Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweilige Einstellung der Vollstreckung durch einstweilige Anordnung, solange ein Abrechnungsbescheid noch nicht bestandskräftig ist

 

Leitsatz (NV)

1. Es ist streitig, ob ein Abrechnungsbescheid der Aussetzung der Vollziehung fähig ist.

2. Schränkt das FA den gepfändeten Betrag wesentlich ein, so ist der Grund für eine einstweilige Anordnung auf Verpflichtung des FA, die Vollstreckung einstweilen einzustellen, nicht glaubhaft gemacht.

3. Die Umdeutung eines durch einen sachkundigen Prozeßbevollmächtigten klar gestellten Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung in einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist nicht möglich.

 

Normenkette

FGO §§ 69, 114; AO 1977 § 218 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Das FA forderte vom Antragsteller aufgrund von bestandskräftigen Festsetzungen rückständige ESt, USt, LSt und Säumniszuschläge. Wegen dieser Forderungen pfändete es im November 1984 Werkunternehmeransprüche des Antragstellers gegen seine Auftraggeber. Auf den Einwand, die Ansprüche seien durch Verjährung erloschen, erließ das FA am 21. Januar 1985 einen Bescheid nach § 218 Abs. 2 AO 1977, in dem es feststellte, daß eine Verjährung nicht eingetreten sei. Über die nach erfolglosem Einspruch eingelegte Klage hat das FG noch nicht entschieden. Der Antragsteller beantragte beim FG, im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO anzuordnen, daß das FA die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen und die ausgebrachte Pfändung aufzuheben habe. Zur Begründung führte der Antragsteller aus, ihm drohe der finanzielle Ruin und die Gefahr, im Falle der Aufrechterhaltung der Pfändungsverfügung die laufenden Steuerverbindlichkeiten nicht mehr zahlen zu können; daher seien die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung und die Aufhebung der Pfändungsverfügung dringend geboten; im übrigen halte er an seiner Auffassung fest, daß sämtliche Steuerforderungen verjährt seien.

Das FG wies den Antrag mit folgender Begründung ab: Es sei streitig, ob ein Abrechnungsbescheid i. S. des § 218 Abs. 2 AO 1977 ein vollziehbarer Verwaltungsakt sei, dessen Vollziehung ausgesetzt werden könne. Treffe diese Auffassung zu, so sei der Antrag unzulässig (§ 114 Abs. 5 FGO). Das FG lasse diese Streitfrage jedoch offen. Denn jedenfalls fehle es an den sonstigen Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Es könne dahinstehen, ob der Antragsteller hinsichtlich des Anordnungsbegehrens einen Anordnungsanspruch habe. Jedenfalls fehle es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Der Grund müsse so schwerwiegend sein, daß eine einstweilige Anordnung unabweisbar sei. Das Vorliegen solcher Gründe habe der Antragsteller nach der Einschränkung der Zwangsvollstreckung durch das FA, nämlich der Reduzierung der Forderungspfändung auf 1 000 DM wöchentlich, nicht glaubhaft gemacht.

Seine Beschwerde gegen diesen Beschluß begründete der Antragsteller im wesentlichen wie folgt: Er sei wie das FA der Auffassung, daß dem Abrechnungsbescheid lediglich feststellender Charakter zukomme, so daß nur ein Antrag nach § 114 FGO statthaft sei. Überdies komme es nicht auf die Antragsformulierung an, sondern auf die verständige Auslegung des Antrags. Die Rechtsprechung solle überlegen, ob nicht in einem Fall wie dem vorliegenden die analoge Anwendung des § 69 FGO richtiger wäre als eine bloße formale Einstufung des Antrags unter § 114 FGO. Er könne zwar bei einem wöchentlichen Umsatz von fast 4 000 DM im Pfändungswege 1 000 DM an das FA zahlen. So sei die Auftragslage jedoch nur bis einschließlich Februar 1985 gewesen. Die Aufträge seien danach zurückgegangen. In den ersten fünf Monaten 1985 habe er nur Umsätze von 45 500,20 DM erzielt, so daß bei Berücksichtigung von Wareneingang, Betriebskosten und Privatentnahmen ein Überschuß von 11 161,16 DM verblieben sei. Im gleichen Zeitraum seien Pfändungen durch das FA in Höhe von 24 000 DM erfolgt. Ein tragbares Bilanzergebnis sei nur durch die Inanspruchnahme eines hohen Kredits bei der X-Bank in Höhe von mehr als 20 000 DM erzielbar gewesen. Es wären also allenfalls 500 DM Wochenpfändung vertretbar gewesen, nicht aber 2 000 DM bzw. später 1 000 DM wöchentlich.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Der Senat läßt es wie das FG unentschieden, ob der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung im vorliegenden Fall nach § 114 Abs. 5 FGO unzulässig ist. Denn jedenfalls fehlt es, wie das FG richtig entschieden hat, an der Glaubhaftmachung (§ 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung) eines Anordnungsgrundes.

