Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung bei Antrag auf mündliche Verhandlung durch nichtpostulationsfähigen Beteiligten und gleichzeitigem Antrag auf Prozeßkostenhilfe

 

Leitsatz (NV)

1. Ein mit dem Antrag auf Prozeßkostenhilfe verbundener Antrag eines nichtpostulationsfähigen Beteiligten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Rechtsmittelfrist kann grundsätzlich nur dann Erfolg haben, wenn der Antragsteller das Gesuch um Prozeßkostenhilfe und die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem gem. § 117 Abs. 4 ZPO vorgeschriebenen Vordruck innerhalb der versäumten Rechtsmittelfrist eingereicht hat oder wenn er hieran ohne sein Verschulden verhindert war.

2. Ein unzulässiger Antrag auf mündliche Verhandlung ist durch Beschluß abzulehnen.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 90 Abs. 3, § 142; ZPO §§ 114, 117 Abs. 2, 4

 

Tatbestand

Streitig ist die Artfeststellung des Wohngrundstücks des Klägers, Revisionsbeklagten und Antragstellers (Kläger). Der Bundesfinanzhof (BFH) hob auf die Revision des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA -) durch Vorbescheid vom 25. Oktober 1985 die Vorentscheidung auf und wies die Klage ab. Der Vorbescheid wurde dem Kläger am 29. November 1985 zugestellt. Mit einem von ihm selbst unterzeichneten und am 24. Dezember 1985 beim BFH eingegangenen Schreiben vom 20. Dezember 1985 beantragte der Kläger mündliche Verhandlung. Dieser Antrag war mit einem Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (PKH) verbunden, den der Senat mit Beschluß vom heutigen Tage (III S 2/86) ablehnte.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf mündliche Verhandlung ist wegen der fehlenden Vertretung des Klägers durch eine vor dem BFH zur Vertretung berechtigten Person unzulässig. Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß (Beschluß des BFH vom 22. Oktober 1971 VI R 159/68, BFHE 103, 138, BStBl II 1971, 812; Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 90 Anm. 14). Bei dem Antrag auf mündliche Verhandlung handelt es sich um einen sonstigen Rechtsbehelf, der beim BFH nur durch eine vertretungsberechtigte Person eingelegt werden kann (Art. 1 Nr. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975 - BFHEntlG -, BGBl I, 1861, BStBl I, 932 i. d. F. des Gesetzes vom 4. Juli 1985, BGBl I, 1274, BStBl I, 496; Beschluß des BFH vom 29. April 1977 VI K 1/76, BFHE 122, 26, BStBl II 1977, 502). Der vom Kläger persönlich gestellte Antrag ist mithin unwirksam.

Der Kläger wäre allerdings nicht gehindert, einen neuerlichen Antrag auf mündliche Verhandlung verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist nach § 90 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu stellen und sich dabei durch eine der in Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG genannte Person vertreten zu lassen. Indes lägen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) nicht vor. Grundsätzlich hat zwar ein Beteiligter, der nicht über ausreichende Mittel verfügt, Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Rechtsbehelfsfrist, wenn er ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Das gilt jedoch nur dann, wenn er alles getan hat, um das Hindernis zu beheben, das der fristgerechten Einlegung des Rechtsbehelfs entgegengestanden hat. Das setzt nach einhelliger Auffassung der obersten Gerichtshöfe des Bundes voraus, daß der Antragsteller innerhalb der Rechtsbehelfsfrist nicht nur den PKH-Antrag gestellt, sondern auch alle für die Bewilligung der PKH erforderlichen Unterlagen beigefügt hat (BFH-Beschluß vom 27. Juni 1983 II S 2/83, BFHE 138, 526, BStBl II 1983, 644; Beschluß des Bundessozialgerichts vom 30. April 1982 7 BH 10/82, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1984, 244; Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 6. Februar 1985 VIII ZB 25/84, Versicherungsrecht 1985, 396).

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben. Zwar hat der Kläger rechtzeitig innerhalb der Frist des § 90 Abs. 3 Satz 2 FGO, die am 30. Dezember 1985 endete, PKH beantragt; er hat jedoch die auf amtlichem Vordruck abzugebende Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht beigefügt.

Gründe, aus denen sich ergibt, daß der Kläger ohne sein Verschulden gehindert war, die vorgeschriebene Erklärung innerhalb der Frist für den Antrag auf mündliche Verhandlung abzugeben, sind weder vorgetragen noch erkennbar. Aus dem Vorbescheid konnte der Kläger erkennen, daß er den - für ihn ungünstigen - rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens nur durch einen Antrag auf mündliche Verhandlung - jedenfalls vorläufig - verhindern konnte, und daß er sich für die Stellung dieses Antrags einer vertretungsbefugten Person gemäß Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG bedienen mußte. Der Kläger hat statt dessen den Antrag auf mündliche Verhandlung persönlich gestellt und diesen Antrag mit einem - unvollständigen - Antrag auf PKH verbunden. Unter diesen Umständen konnte der Kläger nicht darauf vertrauen, alles zur Wahrung seiner Rechte getan zu haben. Da ihm die Möglichkeit, PKH zu erlangen, bekannt war, hätte er sich Kenntnis über die Voraussetzungen einer ordnungsmäßigen Antragstellung verschaffen müssen. Insoweit trug er das Risiko des Rechtsverlustes. Jedenfalls bedurfte es von Seiten des Senats keiner besonderen Belehrung des Klägers darüber, unter welchen Voraussetzungen der Anspruch auf spätere Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hätte gewahrt werden können.

Da der Antrag auf mündliche Verhandlung in sinngemäßer Anwendung des § 126 Abs. 1 FGO als unzulässig zu verwerfen war, wirkt der Vorbescheid vom 25. Oktober 1985 als Urteil (§ 90 Abs. 3 Satz 3 FGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 135 Abs. 2 FGO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414474

BFH/NV 1986, 631

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