Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsätzliche Bedeutung; Fortbildung des Rechts; Einheitlichkeit der Rechtsprechung; rechtliches Gehör

 

Leitsatz (NV)

1. Die bloße Kritik an der Entscheidung des FG, es habe unkritisch und unbedenklich die Feststellungen des Finanzamts übernommen und daran nicht einmal andeutungsweise Zweifel geäußert, wirft keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf.

2. Von einer Entscheidung des BFH in einer Sache, in der die Ergebnisse einer Fahndungsprüfung streitig sind, ist keine Fortbildung des Rechts zu erwarten.

3. Mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, die Vorgehensweise des FG stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH zum Maßstab, der an die Überprüfungspflicht der Finanzgerichte hinsichtlich der vorgerichtlichen Feststellungen zu stellen ist, werden die Erfordernisse an die Darlegung einer Divergenz nicht erfüllt.

4. Steht einem Beschwerdeführer zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde die verlängerte Begründungsfrist zur Verfügung, so ist er bei einer Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht von der Pflicht befreit darzulegen, was er ohne den behaupteten Verfahrensmangel vorgebracht hätte, selbst wenn der Prozessbevollmächtigte erst kurz vor der mündlichen Verhandlung bestellt wurde.

5. Wer trotz Teilnahme an der mündlichen Verhandlung die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör mit der Begründung rügt, ihm sei Akteneinsicht versagt worden, muss mit der Nichtzulassungsbeschwerde darlegen, dass er den behaupteten Verfahrensverstoß bereits in der mündlichen Verhandlung gerügt hat.

6. Wer rügt, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht verletzt, muss darlegen, dass er in der mündlichen Verhandlung auf seine in der Klageschrift gestellten Beweisanträge bestanden hat bzw. aus welchen Gründen das FG auch ohne entsprechenden Beweisantritt den Sachverhalt hätte weiter aufklären müssen.

 

Normenkette

FGO § 76 Abs. 1, § 115 Abs. 2, § 116 Abs. 3 S. 3

 

Verfahrensgang

FG Münster (Urteil vom 21.12.2005; Aktenzeichen 1 K 5991/02 U)

 

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebotenen Weise dargelegt.

1. Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) ist nur dann schlüssig dargelegt, wenn der Beschwerdeführer eine bestimmte, für die Entscheidung des Streitfalles erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellt und substantiiert darauf eingeht, inwieweit diese Rechtsfrage klärungsbedürftig, d.h. in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen sie umstritten ist (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 32, m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Es fehlt bereits an der Herausarbeitung einer hinreichend konkretisierten abstrakten Rechtsfrage, deren Beantwortung für die Entscheidung des Streitfalles rechtserheblich sein könnte. Die Ausführungen der Klägerin bestehen darin, Kritik an der Entscheidung des Finanzgerichts (FG) zu üben, dem sie vorhält, die aufgrund einer Fahndungsprüfung getroffenen Feststellungen des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) unkritisch und unbedenklich übernommen und daran nicht einmal andeutungsweise Zweifel geäußert zu haben. Eine abstrakte Rechtsfrage, deren Klärung für die Allgemeinheit von Bedeutung ist, ist darin nicht zu erkennen.

Einwände, die sich allein gegen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils wenden, sind grundsätzlich nicht geeignet, das für das Zulassungsverfahren erforderliche Allgemeininteresse zu indizieren (vgl. Senatsentscheidung vom 28. August 2001 X B 60/01, BFH/NV 2002, 347, m.w.N.).

