Leitsatz (amtlich)

Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegt nicht bei jedem Irrtum in der Auslegung verfahrensrechtlicher Bestimmungen vor; er ist nur gegeben, wenn der Irrtum das Verfahren des Gerichts bei der Urteilsfindung beeinflußt hat (error in procedendo).

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3

 

Tatbestand

In der Kostenrechnung des FG vom 7. Oktober 1968 ermittelte der Kostenbeamte den Streitwert für die Revision des Steuerpflichtigen.

Dagegen wandte sich der Steuerpflichtige mit der Erinnerung, mit der er eine Herabsetzung des Streitwerts anstrebte, die eine Kostenminderung von 264 DM zur Folge gehabt hätte.

Das FG verwarf die Erinnerung als unzulässig. Es war der Ansicht, die Erinnerung sei verspätet eingelegt worden.

Das FG ließ die Beschwerde gegen seine Entscheidung nicht zu.

Es übersandte die Entscheidung dem Steuerpflichtigen durch eingeschriebenen Brief an seine ausländische Anschrift. Der Einschreibebrief wurde am 12. November 1969 zur Post gegeben und vom Steuerpflichtigen am 24. November 1969 in Empfang genommen.

Wegen der Nichtzulassung der Beschwerde legte der Steuerpflichtige mit Schreiben vom 29. November 1969 - eingegangen am 3. Dezember 1969 - Beschwerde ein. Er trägt vor, das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß er die Frist zur Einlegung der Erinnerung versäumt habe.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nach § 148 Abs. 3 Satz 3 FGO in Verbindung mit § 115 Abs. 3 FGO statthaft.

Sie ist auch in der richtigen Form und Frist eingelegt worden.

Es kann dabei dahingestellt bleiben, wann der angefochtene Beschluß als dem Steuerpflichtigen zugestellt gilt und ob die Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde, wenn es nicht um die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 3 FGO), sondern um die Zulassung der Beschwerde (§ 148 Abs. 3 Satz 3 FGO) geht, einen Monat oder zwei Wochen beträgt (für letzteres das FG Münster, EFG 1969, 87). Als frühester Termin für die Zustellung kommt der 12. November 1969 in Betracht. Nimmt man an, die Frist betrage einen Monat, so wäre die am 3. Dezember 1969 eingegangene Nichtzulassungsbeschwerde rechtzeitig. Auch wenn man aber annimmt, daß die Frist zwei Wochen betrage, so wäre die Beschwerde im vorliegenden Falle rechtzeitig eingelegt worden, weil dann die vom FG erteilte Rechtsmittelbelehrung (ein Monat) falsch gewesen wäre und deshalb die Frist nicht zu laufen begonnen hätte oder zumindest auf einen Monat ausgedehnt worden wäre. Das FG mußte den Steuerpflichtigen über die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde und die zu ihrer Einlegung einzuhaltende Frist belehren (§ 55 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGO; vgl. auch die Beschlüsse des BFH VII B 156/67 vom 22. Mai 1968, BFH 92, 543, BStBl II 1968, 656, und des FG Münster, EFG 1969, 87). Es tat dies zwar, gab jedoch an, die Frist betrage einen Monat.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist aber unbegründet.

Nach dem von dem Steuerpflichtigen zur Begründung seiner Beschwerde herangezogenen § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann. Unter Verfahrensmängeln in diesem Sinne sind Fehler zu verstehen, die das FG bei der Handhabung seines Verfahrens begeht, sofern durch diese formal falsche Behandlung der materielle Inhalt der Entscheidung beeinflußt sein kann. Ein Verfahrensmangel liegt zwar nicht nur vor, wenn das Handeln des Gerichts fehlsam war, sondern auch, wenn das Gericht die Voraussetzungen seines prozessualen Vorgehens falsch beurteilte, oder wenn das Urteilsverfahren mit Mängeln behaftet war (Stein-Jonas-Schönke, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 18. Aufl., § 554 III A 3 a). Jedoch ist nicht jeder Irrtum in der Auslegung von verfahrensrechtlichen Bestimmungen ein Verfahrensmangel, sondern nur ein solcher Irrtum, der das Verfahren des Gerichts bei der Urteilsfindung beeinflußt hat, also der sogenannte error in procedendo, nicht dagegen die rechtlich falsche Beurteilung verfahrensrechtlicher Vorschriften, die den Inhalt der angefochtenen Entscheidung selbst bildet (error in iudicando) - RGZ 17, 364; 25, 361; 132, 335; Stein-Jonas-Schönke, a. a. O., § 554 III A 3 a, § 559 III 2; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 10. Aufl., § 144 III; Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, § 554 C III g -. So liegen z. B. Verfahrensmängel vor, wenn die Fragen, ob der Erlaß eines Grundurteils (RGZ 75, 16 [19]) oder eines Teilurteils (RGZ 85, 217) zulässig war oder ob ein Prozeßurteil oder ein Sachurteil ergehen mußte (RGZ 145, 46), falsch beurteilt sind, weil diese Fragen das einzuschlagende Verfahren betreffen. Nicht dagegen liegt ein Verfahrensmangel im Sinn der Revisionsvorschriften vor, wenn - wie hier - die Frage zu entscheiden war, ob eine Frist versäumt war und daher, falls sie versäumt war, die Erinnerung als unzulässig verworfen werden mußte. Hier geht es nicht um die Frage, ob eine Prozeßentscheidung zulässig, sondern um die Frage, ob sie gerechtfertigt war. Irrte das FG hierbei, so liegt kein Verfahrensmangel, sondern ein inhaltlicher Fehler der Entscheidung vor, für deren Nachprüfung der Beschwerdeweg mangels des Vorliegens eines Zulassungsgrundes nicht eröffnet ist.

Wollte man anders entscheiden, so wäre praktisch jede Unzulässigkeitsentscheidung, die immer auf prozessualen Erwägungen beruhen muß, mit der Revision (oder hier der Beschwerde) anfechtbar, ein Ergebnis, das offenbar vom Gesetzgeber nicht gewollt ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68765

BStBl II 1970, 545

BFHE 1970, 6

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