Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Gewährung rechtlichen Gehörs in Fällen des Art. 3 § 5 VGFGEntlG; Vertretungszwang vor dem BFH und Gewährung von Prozeßkostenhilfe

 

Leitsatz (NV)

1. Das FG verletzt den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör, wenn es die Klage gemäß Art. 3 § 5 VGFGEntlG ohne mündliche Verhandlung und ohne entsprechenden Hinweis als unzulässig abweist, obwohl der Kläger ein ärztliches Attest, aus dem eine schwere Erkrankung ersichtlich ist, vorgelegt hat mit der Bitte, zunächst keine Termine anzuberaumen. Eine hierauf gestützte Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision hat hinreichende Aussicht auf Erfolg.

2. Legt der Kläger persönlich eine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ein und beantragt er gleichzeitig für dieses Verfahren Prozeßkostenhilfe, so wird der auf der Nichtbeachtung des Vertretungszwangs vor dem BFH beruhende Mangel geheilt, wenn der Kläger die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des die Prozeßkostenhilfe bewilligenden Beschlusses durch den beigeordneten Prozeßbevollmächtigten begründen läßt.

 

Normenkette

FGO § 142; ZPO § 114; BFHEntlG Art. 1 Nr. 1; VGFGEntlG Art. 3 § 5

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Der Antragsteller erhob gegen den Einkommensteuerbescheid 1983 und die Einspruchsentscheidung im November 1985 Klage. Am 3. Juni 1986 bat er unter Vorlage eines ärztlichen Attestes, das ihm schwere Depressionen bescheinigte und eine stationäre Behandlung in Aussicht stellte, keinen Gerichtstermin anzuberaumen. Er wolle sich sofort melden, wenn er wieder in besserer gesundheitlicher Verfassung sei.

Das Finanzgericht (FG) wies durch Urteil vom 8. Juli 1987 die Klage gemäß Art. 3 § 5 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) ohne mündliche Verhandlung und ohne entsprechenden Hinweis als unzulässig ab, da der Antragsteller keine Tatsachen angeführt habe, die das Gericht bei seiner Entscheidung hätte berücksichtigen sollen. Die Vorentscheidung ist dem Antragsteller am 15. August 1987 zugestellt worden.

Gegen die Nichtzulassung der Revision legte der Antragsteller selbst Beschwerde ein. Zugleich begehrt er für das Beschwerdeverfahren die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (PKH).

Er ist der Auffassung, das FG habe den Anspruch auf sein rechtliches Gehör verletzt, da es trotz seiner Fristverlängerungsanträge und ohne vorherige Ankündigung ohne mündliche Verhandlung entschieden habe. Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse legte der Antragsteller dem Bundesfinanzhof (BFH) erst am 13. Januar 1988 vor. Für die verspätete Einreichung des Vordrucks begehrt der Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, was er mit Unkenntnis und seiner Krankheit begründet.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA - ) hält den Antrag auf Gewährung der PKH für unbegründet. Zum einen sei der Vordruck zur Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse verspätet eingegangen. Zum anderen habe die Nichtzulassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag ist begründet. Dem Antragsteller ist für die Beschwerde betreffend Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des FG PKH zu bewilligen. Ihm werden seine bisherigen Prozeßbevollmächtigten beigeordnet.

Nach § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) wird einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht aufbringen kann, auf Antrag PKH gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Daß die subjektiven Voraussetzungen für die Gewährung der PKH erfüllt sind, hat der Antragsteller gemäß § 117 Abs. 2 bis 4 ZPO durch eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse darzutun, die auf einem amtlichen Vordruck zu erfolgen hat.

Der Antragsteller hat eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt. Danach ist er nicht in der Lage, die Kosten der Prozeßführung aufzubringen. Unschädlich ist, daß der Antragsteller den Vordruck verspätet eingereicht hat. Der Senat gewährt dem Antragsteller insoweit für seine Fristversäumnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, da nach den eingereichten Schriftsätzen davon auszugehen ist, daß der Antragsteller wegen seiner Krankheit (u. a. Depressionen) nicht in der Lage war, die Fristen einzuhalten.

Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des FG bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg. Unerheblich ist dabei, daß die bereits eingelegte Beschwerde, da sie vom Antragsteller selbst eingelegt und damit der erforderliche Vertretungszwang nicht beachtet worden ist, noch unzulässig ist. Dieser Mangel ist geheilt, wenn der Antragsteller innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses PKH-Beschlusses die Beschwerde durch seine beigeordneten Rechtsanwälte begründen läßt.

Die Beschwerde bietet nach dem bisherigen Vortrag des Antragstellers hinreichende Aussicht auf Erfolg, da das FG mit seinem Urteil den Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör verletzt hat. Der Antragsteller hatte dem FG ein Attest seines Arztes vorgelegt und darum gebeten, keine Termine anzuberaumen. Er hat weiter darauf hingewiesen, er werde sich melden, wenn es ihm gesundheitlich wieder besser gehe. Aus dem Attest war eine schwere Erkrankung des Antragstellers ersichtlich. Unter diesen Umständen durfte das FG keine Entscheidung nach Art. 3 § 5 VGFGEntlG ohne mündliche Verhandlung erlassen, ohne den Antragsteller zuvor auf die Rechtslage aufmerksam gemacht und ohne sich nach dessen Gesundheitszustand erkundigt zu haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415920

BFH/NV 1989, 117

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