Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzung des Klageverfahrens wegen vorgreiflicher Verfahren

 

Leitsatz (NV)

Die Aussetzung eines von einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts angestrengten finanzgerichtlichen Klageverfahrens, das eine Rückstellung wegen Schadensersatzansprüchen gegen einen Gesellschafter betrifft, kann weder darauf gestützt werden, daß ein weiteres Gewinnfeststellungsverfahren gegenüber diesem Gesellschafter und einem Dritten eingeleitet wurde, noch daß hinsichtlich der Umsatzsteuerschuld des Schadensersatzgläubigers ein Klageverfahren beim Finanzgericht anhängig ist.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 164, 179 Abs. 2 S. 2, § 180 Abs. 1 Nr. 2a; FGO §§ 74, 121, 130; EStG § 5 Abs. 1, § 152 Abs. 7 S. 1 AktG 1965 bzw. § 249 Abs. 1 S. 1 HGB n. F; GmbHG § 46 Nr. 8

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Die bisher als Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) aufgetretenen Eheleute B und C. A (A) sind je zur Hälfte Gesellschafter einer Besitzpersonengesellschaft (künftig: Gesellschaft bürgerlichen Rechts -- GbR --) in D, die ihr Anlagevermögen an die A- GmbH (GmbH) verpachtet hat. Die GmbH, deren Gesellschafter-Geschäftsführer ebenfalls die Eheleute A sind, betreibt einen Kfz- Handel mit der Marke X.

Nach den Feststellungen einer Steuerfahndungsprüfung hat die GbR -- zunächst über private Konten der Tochter der Eheleute, F. A. -- dem X-Vertreter E kurzfristige Darlehen für Kfz-Geschäfte gewährt. Ab 1986 wurden E auch Darlehen mit Schecks über Konten der GmbH gegeben. E tilgte die Darlehen mit Zinsen kurzfristig aus neuen Darlehen, weil er die ersten Darlehen nicht für Kfz-Geschäfte, sondern zur Begleichung privater Schulden verwandt hatte. Die von ihm zum Schein auf Rechnungsvordrucken des Autohauses G ausgestellten Rechnungen über Autoverkäufe buchte die GmbH als Eingangsrechnungen. Sie selber stellte Ausgangsrechnungen an von E benannte Abnehmer. Die Steuerfahndung beließ es bei der in diesen Rechnungen ausgewiesenen Mehrwertsteuer (§ 14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes -- UStG --), kürzte aber die von der GmbH berücksichtigten Vorsteuern. Aufgrund dessen forderte das Finanzamt H von der GmbH Vorsteuern in Höhe von ca. ... DM zurück; insoweit schwebt bei dem Finanzgericht (FG) ein Klageverfahren unter dem Az. 6 K 2699/92.

Die GbR leitet hieraus einen gegen ihre Gesellschafterin A gerichteten Schadensersatzanspruch der GmbH ab, der im Sonderbetriebsvermögen von Frau A als Rückstellung zu passivieren sei. Die Eheleute A reichten daher für die Jahre 1986 bis 1988 geänderte Gewinnfeststellungs-Erklärungen und berichtigte Bilanzen ein, in denen sie zusätzliche Sonderbetriebsausgaben von ... DM für 1986 und von ... DM für 1987 geltend machten. Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) lehnte jedoch die entsprechende Änderung der unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Gewinnfeststellungsbescheide ab und hob den Nachprüfungsvorbehalt auf. Der Einspruch blieb erfolglos.

Im hiergegen namens der Eheleute A angestrengten Klageverfahren machten sie geltend: Sollte die GmbH endgültig zur strittigen Umsatzsteuer herangezogen werden, müsse die Gesellschafterversammlung gemäß § 46 Nr. 8 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) über die Erhebung eines Schadensersatzanspruches gegen Frau A als Gesellschafterin der GbR Beschluß fassen, auch um nicht -- bei Anspruchsverzicht -- mit einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) an Frau A belastet zu werden. Hierfür sei das FG-Verfahren 6 K 2699/92 vorgreiflich.

