Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Entscheidung des Finanzgerichts, der Beschwerde werde nicht abgeholfen, stellt einen Beschluß dar, der schriftlich niederzulegen und von allen Richtern, die ihn gefaßt haben, zu unterschreiben ist.

 

Normenkette

FGO § 113 Abs. 1, § 130 Abs. 1

 

Tatbestand

Zu entscheiden ist, ob das FG es zu Recht ablehnte, die Vollziehung das gegen die Beschwerdeführerin (Stpfl.) ergangenen Einkommensteuerbescheids 1964 - nicht, wie das FG im Tenor seines Beschlusses irrtümlich ausführte, 1963 - auszusetzen.

Das FG wies den Antrag der Stpfl. auf Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 1964 ab.

Gegen den Beschluß des FG legte die Stpfl. Beschwerde ein. Mit der Beschwerde legte das FG einen mit einem unleserlichen Namenszeichen versehenen "Vermerk" folgenden Inhalts vor:

"... FG - VII . Senat ----------------- ...., 16. Dezember 1966 D. V. Az.: VII 232/66

Vermerk Der Senat hat am 16. 12. 1966 beschlossen, der Beschwerde nicht abzuhelfen.

Der Geschäftsstelle zur weiteren Veranlassung". Die Geschäftsstelle des Senats forderte vom FG den "aktenmäßig festgehaltenen Beschluß des VII. Senats vom 16. 12. 1966 oder eine beglaubigte Abschrift hiervon" an. Der stellvertretende Vorsitzende des VII. Senats des FG erwiderte am 29. März 1967, die Entschließung des Senats vom 16. Dezember 1966, bei welcher der Senatspräsident Dr. K. als Vorsitzender und die Finanzgerichtsräte Dr. W und B. als hauptamtliche Richter mitgewirkt hätten, sei nicht als förmlicher Beschluß schriftlich niedergelegt worden. Sie sei lediglich durch den dem BFH vorgelegten Vermerk des Vorsitzenden aktenkundig gemacht worden (vgl. Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, Anm. 9 zu § 130).

 

Entscheidungsgründe

Der Senat ist gehindert, über die Beschwerde in der Sache zu entscheiden, weil weder der "Vermerk" der Vorinstanz noch das Schreiben des stellvertretenden Senatsvorsitzenden vom 29. März 1967 Unterschriften der Richter trägt, die entschieden haben, daß der Beschwerde nicht abgeholfen werden solle.

§ 130 Abs. 1 FGO, der die Abhilfe durch das FG regelt, enthält ebenso wie die entsprechenden Vorschriften in den anderen Verfahrensordnungen (§ 571 ZPO, § 78 ArbGG in Verbindung mit § 571 ZPO, § 306 Abs. 2 StPO, § 174 SGG, § 148 Abs. 1 VwGO) keine Bestimmung darüber, in welcher Form die Entscheidung zu ergehen habe, daß das erstinstanzliche Gericht der Beschwerde abhelfe oder nicht. Der Senat ist der Ansicht, daß es sich bei der Entscheidung, der Beschwerde solle abgeholfen oder nicht abgeholfen werden, um einen Beschluß handelt, der von allen Richtern, die ihn gefaßt haben, zu unterschreiben ist.