2. Auch für den Zulassungsgrund der Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) muss der Beschwerdeführer in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde eine noch ungeklärte Rechtsfrage aufwerfen oder darlegen, dass gegen eine bestehende höchstrichterliche Rechtsprechung gewichtige Argumente vorgebracht werden, die der BFH bisher noch nicht erwogen hat. Die Klägerin hat aber weder eine solche Rechtsfrage herausgearbeitet noch irgendwelche gewichtigen Argumente gegen eine bestehende höchstrichterliche Rechtsprechung angeführt. Von einer Entscheidung der Revisionsinstanz in ihrer Sache, in der die Ermittlungen und konkreten Ergebnisse einer Fahndungsprüfung streitig sind, ist keine Fortbildung des Rechts zu erwarten. Der Streitfall gibt keine Veranlassung, Leitsätze zur Auslegung des Gesetzes aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen (vgl. zu dieser Anforderung: Lange in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 115 FGO Rz 147).

3. Wird geltend gemacht, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung erfordere eine Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO), so muss der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung substantiiert darlegen, inwiefern über eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage unterschiedliche Auffassungen bei den Gerichten bestehen oder welche sonstigen Gründe eine höchstrichterliche Entscheidung gebieten (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 40). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung schon deshalb nicht gerecht, weil es die Klägerin unterlassen hat, einen abstrakten Rechtssatz aus dem angefochtenen Urteil herauszuarbeiten und einem entgegenstehenden abstrakten Rechtssatz aus einem Urteil eines anderen Gerichts gegenüberzustellen (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 7. August 2002 VII B 214/01, BFH/NV 2002, 1606). Ihr Vorbringen, "die Vorgehensweise des erstinstanzlichen Gerichts steht somit auch im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs hinsichtlich des Maßstabes, der an die Überprüfungspflicht der Finanzgerichte hinsichtlich der vorgerichtlichen Feststellungen zu stellen ist", genügt dafür ebenso wenig wie die Behauptung, der Behandlung des umfangreichen und komplexen Sachverhalts durch das FG komme "der Rang eines verfassungsrechtlich relevanten Verstoßes" zu.

4. Die begehrte Revisionszulassung kann nicht auf die von der Klägerin behaupteten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) gestützt werden.

a) Wird die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO) --hier durch die (angebliche) Versagung der begehrten Akteneinsicht-- gerügt, obwohl der Beschwerdeführer und sein Prozessbevollmächtigter an der mündlichen Verhandlung teilgenommen haben, so ist zur schlüssigen Rüge des behaupteten Verfahrensmangels der Vortrag erforderlich, dass der behauptete Verfahrensverstoß schon in der mündlichen Verhandlung gerügt worden ist. Weder hat die Klägerin vorgebracht, ihr Prozessbevollmächtigter habe in der mündlichen Verhandlung vor dem FG den (vorgeblichen) Mangel der versagten Akteneinsicht gerügt noch hat sie ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung eine solche Rüge erhoben. Sie hat auch nichts dargelegt, was dafür sprechen könnte, dass sie an einer solchen Rüge gehindert gewesen sein könnte.

Weiterhin ist die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nur dann schlüssig vorgebracht, wenn der Beschwerdeführer darlegt, was er ohne den behaupteten Verfahrensverstoß ausgeführt hätte (vgl. Senatsbeschluss vom 1. August 2005 X B 24/05, BFH/NV 2005, 2222). Diese Anforderung entfällt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht deshalb, weil ihr --erst zwei Wochen vor dem rund vier Wochen vorher auf den 21. Dezember 2005 anberaumten Termin-- zuletzt bestellter Prozessbevollmächtigter keine Gelegenheit zur Akteneinsicht gehabt habe und dessen Antrag auf Terminsverlegung erfolglos geblieben ist. Denn in der Zeit zwischen der Zustellung des Urteils (am 10. Januar 2006) und dem Ende der verlängerten Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde (10. April 2006) hatte die Klägerin ausreichend Zeit zur Akteneinsicht und zur Beschäftigung mit dem Prozessstoff, um daraus ableiten zu können, was sie vorgetragen hätte, wenn ihr das --ihrer Ansicht nach versagte-- rechtliche Gehör gewährt worden wäre. Gleiches gilt für ihren Einwand, mangels Akteneinsicht vor der mündlichen Verhandlung sei sie außer Stande gewesen zu prüfen, ob das angefochtene Urteil ohne Verstoß gegen den Inhalt der Akten zustande gekommen ist, um ggf. den sich daraus ergebenden Verfahrensmangel rügen zu können.