Eine Rückstellung wegen der drohenden Inanspruchnahme sei schon aufgrund der Haftung von Frau A als Gesellschafterin geboten.

Hinsichtlich der Beziehungen zwischen E und der GmbH bzw. der Frau A kommt nach ihrer Ansicht wie der des FA kein Gesellschaftsverhältnis in Betracht.

Der Senat bei dem FG setzte nunmehr mit Beschluß vom 3. August 1993 das Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aus.

Mit der hiergegen erhobenen Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, rügt das FA, daß es an vorgreiflichen Verfahren für die Aussetzung fehle.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet.

Der erkennende Senat geht abweichend von der Parteibezeichnung in dem angefochtenen Beschluß und durch die Beteiligten davon aus, daß die Klage von den Eheleuten A für die GbR als Klägerin erhoben wurde (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 48 Tz. 15, und Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 48 FGO Tz. 4, m. w. N.). Er läßt, da hier nicht entscheidungserheblich, unerörtert, ob es gemäß § 60 Abs. 3 FGO einer Beiladung von Frau A bedarf.

Die Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Aussetzungsbeschlusses. Es bedarf keiner Entscheidung, ob das FG bei der Bejahung der Zuständigkeit des Senats für den angefochtenen Beschluß anstelle des Einzelrichters zu Recht verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 79 a Abs. 1 FGO geäußert hat. Denn der Beschluß ist schon aus anderen Gründen aufzuheben, da die Voraussetzungen des § 74 FGO nicht erfüllt sind.

Nach dieser Vorschrift kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen ist. Bei der im Beschwerdeverfahren zu überprüfenden Ermessensentscheidung des FG kommt es nach ständiger Rechtsprechung darauf an, ob der Senat die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens für gegeben hält (vgl. den Senatsbeschluß vom 17. Dezember 1992 VIII B 88/92, VIII B 89/92, BFH/NV 1993, 419 Ziff. 3. b der Gründe, m. w. N.).

Wann ein i. S. des § 74 FGO vorgreifliches Verfahren im einzelnen vorliegt, ist zwar noch nicht abschließend geklärt (vgl. Gräber/Koch, a.a.O., § 74 Tz. 2). Jedoch ist es nach ständiger Rechtsprechung (vgl. Senatsbeschluß in BFH/NV 1993, 419 Ziff. 3. c der Gründe) anzunehmen, wenn ein Klageverfahren gegen einen Einkommensteuerbescheid Einkünfte betrifft, über deren Vorliegen mit Bindungswirkung für die Einkommensteuer im Verfahren der gesonderten und einheitlichen Feststellung gemäß §§ 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, 179 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zu befinden ist. Diese Gestaltung ist im vorliegenden Verfahren entgegen der Vorentscheidung jedoch nicht gegeben. Denn hier geht es nicht um die Einkommenbesteuerung der Gesellschafter, sondern um die im Gewinnfeststellungsverfahren zu erfassenden Einkünfte der Gesellschafter der klagenden GbR, nämlich ob diese eine Rückstellung wegen der etwaigen Schadensersatzpflicht bilden durfte. Davon geht an sich das FG zunächst auch aus. Soweit es sodann -- im Grunde hiervon abweichend -- auf das vom FA J eingeleitete Gewinnfeststellungsverfahren hinweist, betrifft dieses Verfahren nicht die Klägerin, sondern ein behauptetes Gesellschaftsverhältnis zwischen Frau A und E. Abgesehen davon, daß ein solches Gesellschaftsverhältnis für den vorliegenden Sachverhalt von den Beteiligten übereinstimmend verneint wird, wäre die Entscheidung in diesem Gewinnfeststellungsverfahren nicht vorgreiflich für die hier streitige Gewinnfeststellung. Denn ob eine Schadensersatzpflicht der BGB-Gesellschafterin A gegenüber der GmbH in Betracht kommt, hat das FG unabhängig davon zu entscheiden, ob sich auch oder alternativ eine aus Frau A und E bestehende Mitunternehmerschaft schadensersatzpflichtig gemacht haben könnte. Im vorliegenden Verfahren wäre das FG an eine bestandskräftige Entscheidung im Gewinnfeststellungsverfahren betreffend eine Mitunternehmerschaft zwischen Frau A und E nicht gebunden.