§ 160 ZPO, der nach § 155 FGO entsprechend anwendbar ist (vgl. BVerwGE 8, 108), regelt in Abs. 2 Nr. 5, daß die Entscheidungen des Gerichts in Form von Urteilen, Beschlüssen und Verfügungen ergehen. Bei der Entscheidung, der Beschwerde solle abgeholfen oder nicht abgeholfen werden, handelt es sich um eine Entscheidung des Gerichts. Sie stellt weder ein Urteil noch eine Verfügung dar. Von einer Verfügung spricht man im allgemeinen bei einer Entscheidung des Vorsitzenden, des ersuchten oder des beauftragten Richters (vgl. § 329 Abs. 2 ZPO und Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 9. Aufl., S. 237). Die Abhilfe- und die Nichtabhilfeentscheidung können demnach nur in Form von Beschlüssen ergehen (für diese negative Definition des Beschlusses auch Schunck - De Clerck, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl., Anm. 1 zu § 122). Der Senat hält es deshalb nicht für möglich, die Form der Entscheidung davon abhängig zu machen, ob abgeholfen werden solle oder nicht. Ebenso wie für die Abhilfeentscheidung allgemein ein Beschluß gefordert wird (vgl. z. B. Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, Anm. 6 und 9 zu § 130; v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Reichsabgabenordnung, Anm. 4 zu § 130 FGO, Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 29 Aufl. Anm. 1 zu § 571; Schwarz-Kleinknecht, Strafprozeßordnung, 27. Aufl., Anm. 5 A zu § 306" Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. Anm. 1. zu § 148; Klinger, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl., Anm. B 3 zu § 148), muß das Gericht einen Beschluß fassen, daß der Beschwerde nicht abgeholfen werden solle (ebenso Baumbach-Lauterbach), Anm. 2 zu § 571, und Schunck - De Clerck, Anm. 3 zu § 148, die die Nichtabhilfeentscheidung als einen "internen Beschluß" ansehen; anderer Ansicht Ziemer-Birkholz, Anm. 9 zu § 130; v. Wallis-List, Anm. 8 zu § 130 FGO; Stein-Jonas-Schönke-Pohle, Zivilprozeßordnung, 18. Aufl., Anm. II 1 zu § 571; Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2. Aufl. Anm. zu § 148; Peters- Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 3. Aufl., Anm. zu § 174; Redeker-von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl., Anm. 3 zu § 148, und Eyermann-Fröhler, Anm. 4 zu § 148, die jedoch ausführen, in der Regel werden auch über die Nichtabhilfe durch Beschluß entschieden, der aber nur für das Beschwerdegericht bestimmt sei und den Parteien nicht eröffnet zu werden brauche). Man kann daher die Nichtabhilfeentscheidung nicht mit dem BVerwG - Beschluß IV B 124/62 vom 23. November 1962, NJW 1963, 554 -, das in seinem Beschluß in diesem Zusammenhang an anderer Stelle allerdings auch von einem "Beschluß" spricht, als eine "Entschließung" bezeichnen.

Der Beschluß, daß der Beschwerde nicht abgeholfen werden solle, ist schriftlich niederzulegen und von allen Richtern, die ihn gefaßt haben, zu unterschreiben. Zwar ergibt sich dies nicht unmittelbar aus § 113 FGO, der in Abs. 2 für bestimmte Beschlüsse den Begründungszwang normiert und in Abs. 1 ebenso wie die entsprechenden Vorschriften der anderen Verfahrensordnungen (§ 329 Abs. 2 ZPO, § 142 Abs. 1 SGG und § 122 Abs. 1 VwGO) eine nach einhelliger Meinung nicht vollständige Aufzählung der im Beschlußverfahren sinngemäß anzuwendenden Vorschriften für das Urteilsverfahren enthält (vgl. Ziemer-Birkholz, Anm. 1 zu § 113; Baumbach-Lauterbach, Anm. 1 A zu § 329; Schwarz-Kleinknecht, Anm. 5 vor § 33; Peters-Sautter-Wolff, Anm. 1 zu § 142; Eyermann- Fröhler, Anm. 1 zu § 122) und als Formerfordernis somit ausdrücklich nur eine Rechtsmittelbelehrung verlangt (§ 105 Abs. 2 Nr. 6 FGO). Die schriftliche Abfassung des Nichtabhilfebeschlusses und seine Unterzeichnung durch die beteiligten Richter ist aber aus folgenden Gründen notwendig.

Urteile sind schriftlich abzufassen (§ 105 Abs. 1 Satz 2 FGO). Daß diese Vorschrift auf den Nichtabhilfebeschluß sinngemäß anzuwenden ist, ist daraus zu schließen, daß es dem Beschwerdegericht sonst nicht möglich wäre, nachzuprüfen, ob das erstinstanzliche Gericht seiner Pflicht nachgekommen ist, zu entscheiden, ob es abhelfen wolle oder nicht.

