Entscheidungsstichwort (Thema)

Urteilsberichtigung bei unzureichender Aktenauswertung

 

Leitsatz (NV)

1. Die Urteilsberichtigung dient zur Verwirklichung einer erkennbar gewollten Aussage und darf nur Unzulänglichkeiten im Urteil beseitigen, die zur Diskrepanz zwischen wirklichem und gewolltem Urteilsinhalt geführt haben.

2. Ob eine Unrichtigkeit i. S. des § 107 FGO vorliegt, hängt allein von der Art des Zustandekommens des fehlerhaften Urteils ab.

3. Hat das FG eine Tatsache, die nach den Akten klar und eindeutig vorliegt, übersehen oder sich im Hinblick auf eine solche Tatsache versehen, so stellt die auf diesem Fehler beruhende Entscheidung nicht den "gewollten" Urteilsinhalt dar; die auf der Nichtberücksichtigung oder der nicht richtigen Berücksichtigung der Tatsache beruhende Entscheidung kann daher berichtigt werden.

 

Normenkette

FGO § 107; AO 1977 § 129 S. 1

 

Tatbestand

Die Kläger gaben für das Streitjahr 1988 eine gemeinsame Steuererklärung ab. Darin wurden u. a. für den Kläger Einkünfte aus einem Gewerbebetrieb in B von ... DM und Einkünfte aus einem weiteren Betrieb in M von ./. ... DM erklärt. Der Betrieb in M besteht aus einer von dem Kläger errichteten, jedoch nicht in Betrieb genommenen Fabrikationshalle. Der Verlust dieses Betriebes beruhte nach der Gewinn- und Verlustrechnung u. a. auf Abschreibungen in Höhe von ... DM, davon ... DM Teilwertabschreibung der Fabrikationshalle. Das FA erkannte diese -- wegen Unverwertbarkeit der Halle geltend gemachte -- Teilwertabschreibung nicht an und setzte in dem Einkommensteuerbescheid die Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb mit ... DM an, also mit der Differenz zwischen dem erklärten Gewinn des Betriebes in B und einem Verlust für den Betrieb in M von ... DM.

Hiergegen erhoben die Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage, mit der sie ihr Ziel weiterverfolgten, für die Fabrikationshalle in M eine Teilwertabschreibung vornehmen zu können. Insoweit hatte die Klage keinen Erfolg; jedoch setzte das FG unter Abänderung des angefochtenen Bescheides und der Einspruchsentscheidung die Einkommensteuer für 1988 in seinem Urteil anderweitig fest, weil das FA die AfA nach § 7 Abs. 4 Nr. 2 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von ... DM bisher nicht gewährt habe.

Den daraufhin vom FA gestellten Antrag, das Urteil zu berichtigen und die Einkommensteuer in der bisherigen Höhe festzusetzen, wies es ab und führte dazu aus, es bestehe keine Diskrepanz zwischen dem wirklichen und dem gewollten Urteilsinhalt; der Senat habe entsprechend seiner unzutreffenden Feststellung, daß AfA nicht gewährt worden sei, AfA gewährt und dieses auch gewollt.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde des FA.

Das FA beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des Beschlusses des FG dessen Urteil dahin zu berichtigen, daß die Klage abgewiesen wird.

Die Kläger haben sich in dem Berichtigungsverfahren nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet. Die anderweitige Festsetzung der Einkommensteuer und die diesbezüglichen Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Urteils des FG stellen einem Schreib- und Rechenfehler ähnliche offenbare Unrichtigkeiten i. S. des § 107 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dar und sind daher zu berichtigen.