Die Vorentscheidung kann auch insoweit keinen Bestand haben, als sie die Aussetzung auf das hinsichtlich der Umsatzsteuerschuld der GmbH anhängige Klageverfahren stützt. Denn von dessen Entscheidung hängt ebenfalls weder die im vorliegenden Verfahren strittige Beurteilung der von der GbR gebildeten Rückstellung ab, noch hat die Entscheidung im Umsatzsteuerverfahren irgendeinen rechtlichen Einfluß auf das vorliegende Verfahren. Zwar bildet das Bestehen der strittigen Umsatzsteuerschuld der GmbH eine Voraussetzung für deren möglicherweise in Betracht kommenden Schadensersatzanspruch. Jedoch reicht die bloße Identität von Rechtsfragen nach ständiger Rechtsprechung nicht aus, um die Aussetzung gemäß § 74 FGO zu rechtfertigen (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 6. Oktober 1982 I R 71/82, BFHE 136, 521, BStBl II 1983, 48, und vom 14. März 1989 VIII R 96/84, BFH/NV 1989, 784). Die Entscheidung der im vorliegenden Verfahren streitigen Frage, ob die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung in den Streitjahren 1986 und 1987 vorgelegen haben, hängt gemäß § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes i. V. m. § 152 Abs. 7 Satz 1 des Aktiengesetzes 1965 bzw. § 249 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches n. F. u. a. davon ab, ob eine Verbindlichkeit mit einiger Wahrscheinlichkeit entsteht oder entstehen wird (vgl. Senatsurteil vom 19. Oktober 1993 VIII R 14/92, BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891 Ziff. 1 a, aa der Gründe, m. w. N.). Darüber ist nach objektiven Tatsachen zu entscheiden, die am Bilanzstichtag, spätestens aber bei Bilanzaufstellung aus der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns erkennbar sind (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH-Urteile vom 1. August 1984 I R 88/80, BFHE 142, 226, BStBl II 1985, 44, und vom 2. Oktober 1992 III R 54/91, BFHE 169, 423, BStBl II 1993, 153). Hierfür ist grundsätzlich ohne Bedeutung, wie zu einem späteren Zeitpunkt ein Rechtsstreit über eine Schuld entschieden wird, welche die Grundlage des Schadensersatzanspruches des Gläubigers der Klägerin bilden würde; ein FG-Urteil über die strittige Umsatzsteuerschuld der GmbH könnte sich für die im vorliegenden Verfahren zu beurteilende Schadensersatzrückstellung nur in einem späteren, nicht streitbefangenen Veranlagungszeitraum auswirken, in dem die -- unterstellt dem Grunde nach zulässige -- Rückstellung ggf. insoweit aufzulösen wäre, als die Klage der GmbH Erfolg haben sollte.

Unter diesen Umständen kann der Senat offenlassen, ob die Vorgreiflichkeit nicht schon aufgrund der im BFH-Urteil vom 9. Juli 1970 IV R 16/69 (BFHE 99, 533, BStBl II 1970, 722) enthaltenen Grundsätze zu verneinen wäre.

Der angefochtene Aussetzungsbeschluß kann mithin keinen Bestand haben. Das Klageverfahren ist vielmehr fortzuführen.

Eine Kostenentscheidung war, da es sich um ein unselbständiges Nebenverfahren zur Hauptsache handelt, nicht zu treffen (Senatsbeschluß vom 4. August 1988 VIII B 83/87, BFHE 154, 15, BStBl II 1988, 947).

 

Fundstellen

Haufe-Index 419928

BFH/NV 1995, 43

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