Daß der schriftlich niedergelegte Beschluß von allen beteiligten Richtern zu unterschreiben ist, ergibt sich ebenfalls aus der sinngemäßen Anwendung des § 105 Abs. 1 Satz 2 FGO, der dies für Urteile vorschreibt. Der im Zivilprozeßrecht herrschenden, mit der Begründung vertretenen Ansicht, § 329 ZPO verweise nicht auf den die Unterschrift aller Richter verlangenden § 315 Abs. 1 Satz 1 ZPO, Beschlüsse bedürften nur der Unterschrift des Vorsitzenden und eines weiteren Richters (so RGZ 3, 400) oder des Vorsitzenden (Beschluß RG vom 26. April 1897, JW 1897, 287 (288), und BGHZ 9, 22 (24), Wieczorek, Zivilprozeßordnung, Anm. A I zu § 315 und C III zu § 329), schließt sich der Senat nicht an. Zwar ist die Notwendigkeit der Unterschrift aller Richter nicht aus dem in § 329 Abs. 2 ZPO zitierten § 317 Abs. 2 Satz 1 ZPO herzuleiten, weil diese Vorschrift nur besagt, daß das Urteil unterschrieben sein müsse, bevor Ausfertigungen usw. erteilt werden dürften, aber nicht, von wem es zu unterschreiben sei (so zutreffend RGZ 3, 400).

Wenn man aber mit der einhelligen Meinung die Ansicht vertritt, daß auch Beschlüsse unterschrieben sein müssen, ist kein Grund erkennbar, warum im Gegensatz zum Urteil bei Beschlüssen nicht die Unterschrift aller Richter erforderlich sein soll, die an der Entscheidung mitgewirkt haben. Mit Recht weist Kann (Anm. zum Beschluß des Landgerichts Schwerin vom 9. November 1921, JW 1922, 526) darauf hin, daß zum Tatbestand einer schriftlichen Willenserklärung - um eine solche handelt es sich auch bei einer gerichtlichen Entscheidung - die Unterschrift des Erklärenden unerläßlich sei. Für die Ansicht von Fischer (Anm. zum Beschluß des OLG Braunschweig vom 16. Juni 1928, JW 1928, 1873), bei der alleinigen Unterschrift des Vorsitzenden verbürge die deutsche Rechtspflege das rechtmäßige Zustandekommen des Beschlusses, läßt sich keine gesetzliche Grundlage finden. Stein (Zivilprozeßordnung, 11. Aufl., Anm. I 6 zu § 329) führt zutreffend aus, nur die Unterschrift aller Richter, die an dem Beschluß mitgewirkt hätten, bezeuge, daß die Erklärung von dem Gericht ausgehe. Denn sonst können sich Zweifel ergeben, ob der Beschluß ordnungsmäßig beraten worden ist (so Rasehorn, NJW 1957, 1866). Daß dies der Fall sein kann, zeigt ein vom RG (Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Bd. 43 S. 218) entschiedener Fall besonders deutlich, in dem der Revision stattgegeben wurde, weil nicht mehr nachgewiesen werden konnte, ob ein von zwei Richtern unterschriebener Eröffnungsbeschluß von drei Richtern beraten und beschlossen worden war.

Ob die Ansicht von Baumbach-Lauterbach (Anm. 1 A zu § 329), es sei gerichtliches Gewohnheitsrecht, daß die Unterschrift des Vorsitzenden beim Beschluß ausreiche, für den Zivilprozeß angesichts der gegenteiligen Auffassungen (Hellwig, System des deutschen Zivilprozeßrechts Bd. 1 S. 507, und Stein-Jonas-Schönke- Pohle, Anm. I 5 zu § 329) zutrifft, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Für die Bereiche der allgemeinen und besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit besteht, wie die überwiegende Praxis der FG und das Schrifttum (Klinger, Anm. B zu § 122; Eyermann- Fröhler, Anm. 17 zu § 117) zeigen, ein solches Gewohnheitsrecht jedenfalls nicht.

Aus dem Beschluß des BVerfG IV B 124/62 vom 23. November 1962 (a. a. O.) läßt sich hierzu nichts entnehmen, weil das BVerwG einerseits die Nichtabhilfeentscheidung nicht für einen Beschluß hält und andererseits am Schluß seiner Entscheidung ausführt, es sei zweckmäßig, wenn das einzelne Mitglied eines Kollegiums die Vornahme der Prüfung durch ein Handzeichen in den Akten "oder die Unterschrift unter einem Beschluß" aktenkundig mache.

Die Sache muß daher an das FG zurückgegeben werden, damit dieses einen von drei Richtern des Senats unterschriebenen Nichtabhilfebeschluß nachholt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412772

BStBl III 1967, 788

BFHE 1968, 103

BFHE 90, 103

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