenn bei summarischer Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechts- und Tatfragen bewirken. Dabei brauchen die für die Unrechtmäßigkeit des Verwaltungsakts sprechenden Bedenken nicht zu überwiegen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 30. Juni 1967 III B 21/66, BFHE 89, 92, BStBl III 1967, 533, und vom 3. Juli 1968 I S 2, 3/68, BFHE 92, 550, BStBl II 1968, 660). So hat sich der BFH u. a. dann für eine Aussetzung der Vollziehung ausgesprochen, wenn die Gesetzeslage unklar ist, die streitige Rechtsfrage vom BFH noch nicht entschieden ist, im Schrifttum Bedenken gegen die Rechtsauffassung des FA erhoben werden und die Finanzverwaltung die Zweifelsfrage in der Vergangenheit nicht einheitlich beurteilt hat (vgl. BFH-Beschluß vom 22. September 1967 VI B 59/67, BFHE 90, 253, BStBl II 1968, 37).

Ähnlich liegen die Dinge auch hier. Die Rechtsfrage wird uneinheitlich beurteilt. Eine höchstrichterliche Entscheidung liegt noch nicht vor. Teilweise wird in der Ausgabe von Kommanditanteilen ein nach § 4 Nr. 8 UStG 1967 steuerfreier Umsatz gesehen, der zum Ausschluß vom Vorsteuerabzug führt. In diesem Sinne hat das FG Hamburg im Urteil vom 27. September 1973 VI 107/72 (EFG 1974, 88) entschieden. Diese Meinung wird offensichtlich auch von der Finanzverwaltung geteilt (vgl. Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 28. Juni 1969 - IV A/3 - S 7300 - 48/69, Abschn: F Teil V Abs. 4, BStBl I 1969, 349, USt-Kartei § 15 S 7306 Karte 1). Dagegen sehen das FG Berlin im Urteil vom 27. Mai 1971 I 155/70 (EFG 1971, 515) und das Schleswig-Holsteinische FG im Urteil vom 7. August 1973 III 58/72 (EFG 1973, 565, Umsatzsteuer-Rundschau 1973 S. 283 - UStR 1973, 283 -) den Eintritt neuer Kommanditisten als einen nichtsteuerbaren Vorgang an. Eine dritte Meinung, die ebenso wie die vorhergehende den Vorsteuerabzug zuläßt, wird vom FG München im Urteil vom 19. September 1973 III 67/72 U (UStR 1973, 285) vertreten. Das FG sieht in der Aufnahme neuer Gesellschafter einen Vorgang, der sich außerhalb des unternehmerischen Bereichs vollzieht (vgl. wegen der Einzelheiten des Meinungsstreits auch Mößlang, UStR 1973, 85). Nach Auffassung des Senats rechtfertigen die in dieser Rechtsprechung zutage tretenden Gesichtspunkte, die für eine Unrechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen und eine Unentschiedenheit und Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidenden Rechtsfrage bewirken, die Aussetzung der Vollziehung.

 

Fundstellen

BStBl II 1975, 239

BFHE 1975, 169

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