Leitsatz (amtlich)

1. Bei teilweiser Ablehnung der Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte ist vorläufiger Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung zu gewähren.

2. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob als Freibetrag nach § 39a Abs.1 Nr.6 EStG nur die negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung im Zusammenhang mit den nach § 14a Abs.6 BerlinFG begünstigten Teilherstellungskosten eintragungsfähig sind, oder die gesamten negativen Einkünfte aus dem Grundstück.

 

Orientierungssatz

1. Wendet sich ein Lohnsteuerzahler gegen die Eintragung eines zu niedrigen Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte, so muß er eine Anfechtungsklage erheben (vgl. BFH-Beschluß vom 11.5.1973 VI B 116/72).

2. NV: Hat ein Steuerpflichtiger gleichzeitig mit der Sprungklage einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim FG gestellt und hat das FG dem Aussetzungsantrag ohne zeitliche Begrenzung in vollem Umfang stattgegeben, so gilt der Aussetzungsbeschluß auch dann für die Dauer des finanzgerichtlichen Verfahrens, wenn das FA die Sprungklage als Einspruch behandelt und durch Einspruchsentscheidung entscheidet. Die vom FA eingelegte Beschwerde gegen den Aussetzungsbeschluß hat sich durch die Einspruchsentscheidung nicht in der Hauptsache erledigt.

 

Normenkette

EStG § 39a Abs. 1 Nr. 6 S. 2, § 37 Abs. 3 Sätze 5-8; FGO §§ 69, 114; BerlinFG § 14a Abs. 6; FGO § 40 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Berlin (Entscheidung vom 26.06.1986; Aktenzeichen VII 164/86)

 

Tatbestand

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) beteiligte sich 1985 mit einem Anteil von 3,98743 v.H. an der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) "F-Straße". Zweck der Gesellschaft ist es, das Miethaus F-Straße in Berlin-T. zu modernisieren, instandzusetzen und im Dachboden auszubauen. Die Baumaßnahmen sollen 1986 abgeschlossen sein.

Die Antragstellerin bezifferte die auf sie entfallenden voraussichtlichen negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung im Zusammenhang mit dem Grundstück F-Straße auf 49 181 DM und beantragte beim Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt --FA--), den Betrag im Lohnsteuerermäßigungsverfahren als Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte 1986 einzutragen. Das FA ließ die Gesamtaufwendungen überprüfen. Der Prüfer hielt nur Werbungskosten von insgesamt 1 229 423 DM für abziehbar. Außerdem vertrat er die Ansicht, im Vorauszahlungsverfahren bzw. Lohnsteuerermäßigungsverfahren seien nur die auf den Dachausbau entfallenden Absetzungen nach § 14a Abs.6 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) und die mit dem Dachausbau zusammenhängenden Aufwendungen (Zinsen und Damnum) berücksichtigungsfähig, wovon auf die Antragstellerin 13 105 DM entfielen. Die übrigen Aufwendungen, nämlich die Absetzungen nach § 14b BerlinFG auf den Modernisierungsaufwand, die Absetzungen für Abnutzung (AfA) auf den Altbau sowie die Zwischenfinanzierungszinsen, Hypothekenzinsen, Verwaltungs- und Bewirtschaftungskosten seien nach § 39a Abs.1 Nr.6 i.V.m. § 37 Abs.3 Sätze 5 bis 8 des Einkommensteuergesetzes 1986 (EStG) erst bei der Einkommensteuerfestsetzung abzuziehen. Das FA folgte dem Prüfer, trug auf der Lohnsteuerkarte 1986 einen Freibetrag von 13 105 DM ein und lehnte den Antrag auf Eintragung eines höheren Freibetrags durch Bescheid vom 10.April 1986 ab. Hiergegen erhob die Antragstellerin Sprungklage mit dem Antrag, den Freibetrag in der im Lohnsteuerermäßigungsverfahren beantragten Höhe auf der Lohnsteuerkarte einzutragen. Gleichzeitig beantragte sie Aussetzung der Vollziehung. Das Finanzgericht (FG) gab dem Aussetzungsantrag mit dem angefochtenen Beschluß, der in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1987, 54 veröffentlicht ist, in vollem Umfang statt.

