Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Billigkeitserlass bei hohen Spenden betagter Steuerpflichtiger

 

Leitsatz (NV)

Der Umstand, dass sich eine ‐ im Verhältnis zum Gesamtbetrag der Einkünfte sehr hohe ‐ Spende eines betagten Steuerpflichtigen auch im Wege des Zuwendungsvortrags zu dessen Lebzeiten möglicherweise nicht mehr in vollem Umfang einkommensteuerlich auswirken wird, rechtfertigt keinen Erlass der Einkommensteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen. Ein solcher Erlass würde die Wertung des Gesetzgebers, den Abzug von Zuwendungen auf 20% des Gesamtbetrags der Einkünfte zu begrenzen, für eine wesentliche Fallgruppe generell durchbrechen.

 

Normenkette

EStG § 10b Abs. 1 S. 1; AO § 163

 

Verfahrensgang

Hessisches FG (Urteil vom 09.12.2010; Aktenzeichen 13 K 1627/10)

 

Tatbestand

Rz. 1

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) leistete im Streitjahr 2009 --in dem sie das 84. Lebensjahr vollendet hatte-- eine Zuwendung zur Förderung steuerbegünstigter Zwecke (Spende) in Höhe von 155.000 €. Der Gesamtbetrag ihrer Einkünfte belief sich auf 38.037 €. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) zog auf der Grundlage des § 10b Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 7.608 € (20 % des Gesamtbetrags der Einkünfte) als Sonderausgabe ab, setzte die Einkommensteuer auf 4.801 € fest und erließ einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Spendenvortrags.

Rz. 2

Die Klägerin beantragte beim FA, aus sachlichen Billigkeitsgründen Spenden in einer Höhe abzuziehen, die bewirke, dass das zu versteuernde Einkommen den Eingangsbetrag der Grundtabelle nicht mehr überschreite, und die Einkommensteuer dementsprechend auf 0 € festzusetzen. Es verstoße gegen Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes, wenn sie im Hinblick auf ihr hohes Alter damit rechnen müsse, zu ihren Lebzeiten nicht mehr den gesamten Spendenvortrag einkommensteuerlich ausnutzen zu können, während jüngere Steuerpflichtige entsprechende Möglichkeiten hätten.

Rz. 3

Dieser Antrag blieb ebenso wie die anschließende Sprungklage ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, gerade die von der Klägerin begehrte Privilegierung würde zu einer Verletzung des Gleichheitssatzes führen, weil es sachlich nicht gerechtfertigt wäre, wenn die Klägerin wegen ihres Alters in den Genuss einer geringeren Steuerfestsetzung käme. Bei Spenden handele es sich --anders als bei Verlusten im Rahmen der Einkunftserzielung-- um freiwillige Aufwendungen. Auch eine erdrosselnde Wirkung der Steuerbelastung sei angesichts des Verhältnisses zwischen der festgesetzten Einkommensteuer und der Höhe der Einkünfte der Klägerin nicht erkennbar.

Rz. 4

Die Klägerin begehrt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und zur Fortbildung des Rechts.

Rz. 5

Das FA hält die Beschwerde für unzulässig.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 6

II. Die Beschwerde ist --bei erheblichen Zweifeln daran, ob die gesetzlichen Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) überhaupt erfüllt sind-- jedenfalls unbegründet.

Rz. 7

1. Grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2011 X B 43/10, BFH/NV 2011, 636, unter II.1.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

Rz. 8

Im Kern wendet sich die Klägerin dagegen, dass der Gesetzgeber bei Schaffung des in § 10b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG genannten Höchstbetrags von 20 % des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht nach dem Alter des Steuerpflichtigen differenziert hat. Die hiermit im Zusammenhang stehenden verfassungsrechtlichen Fragen wären aber in einem künftigen Revisionsverfahren im Streitfall, der sich auf ein --vom Steuerfestsetzungsverfahren zu trennendes-- Billigkeitsverfahren beschränkt, nicht klärungsfähig.

Rz. 9

Die Einwendungen der Klägerin beziehen sich letztlich nicht auf einen atypischen Einzelfall, sondern werfen die Frage auf, ob älteren Steuerpflichtigen, die von der Begrenzung der für Zuwendungen geltenden Abzugsmöglichkeit betroffen sind, von Verfassungs wegen generell ein im Vergleich zu jüngeren Steuerpflichtigen höheres Abzugsvolumen eingeräumt werden muss.

Rz. 10

Nach ständiger Rechtsprechung sowohl des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) als auch des BFH dürfen Billigkeitsmaßnahmen jedoch nicht die einem gesetzlichen Steuertatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestandes abhelfen. Daraus folgt, dass mit verfassungsrechtlich gebotenen Billigkeitsmaßnahmen nicht die Geltung des Gesetzes unterlaufen werden kann. Müssten solche Maßnahmen --wie hier die von der Klägerin begehrte Differenzierung zwischen älteren und jüngeren Steuerpflichtigen-- ein Ausmaß erreichen, dass sie die allgemeine Geltung des Gesetzes aufhöben, wäre das Gesetz als solches verfassungswidrig (vgl. zum Ganzen BVerfG-Beschlüsse vom 5. April 1978  1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102, unter C.II.3., und vom 3. September 2009  1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115, unter III.2.a; BFH-Urteil vom 25. November 1997 IX R 28/96, BFHE 185, 94, BStBl II 1998, 550, unter II.1.b; Senatsbeschluss vom 19. Mai 2011 X B 184/10, BFH/NV 2011, 1659, unter II.b aa).

Rz. 11

Die genannten Fragen könnten daher nur Gegenstand eines Rechtsmittelverfahrens gegen die Einkommensteuerfestsetzung als solche sein, sind aber nicht im hier zu beurteilenden Billigkeitsverfahren klärungsfähig.

Rz. 12

2. Bei dem Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) handelt es sich um einen speziellen Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache. Für seine Darlegung gelten daher regelmäßig die an eine auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO gestützte Beschwerdebegründung zu stellenden Anforderungen (ständige Rechtsprechung; vgl. aus jüngerer Zeit nur BFH-Beschluss vom 30. November 2010 VI B 100/10, BFH/NV 2011, 574, unter 2.). Da das Vorbringen der Klägerin insoweit über ihren Vortrag zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht hinausgeht, kann eine Zulassung im Streitfall auch nicht auf das Erfordernis einer Rechtsfortbildung gestützt werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2858064

BFH/NV 2012, 215

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