Im Übrigen steht die Rüge der Klägerin, ihr sei das rechtliche Gehör versagt worden, in Widerspruch zu ihrem eigenen Vorbringen in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde. Darin hält sie dem FG entgegen, es habe ihren "spezifizierten Vortrag nicht zuletzt in der mündlichen Verhandlung" außer Acht gelassen, mit dem sie "noch im Termin … umfangreich den Grund für die Fehler der Finanzbehörde bei der Feststellung des tatsächlichen Warenwertes gegenüber dem Gericht dargelegt" habe. Zudem erklärt der Prozessbevollmächtigte der Klägerin selbst, die Ausführungen seiner Vorgänger seien ihm bekannt gewesen. Diese Ausführungen erstreckten sich immerhin auf fast 20 Seiten und waren durch umfangreiche Anlagen ergänzt.

b) Für eine schlüssige Darlegung der Rüge, das FG habe die sich aus § 76 Abs. 1 FGO ergebende Sachaufklärungspflicht verletzt, ist es nicht ausreichend, wenn sich diese Rüge weitgehend darin erschöpft, dem FG pauschal vorzuhalten, es habe den vom FA angeblich festgestellten Sachverhalt und die darauf gründende Schätzung unkritisch und unbedenklich übernommen und daran nicht einmal andeutungsweise Zweifel angesprochen.

Zum einen ist, da es sich bei der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes um einen "verzichtbaren Mangel" i.S. von § 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung handelt, erforderlich vorzubringen, dass die unterlassene Sachaufklärung bereits in der mündlichen Verhandlung gerügt worden ist oder --wenn dies nicht geschehen sein sollte-- weshalb die Rüge dem Beschwerdeführer nicht möglich gewesen ist (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz 69, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH). Weder hat die Klägerin die entsprechende Rüge in der mündlichen Verhandlung erhoben noch hat sie dargelegt, weshalb sie daran gehindert gewesen sein könnte.

Zum anderen muss z.B. ausgeführt werden, welche Beweismittel zu welchen Beweisthemen das FG nicht erhoben hat, zu welchen Ergebnissen eine Beweisaufnahme geführt hätte (vgl. Senatsbeschluss vom 23. November 2005 X B 61/05, BFH/NV 2006, 251) und warum der Beschwerdeführer, sofern er --wie im Streitfall-- durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war, nicht von sich aus einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat, die Beweiserhebung sich aber dem FG auch ohne besonderen Antrag hätte aufdrängen müssen. Die in der mündlichen Verhandlung durch einen Rechtsanwalt vertretene Klägerin hat nicht dargelegt, dass sie in der mündlichen Verhandlung auf ihre in der Klageschrift gestellten Beweisanträge bestanden hat. Ausweislich des Protokolls hat sie rügelos zur Sache verhandelt und den Klageantrag gestellt. Sie hat auch nicht dargelegt, aus welchen Gründen das FG auch ohne entsprechenden Beweisantritt den Sachverhalt hätte weiter aufklären müssen. So wäre es z.B. an ihr gelegen, die Heranziehung von Bankbelegen zu erwirken, um ihre Einwendungen gegen die Zurechnung von Zinsen aus einer Verbindung mit einer in Luxemburg ansässigen Bank zu bekräftigen.

5. Soweit die Klägerin Verstöße gegen die Denkgesetze und allgemeinen Erfahrungssätze sowie gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze und -methoden rügt, verkennt sie, dass darin keine Verfahrensmängel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, sondern materiell-rechtliche Fehler liegen, welche für sich genommen die Zulassung der Revision nicht eröffnen (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. die Nachweise bei Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 76).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1718335

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