Der Antragsteller begehrt eine Regelungsanordnung i. S. des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO. Diese Vorschrift räumt dem Gericht keine schrankenlose Befugnis zum Erlaß einer einstweiligen Anordnung ein. Die in § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO ausdrücklich genannten Gründe (,,wesentliche Nachteile" und ,,drohende Gewalt") setzen Maßstäbe auch für die ,,anderen Gründe" im Sinne dieser Bestimmung. ,,Andere Gründe" rechtfertigen eine einstweilige Anordnung nur dann, wenn sie für die begehrte Regelungsanordnung ähnlich gewichtig und bedeutsam sind wie ,,wesentliche Nachteile" oder ,,drohende Gewalt" (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Januar 1983 I B 48/80, BFHE 137, 235, BStBl II 1983, 233, 236). Der befürchtete Nachteil muß also ein solcher sein, der über den allgemeinen Nachteil einer Steuerzahlung hinausgeht (vgl. BFH-Beschluß vom 21. Januar 1982 VIII B 94/79, BFHE 135, 23, BStBl II 1982, 307, 309). Das Vorliegen solcher Gründe hat der Antragsteller, wie das FG richtig entschieden hat, nicht glaubhaft gemacht.

Es kann dahinstehen, ob bereits die vom FG im angefochtenen Beschluß geschilderten Umstände ausreichen, die Glaubhaftmachung eines genügend gewichtigen Anordnungsgrundes zu verneinen. Jedenfalls muß nach dem weiteren Entgegenkommen des FA gegenüber dem Antragsteller im Schreiben vom 22. Juli 1985, wonach der pfändbare Betrag auf 30% der auszuzahlenden wöchentlichen Abrechnungen des Antragstellers mit seinem Auftraggeber beschränkt worden ist, davon ausgegangen werden, daß nunmehr eine existentielle Bedrohung des Antragstellers durch die Vollstreckungsmaßnahmen des FA nicht mehr als glaubhaft gemacht angesehen werden kann. Der erkennende Senat als Beschwerdeinstanz, die auch Tatsacheninstanz ist, kann diese neue Tatsache bei seiner Entscheidung berücksichtigen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerde dann Erfolg haben könnte, wenn der Antrag des Antragstellers als ein solcher auf Aussetzung der Vollziehung des Bescheides nach § 218 Abs. 2 AO 1977 umgedeutet werden könnte, was der Antragsteller in seiner Beschwerdebegründung offenbar für möglich hält. Eine solche Umdeutung scheidet im vorliegenden Fall jedenfalls aus. Der Antragsteller ist durch einen sachkundigen Prozeßbevollmächtigten vertreten. Der Antrag ist eindeutig als ein solcher auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO formuliert. Überdies ist nach seinem Wortlaut Ziel des Antrags nicht nur die Beseitigung der Rechtswirkung des Bescheides des FA nach § 218 Abs. 2 AO 1977, sondern darüber hinaus die Verpflichtung des FA, die Zwangsvollstreckung aus den bestandskräftig festgesetzten Steuern einzustellen und zudem anzuordnen, daß das FA die ausgebrachte Pfändung aufhebt. Dieses Rechtsschutzziel ist mit dem durch eine Aussetzung der Vollziehung des Bescheides nach § 218 Abs. 2 AO 1977 erreichbaren Ziel nicht identisch.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414162

BFH/NV 1986, 223

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