Entscheidungsstichwort (Thema)

Verhältnis AdV / einstweilige Anordnung; Anordnungsanspruch nach § 258 AO 1977

 

Leitsatz (NV)

1. Eine einstweilige Anordnung kommt insoweit nicht in Frage, als die AdV ausreichenden vorläufigen Rechtsschutz bietet.

2. § 258 AO 1977 greift als Rechtsgrundlage für einen Anordnungsanspruch nur ein, wenn vorübergehend Umstände vorliegen, die eine Vollstreckung unbillig erscheinen lassen.

 

Normenkette

FGO § 114 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, 5, § 69 Abs. 2 S. 4; AO 1977 § 258

 

Tatbestand

Das Finanzamt - FA - vollstreckt gegen den Antragsteller, der als Immobilienkaufmann unternehmerisch tätig ist, wegen Steuerschulden in Höhe von . . . . . DM und . . . . . DM aus Einkommensteuerbescheiden 1972 und 1973. Die diesen Bescheiden zugrundeliegenden Gewinnfeststellungsbescheide des FA sind Gegenstand eines beim Finanzgericht (FG) anhängigen Klageverfahrens. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Feststellungsbescheide hat das FG durch Beschluß vom 14. August 1985 abgelehnt. Mit Verfügungen vom 16. April 1987 pfändete das FA wegen Steueransprüchen (Einkommensteuer und Kirchensteuer und Ergänzungsabgabe für 1973 und 1973; Säumniszuschläge und Kosten) in Höhe von rd. . . . . . . DM Forderungen des Antragstellers aus Kontokorrentverhältnissen bei zwei Banken. Nachdem das FA den Antrag des Antragstellers auf Vollstreckungsaufschub gegen Zahlung monatlicher Raten von 300 DM abgelehnt und den Antragsteller zugleich zur Einreichung eines Vermögensverzeichnisses aufgefordert hatte, beantragte der Antragsteller beim FG, durch einstweilige Anordnung zunächst für die Dauer von 12 Monaten bis 31. Mai 1988 Vollstreckungsaufschub mit der Maßgabe zu gewähren, daß auf die streitige Hauptschuld - Einkommensteuer für 1972 und 1973 in Höhe von . . . . . DM - monatliche Raten von 300 DM zu zahlen sind.

Diesen Antrag lehnte das FG ab. Es ließ offen, ob der Antrag wegen der Möglichkeit einer Aussetzung der Vollziehung ,,der Pfändungsmaßnahmen" unzulässig sei. Jedenfalls liege ein Anordnungsanspruch nicht vor, weil die Unbilligkeit der Vollstreckung (§ 258 der Abgabenordnung - AO 1977 -) nicht schlüssig dargelegt worden sei. Eine Unbilligkeit ergebe sich insbesondere nicht aus der Untätigkeit des FA - nach Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung - für die Dauer von eineinhalb Jahren, weil der Antragsteller keine Rechte daraus herleiten könne. Der Antragsteller habe im übrigen seine derzeitigen wirtschaftlichen Verhältnisse nicht im einzelnen dargelegt. Auch sei kein unangemessener, durch kurzfristiges Abwarten vermeidbarer Nachteil anzunehmen.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der - ohne einen ausdrücklichen Antrag zu stellen - ausführt, wenn nach vierjähriger Dauer des Hauptsacheverfahrens möglicherweise Ende 1987 mit einer gerichtlichen Entscheidung gerechnet werden könne, so würden durch die Vollstreckung irreparable Fakten geschaffen, wodurch die Fortsetzung der Vollstreckung unbillig und unverhältnismäßig werde. Es sei nicht nachvollziehbar, daß nach eineinhalbjährigem Zuwarten die Vollstreckung mit allen Konsequenzen fortgesetzt werde. Er - Antragsteller - sei von vornherein zur Aufklärung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bereit gewesen. Die Bilanzen seines Einzelunternehmens und die der Immobilien-GmbH, deren Geschäftsführer er sei, lägen vor. Insgesamt ergebe sich aus den vorgelegten Unterlagen, daß er nicht mehr als die angebotenen Monatsraten auf die offenstehenden Steuerforderungen zahlen könne. Eine Fortsetzung der Zwangsvollstreckung, insbesondere Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, würde letztlich zu einer Vernichtung seiner Existenz - Tätigkeit auf dem Gebiete der Zwangsverwaltung und Zwangsverwertung - führen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das FG hat den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

Das FG hat ausgeführt, das Begehren des Antragstellers - Vollstreckungsaufschub insgesamt, wenn auch zeitlich begrenzt und gegen Abzahlungen - sei darauf gerichtet, eine Gefährdung seiner wirtschaftlichen Unternehmungen abzuwenden, solange über die Rechtmäßigkeit der Feststellungsbescheide noch nicht entschieden ist; dieser Erfolg könne aber nur durch Aussetzung der Vollziehung der Feststellungsbescheide erreicht werden. Wäre der Antrag in diesem Sinne zu verstehen, so könnten bereits Zweifel an seiner Zulässigkeit bestehen.