Gegen den Aussetzungsbeschluß wendet sich das FA mit der vom FG zugelassenen Beschwerde. Es macht geltend, das FG habe zu Unrecht vorläufigen Rechtsschutz im Wege der Aussetzung der Vollziehung gewährt. Es sei auch nicht ernstlich zweifelhaft, daß nach § 39a Abs.1 Nr.6 EStG nur die auf den Dachausbau entfallenden Aufwendungen eintragungsfähig seien. Das FG habe zudem seine Pflicht, den Sachverhalt vollständig aufzuklären, verletzt, indem es sämtliche von der Antragstellerin geltend gemachten Aufwendungen berücksichtigt habe, ohne den vollständigen Prüfungsbericht anzufordern und zu prüfen.

++/ Das FA hat zunächst beantragt, den Aussetzungsbeschluß aufzuheben und den Aussetzungsantrag als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen. Nachdem es auf die als Einspruch behandelte Sprungklage durch Einspruchsentscheidung entschieden hatte, hat es die Hauptsache für erledigt erklärt.

Es führt aus, der angefochtene Beschluß des FG sei durch den Erlaß der Einspruchsentscheidung wirkungslos geworden. Das FG habe die Wirksamkeit des Aussetzungsbeschlusses bis zur Einspruchsentscheidung befristet. Es habe in den Gründen des Beschlusses darauf hingewiesen, es stehe dem FA frei, die Wirkungen der vorläufigen Entscheidung durch ein beschleunigtes Verfahren in der Hauptsache wieder zu beseitigen.

Die Antragstellerin vertritt die Ansicht, das Beschwerdeverfahren habe sich durch die Einspruchsentscheidung nicht erledigt. Der Aussetzungsbeschluß sei auch in der Sache zutreffend. /++

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist teilweise begründet.

1. Das Beschwerdeverfahren ist entgegen der Ansicht des FA durch den Erlaß der Einspruchsentscheidung nicht erledigt.

++/ Das FG hat die Wirkung des Aussetzungsbeschlusses zeitlich nicht entsprechend begrenzt. Regelmäßig hat die vom FG ausgesprochene Aussetzung der Vollziehung eines Bescheides Wirkung nur für die Dauer des finanzgerichtlichen Verfahrens (Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. Januar 1978 VII S 13/77, BFHE 124, 22, BStBl II 1978, 157). Aus dem angefochtenen Beschluß ist nicht zu entnehmen, daß das FG --abweichend vom Regelfall-- eine kürzere Wirkung der Aussetzung der Vollziehung bestimmt hat. Die Beschlußformel enthält keine zeitliche Begrenzung. Der vom FA zur Stützung seiner Auffassung herangezogene Hinweis auf die Gründe des Aussetzungsbeschlusses, wonach es dem FA freistehe, die Wirkung der vorläufigen Entscheidung durch ein beschleunigtes Verfahren in der Hauptsache wieder zu beseitigen, läßt nicht darauf schließen, das FG habe die Aussetzung der Vollziehung nur bis zum Erlaß der Einspruchsentscheidung gewähren wollen. Aus den Ausführungen des FG, es habe wegen des summarischen Verfahrens davon abgesehen, die Höhe der geltend gemachten Aufwendungen zu kürzen, ist vielmehr zu folgern, daß das FG durch ein beschleunigtes Verfahren des FA in Kürze selbst zu einer endgültigen Prüfung der Höhe des Freibetrags gelangen werde. /++

2. Der Hilfsantrag des FA, den Aussetzungsbeschluß aufzuheben, ist teilweise begründet.

a) Zutreffend geht das FG davon aus, daß vorläufiger Rechtsschutz jedenfalls dann nicht durch einstweilige Anordnung (§ 114 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), sondern durch Aussetzung der Vollziehung (§ 69 FGO) zu gewähren ist, wenn das FA die Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte teilweise ablehnt (vgl. zur vollständigen Ablehnung eines derartigen Antrags Beschluß des BFH vom 21.Dezember 1982 VIII B 36/82, BFHE 137, 232, BStBl II 1983, 232).