1. Der Begriff der den Schreib- und Rechenfehlern ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit, den § 107 Abs. 1 FGO im gleichen Sinne wie § 129 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) verwendet, meint die mechanischen Fehler, die ebenso mechanisch, d. h. ohne weitere Prüfung, erkannt und berichtigt werden können (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -- BFH --, vgl. Urteile vom 4. Juni 1986 IX R 52/82, BFHE 147, 393, BStBl II 1987, 3, und vom 24. Juli 1984 VIII R 304/81, BFHE 141, 485, BStBl II 1984, 785 m. w. N.). "Mechanisch" im Sinne dieser Rechtsprechung ist ein Fehler dann nicht, wenn er auf unzutreffenden Überlegungen bei der Auslegung der Gesetze oder bei der Subsumtion des festgestellten Sachverhaltes unter die einschlägigen Rechtsvorschriften beruht (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 18. April 1986 VI R 4/83, BFHE 146, 350, BStBl II 1986, 541). Nicht mechanisch sind ferner Fehler, die darauf zurückzuführen sind, daß eine notwendige Sachaufklärung unterlassen worden ist (BFH-Urteile vom 29. März 1985 VI R 140/81, BFHE 144, 118, BStBl II 1985, 569, und in BFHE 146, 350, BStBl II 1986, 541), oder daß aufgrund einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung aus den festgestellten Tatsachen unzutreffende Schlüsse gezogen worden sind (BFH-Urteil vom 27. März 1987 VI R 63/84, BFH/NV 1987, 480). Hingegen sind u. a. solche Fehler "mechanisch", die deshalb unterlaufen, weil aufgrund bloßer Flüchtigkeit aus den Akten ohne weiteres zu entnehmende, feststehende Tatsachen übersehen worden sind. Wenn mit Sicherheit auszuschließen ist, daß das Gericht diese Tatsachen nicht deshalb unberücksichtigt lassen wollte, weil es von ihnen nicht überzeugt war oder weil es ihnen -- wenn auch zu Unrecht -- keine rechtliche Bedeutung beigemessen hat, so können die darauf beruhenden Fehler in dem Urteil nach § 107 FGO berichtigt werden. Hat nämlich die Nichtberücksichtigung einer Tatsache ihren Grund in einer bloßen Unachtsamkeit und liegt sie offen zutage, so kann von einem auf mangelnder Sachaufklärung beruhenden Nichterkennen der Tatsache nicht gesprochen werden. Vielmehr besteht der Fehler dann im Übersehen der Tatsache, welches wie Verschreiben, Verrechnen oder Vergreifen als offenbare Unrichtigkeit gewertet werden muß (BFH-Urteil in BFHE 144, 118, BStBl II 1985, 569). Dementsprechend hat der BFH die Berichtigung eines Steuerbescheides nach § 129 AO 1977 z. B. in einem Fall zugelassen, in dem das FA bei der Steuerfestsetzung einen Freibetrag von dem vom Steuerpflichtigen erklärten Gewinn abgezogen und dabei übersehen hatte, daß dieser Freibetrag bereits von dem Steuerpflichtigen bei der seiner Steuererklärung zugrundeliegenden Gewinnermittlung berücksichtigt worden war (BFH-Urteil vom 8. März 1989 X R 116/87, BFHE 156, 59, BStBl II 1989, 531).

Zu Unrecht hat sich das FG an einer Berichtigung seines Urteils dadurch gehindert gesehen, daß es bei der Urteilsfindung davon ausgegangen sei, daß AfA noch nicht gewährt worden ist, und daß es infolge dieses Irrtums AfA gewähren und den angefochtenen Bescheid entsprechend habe ändern wollen.

§ 107 Abs. 1 FGO erlaubt die Berichtigung nicht nur bei einem Erklärungsirrtum, wie er beim Versprechen oder Verschreiben vorliegt. Das zeigt sich schon daran, daß auch Rechenfehler vom Gesetz als Beispiel einer berichtigungsfähigen Unrichtigkeit angeführt werden, bei einem Rechenfehler jedoch nicht die Erklärung, sondern das Berechnungsergebnis falsch ist. Es steht einer Berichtigung auch nicht entgegen, daß der Fehler zu einem unzutreffenden steuerlichen Ergebnis geführt hat und daß aufgrund des Fehlers in dem Entscheidungsausspruch die Steuer in unrichtiger Höhe festgesetzt worden ist. Entscheidend für das Vorliegen einer Unrichtigkeit i. S. des § 107 FGO ist vielmehr allein die Art des Zustandekommens des fehlerhaften Urteils, das heißt die Qualität des dem FG unterlaufenden Fehlers (BFH-Urteil in BFHE 156, 59, BStBl II 1989, 531). Fehler beim bloßen Ablesen und Übernehmen zweifelsfreier Tatsachen aus den Akten haben eine andere Qualität als Fehler bei der Beurteilung der Tat- und Rechtsfragen. Jene ähneln in der Art ihres Zustandekommens den Schreibfehlern und den Rechenfehlern. Sie können daher berichtigt werden, wenn die übrigen Berichtigungsvoraussetzungen vorliegen, der Fehler also offenbar ist (vgl. dazu BFH- Urteil vom 2. April 1987 IV R 255/84, BFHE 149, 490, BStBl II 1987, 762; BFH- Beschluß vom 14. Februar 1995 IV R 15/94, BFH/NV 1995, 902). Selbst wenn der Fehler auf mangelnder Sorgfalt bei der Auswertung der Steuerakten beruht, schließt dies im übrigen eine Berichtigung nicht aus (vgl. das BFH-Urteil in BFHE 146, 350, BStBl II 1986, 541); die Berichtigungsmöglichkeit ist von der Entschuldbarkeit des Irrtums grundsätzlich nicht abhängig.