Nach § 114 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gelten die Vorschriften über die einstweilige Anordnung durch Finanzgerichte nicht für die Fälle des § 69 FGO. Das bedeutet, daß der Erlaß einer einstweiligen Anordnung insoweit nicht in Frage kommt, als die Aussetzung der Vollziehung ausreichenden vorläufigen Rechtsschutz bietet (vgl. Kühn / Kutter / Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl. 1987, § 114 FGO Bem. 1; Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluß vom 11. Januar 1984 II B 35/83, BFHE 139, 508, BStBl II 1984, 210). Die Vollziehung von Gewinnfeststellungsbescheiden, wie sie den gegen den Antragsteller gerichteten Steuerforderungen zugrunde liegen, kann ausgesetzt werden (vgl. Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 4009/13, mit Nachweisen; für negative Gewinnfeststellungsbescheide nunmehr auch Beschluß des BFH vom 14. April 1987 GrS 2/85, BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637). Soweit dies geschieht, wird auch die Vollziehung eines Folgebescheides (Steuerbescheid) ausgesetzt (§ 69 Abs. 2 Satz 4 FGO). Dementsprechend hat der Antragsteller auch hier versucht, Aussetzung der Vollziehung der Grundlagenbescheide durch das FG zu erreichen. Dadurch, daß das FG diesen Antrag abgelehnt hat, wird ein Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit praktisch gleichem Rechtsschutzziel nicht entgegen § 114 Abs. 5 FGO zulässig.

Das Antragsbegehren kann indessen auch dahin verstanden werden, daß sich der Antragsteller - zulässigerweise (vgl. Senat, Urteil vom 3. November 1970 VII R 43/69, BFHE 100, 436, 438, BStBl II 1971, 114) - nur gegen die zwangsweise Durchsetzung der Steuerforderungen ohne Rücksicht auf die Rechtmäßigkeit oder Vollziehbarkeit der Steuerbescheide wendet. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann dem Antrag aber nicht entsprochen werden. Das FG hat zutreffend entschieden, daß ein Anordnungsanspruch - neben dem Anordnungsgrund (zu ihm BFH-Beschluß in BFHE 149, 493, 498, BStBl II 1987, 637) Voraussetzung einer einstweiligen Anordnung, § 114 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 FGO, § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - nicht vorliegt. Da kein Erlaßgrund geltend gemacht worden ist, kommt als Rechtsgrundlage lediglich § 258 AO 1977 in Betracht, der es der Vollstreckungsbehörde ermöglicht, die Vollstreckung einstweilen einzustellen oder zu beschränken oder eine Vollstreckungsmaßnahme aufzuheben, soweit die Vollstreckung im Einzelfall unbillig ist. Diese Voraussetzungen sind jedoch nicht gegeben, wobei dahingestellt bleiben kann, ob der Antragsteller nach seinen gesamten wirtschaftlichen Verhältnissen zu höheren als den von ihm angebotenen Leistungen nicht imstande ist. Antrags- und Beschwerdevorbringen lassen nicht erkennen, daß nur vorübergehend Umstände vorliegen, die eine Vollstreckung unbillig erscheinen lassen. Vielmehr beruft sich der Antragsteller auf die durch die Vollstreckung drohende Vernichtung seiner Existenz, damit auf einen Grund, der eine vorübergehende Einstellung der Vollstreckung nicht zu rechtfertigen vermag (Senat, Beschlüsse vom 12. Februar 1985 VII B 61/84, BFH/NV 1986, 68, und vom 18. März 1986 VII B 115/85, BFH/NV 1986, 479 f.). § 258 AO 1977 ermöglicht es nur, unangemessene Nachteile durch kurzfristiges Abwarten abzuwenden (Senat, Beschluß vom 4. Februar 1986 VII B 129/85, BFH/NV 1986, 478). Den Darlegungen des Antragstellers kann nicht entnommen werden, daß sich seine wirtschaftliche Situation in Kürze entscheidend verbessern werde. Das FG hat auch zutreffend entschieden, daß sich im übrigen weder aus der Dauer des noch anhängigen Klageverfahrens noch aus der Zeit zwischen Ergehen des finanzgerichtlichen Beschlusses im Aussetzungsverfahren und Ausbringung der Forderungspfändungen eine Unbilligkeit der Vollstreckungsmaßnahmen herleiten läßt. Auch der Umstand, daß eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren in Bälde erwartet wird, läßt die Vollstreckung nicht unbillig erscheinen. Wie die Entscheidung ausfallen wird, ist für alle Beteiligten offen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415461

BFH/NV 1988, 422

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