Die Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte ist die gesonderte Feststellung einer Besteuerungsgrundlage i.S. des § 179 Abs.1 der Abgabenordnung (AO 1977), die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht. Ein mit einer Belehrung über den zulässigen Rechtsbehelf versehener schriftlicher Bescheid ist zu erteilen, wenn dem Antrag des Arbeitnehmers nicht in vollem Umfang entsprochen wird (§ 39a Abs.4 Sätze 1 und 3 EStG). Wendet sich ein Lohnsteuerzahler gegen die Eintragung eines zu niedrigen Freibetrages, so muß er eine Anfechtungsklage erheben (Beschluß des BFH vom 11.Mai 1973 VI B 116/72, BFHE 109, 302, BStBl II 1973, 667). Diese Klageart gebietet grundsätzlich, vorläufigen Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung zu gewähren. Denn in § 69 Abs.1 und 2 FGO wird die Aussetzung der Vollziehung "angefochtener" Bescheide geregelt. Allerdings folgt aus der Klageart nicht zwingend, auf welche Weise vorläufiger Rechtsschutz gegen einen Feststellungsbescheid zu gewähren ist. Vielmehr ist nach Sinnzusammenhang und Zweck des § 69 FGO zu prüfen, ob er vom Regelungsinhalt her auch andere Fälle erfaßt (vgl. BFH-Beschluß vom 10.Juli 1979 VIII B 84/78, BFHE 128, 164, BStBl II 1979, 567). Die Anwendung des § 69 FGO auf Bescheide, in denen die Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte teilweise abgelehnt wird, ist deshalb gerechtfertigt, weil auch in Verfahren, in denen sich ein Steuerpflichtiger gegen die überhöhte Festsetzung von Vorauszahlungen wehrt, vorläufiger Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung zu gewähren ist (Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 5.Aufl., § 37 Anm.7 m.w.N.).

Der teilweise ablehnende Bescheid über die Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte ist auch vollziehbar. Er bildet die Grundlage für die Eintragung des Freibetrages durch das FA und die Einbehaltung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber bzw. für den Lohnsteuer-Jahresausgleich durch den Arbeitgeber (§§ 38a Abs.4, 42b EStG). Er ist damit in seiner Wirkung vergleichbar mit einem Verlustfeststellungsbescheid, gegen den vorläufiger Rechtsschutz ebenfalls im Wege der Aussetzung der Vollziehung zu gewähren ist (BFHE 128, 164, BStBl II 1979, 567). Der Senat hält insoweit an der Rechtsauffassung im Beschluß vom 19.November 1984 IX B 28/84 (Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1985, 259) nicht mehr fest.

Mit der Aussetzung der Vollziehung wird das Ergebnis der Hauptsache rechtlich nicht vorweggenommen (ebenso für die einstweilige Anordnung BFH-Beschluß vom 8.Dezember 1972 VI B 39/72, BFHE 107, 492, BStBl II 1973, 245).

b) Dem FG ist auch darin zu folgen, daß an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 10.April 1986 ernstliche Zweifel bestehen (§ 69 Abs.3 Satz 1 i.V.m. Abs.2 Satz 2 FGO). Nach § 39a Abs.1 Nr.6 Satz 1 EStG wird auf der Lohnsteuerkarte der Betrag der negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung eingetragen, der sich u.a. bei Inanspruchnahme erhöhter Absetzungen nach § 14a BerlinFG ergeben wird. Der BFH hat bereits im Zusammenhang mit der Entscheidung, welche Bedeutung der Bauzustand eines Objektes auf den Zeitpunkt der Eintragung erhöhter Absetzungen nach § 7b EStG auf der Lohnsteuerkarte hat, ausgeführt, daß auch weitere Werbungskosten eintragungsfähig sein können (Urteil vom 6.März 1980 VI R 148/77, BFHE 130, 290, BStBl II 1980, 509 unter 2a). Der Senat hat keine Bedenken, diese für das Urteil des VI. Senats nicht entscheidungserhebliche Rechtsansicht im Rahmen der summarischen Prüfung nach § 69 FGO für erhöhte Absetzungen nach § 14a Abs.6 BerlinFG entsprechend anzuwenden.