Allerdings dient die Berichtigung nach § 107 Abs. 1 FGO -- worauf das FG mit Recht hinweist -- nach der Rechtsprechung des BFH ausschließlich zur Verwirklichung einer erkennbar gewollten Aussage und darf deshalb nur Unzulänglichkeiten im Urteil beseitigen, die zur Diskrepanz zwischen wirklichem und gewolltem Urteilsinhalt geführt haben (BFH-Beschluß vom 14. Oktober 1976 V B 16/76, BFHE 120, 145, BStBl II 1977, 38; vgl. auch BFH-Beschluß vom 4. September 1984 VIII B 157/83, BFHE 142, 13, BStBl II 1984, 834, und Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. November 1990 3 StR 310/90, Neue Juristische Wochenschrift 1991, 1900 mit zahlreichen Nachweisen, sowie Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 107 Rdnr. 3 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). § 107 FGO gestattet deshalb ebensowenig wie § 129 AO 1977, in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht unzutreffende Entscheidungen -- selbst wenn die unrichtige Rechtsanwendung oder die unzutreffende Sachverhaltsfeststellung zweifelsfrei und offensichtlich ist -- nachträglich zu korrigieren und an die Stelle der von dem Gericht bzw. der Finanzbehörde gewollten Entscheidung die nach dem Gesetz gebotene zu setzen. Hat jedoch das FG eine Tatsache, die nach den Akten klar und eindeutig vorliegt, übersehen oder sich im Hinblick auf eine solche Tatsache -- z. B. einen Betrag oder ein Datum -- versehen, so kann nicht im Sinne der vorbezeichneten Rechtsprechung des BFH davon gesprochen werden, das FG habe die unrichtige Tatsache seiner Entscheidung zugrunde legen "wollen" und die auf seinem Fehler beruhende Entscheidung stelle den von ihm "gewollten" Urteilsinhalt dar. Die auf der Nichtberücksichtigung (oder nicht richtigen Berücksichtigung) der Tatsache beruhende Entscheidung kann dann vielmehr berichtigt werden, sofern feststeht, daß es zu der Unrichtigkeit in dem Urteil nicht gekommen wäre, wenn das FG der Tatsache gewahr geworden wäre bzw. wenn es sie richtig wahrgenommen hätte und wenn es dann -- gleichsam mechanisch -- ein anderes Urteil gefällt hätte, ohne daß es dafür noch irgendeiner weiteren rechtlichen oder tatsächlichen Überlegung bedurft hätte.

2. Die Voraussetzungen für eine Berichtigung des Urteils des FG liegen im Streitfall vor.

Das FG hat übersehen, daß in der Gewinn- und Verlustrechnung des Klägers die Abschreibung nach § 7 Abs. 4 Nr. 2 a EStG in Höhe von ... DM bereits angesetzt worden war und daß das FA, das den von den Klägern in ihrer Einkommensteuererklärung erklärten Verlust des Betriebes in M lediglich um ... DM verringert hat, insoweit der Gewinn- und Verlustrechnung gefolgt ist, in dem angefochtenen Bescheid also die AfA von ... DM bereits berücksichtigt hat. Dies war augenfällig und anhand der Akten klar und eindeutig erkennbar.

Der Fehler in dem Urteil des FG kann nicht auf Rechtsirrtum beruhen; er beruht vielmehr offensichtlich auf der unzutreffenden Annahme, dem Kläger sei für die Fabrikationshalle in M in dem angefochtenen Bescheid keine AfA gewährt worden. Diese Annahme stellt nicht das Ergebnis einer (fehlerhaften) Würdigung feststehender Tatsache dar und ist auch keine Folge unzureichender tatsächlicher Aufklärung. Das FG hat es vielmehr unterlassen, dem Akteninhalt und insbesondere der Gewinn- und Verlustrechnung für den Betrieb des Klägers in M gehörige Aufmerksamkeit zu schenken, so daß der dort vorgenommene Ansatz der AfA übersehen worden ist (vgl. zur mangelhaften Aktenauswertung BFH- Urteil vom 28. November 1985 IV R 178/83, BFHE 145, 226, 230, BStBl II 1986, 293). Es hat die Differenz zwischen dem von den Klägern für den Betrieb in B erklärten Gewinn und dem für den Betrieb in M erklärten Verlust nicht oder nicht richtig gebildet. Es hat deshalb nicht bemerkt, daß der vom FA in dem angefochtenen Bescheid für die Einkünfte der Kläger aus Gewerbe betrieb angesetzte Betrag sich von dieser Summe genau um ... DM unterscheidet, das FA also lediglich im Ansatz einer Teilwertabschreibung von ... DM der Einkommensteuererklärung der Kläger nicht gefolgt ist. Dieser Fehler des FG ist im Sinne der Rechtsprechung des BFH mechanischer Art, weil er im Kern lediglich darauf zurückzuführen ist, daß das FG die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Berechnungen der Kläger und des FA nicht ausreichend oder nicht rechnerisch richtig nachvollzogen und deshalb übersehen hat, daß die vermeintlich nicht berücksichtigte AfA für die Fabrikationshalle in M tatsächlich bereits berücksichtigt worden war.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421248

BFH/NV 1996, 682

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