Aus den einschränkenden Vorschriften, die durch das Steuerentlastungsgesetz 1984 eingefügt worden sind (§ 39a Abs.1 Nr.6 Satz 2 i.V.m. § 37 Abs.3 Sätze 5 bis 8 EStG), läßt sich nicht eindeutig entnehmen, worauf sich der Freibetrag in den dort geregelten Fällen erstrecken soll. Nach § 37 Abs.3 Satz 5 EStG werden bei der Festsetzung der Vorauszahlungen bzw. im Lohnsteuerermäßigungsverfahren negative Einkünfte aus der Vermietung oder Verpachtung eines Gebäudes nur für Kalenderjahre nach der Anschaffung oder Fertigstellung berücksichtigt. Diese zeitliche Hinauszögerung der Eintragungsfähigkeit beseitigt § 37 Abs.3 Satz 7 EStG für negative Einkünfte aus der Vermietung oder Verpachtung eines Gebäudes, für das erhöhte Absetzungen nach § 14a BerlinFG in Anspruch genommen werden. Das hat zur Folge, daß bei Gebäuden, für die erhöhte Absetzungen nach § 14a Abs.6 BerlinFG für Teilherstellungskosten in Anspruch genommen werden, die negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bereits im Jahr der Entstehung dieser Teilherstellungskosten eintragungsfähig sind. Zweifelhaft ist, ob nur die negativen Einkünfte im Zusammenhang mit den nach § 14a Abs.6 BerlinFG begünstigten Teilherstellungskosten eintragungsfähig sind, oder die gesamten negativen Einkünfte aus dem Grundstück. Der Gesetzeswortlaut spricht für die Rechtsansicht des FG. Denn die negativen Einkünfte aus einem Grundstück können nur insgesamt ermittelt werden. Im Schrifttum wird ebenfalls eine weite Auslegung mit der Begründung befürwortet, daß § 37 Abs.3 Sätze 5 bis 8 EStG für den Berliner Wohnungsbau deshalb nicht anwendbar sein sollen, weil nach § 14a Abs.6 BerlinFG erhöhte Absetzungen bereits für Teilherstellungskosten oder für Anzahlungen auf Anschaffungskosten vorgenommen werden dürfen (Puhl, Der Betrieb --DB-- 1984, 10, 14; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19.Aufl., § 37 EStG Grüne Blätter S.24). Abschn.213 n Abs.3 Satz 5 der Einkommensteuer-Richtlinien 1984 sieht ausdrücklich vor, daß neben den Sonderabschreibungen auch andere Werbungskosten zu berücksichtigen sind. Zudem hat sich die Oberfinanzdirektion (OFD) Berlin in einer Rundverfügung vom 22.Dezember 1986 (St 442-S 2297-2/86) auf den Standpunkt gestellt, bei Dachausbauten in Mehrfamilienhäusern sei als Gebäude i.S. des § 37 Abs.3 Sätze 5 und 7 (ab 1.Januar 1987 Sätze 6 und 8) EStG das Gesamtgebäude zu verstehen; der Freibetrag soll danach offenbar die gesamten negativen Einkünfte umfassen. Angesichts der Zweifelhaftigkeit der Rechtslage stimmt der Senat mit dem FG überein, daß eine Aussetzung der Vollziehung dem Grunde nach geboten war. Die endgültige Klärung muß im Hauptverfahren, ggf. im Verfahren nach § 100 Abs.1 Satz 4 FGO, erfolgen.

c) Der Senat hält jedoch eine Aussetzung der Vollziehung in der vom FG ausgesprochenen Höhe für nicht zutreffend. Das FG hat bei der Ermittlung der Höhe des Freibetrages ohne nähere Prüfung den Vortrag der Antragstellerin zugrunde gelegt, obwohl nach der Feststellung des Prüfers geringere Gesamtaufwendungen angefallen sind. Das FA rügt mit Recht, das FG habe selbst bei Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit nicht ohne weiteres dem Vortrag der Antragstellerin folgen dürfen (wird ausgeführt).

 

Fundstellen

Haufe-Index 61640

BStBl II 1987, 344

BFHE 148, 533

BFHE 1987, 533

BB 1987, 808

BB 1987, 808-809 (ST)

DB 1987, 920-921 (ST)

DStR 1987, 299-299 (ST)

HFR 1987, 412-413 (ST)

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