Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde wegen nicht zutreffender Tatsachenwürdigung

 

Leitsatz (NV)

Die Rüge, das FG habe die von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht zutreffend gewürdigt, kann nur dann gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zur Zulassung der Revision führen, wenn eine Verletzung von Beweisregeln, allgemeinen Erfahrungssätzen oder Denkgesetzen dargetan wird.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Die Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) sind Landwirtseheleute, die einen Gemüsebaubetrieb betreiben. Wegen Nichtabgabe der Einkommensteuererklärung für das Jahr 1980 schätzte der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Einkommensteuer 1980 durch Bescheid vom 6. Juni 1983 fest. Der Bescheid wurde am selben Tage in zwei gesonderten Ausfertigungen für beide Kläger zwecks Zustellung mit Postzustellungsurkunde zur Post gegeben. Der Postbedienstete traf am 7. Juni 1983 keinen der Kläger in der Wohnung an. Nach dem Inhalt der beiden Postzustellungsurkunden hat er die beiden Schriftstücke beim zuständigen Postamt Köln hinterlegt und die schriftlichen Mitteilungen über diese Niederlegung in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben.

Da wegen Umbauarbeiten am Haus der Kläger der Hausbriefkasten entfernt worden war, hat der Postbedienstete die beiden Mitteilungen wie auch die übrige Post unter der Haustür durchgeschoben. Dort wurden die Mitteilungen von den beiden in den Jahren 1968 und 1975 geborenen Töchtern aufgefunden, die sich tagsüber allein im Haus befanden.

Nach Angaben der Kläger wurden die beiden Mitteilungen erst am 8. August 1983 in einem Spielschrank der Kinder entdeckt. Noch am selben Tage holte die Klägerin die Schriftstücke mit den beigeschlossenen Einkommensteuerbescheiden beim Postamt ab. Mit dem vom damaligen Bevollmächtigten gefertigten Einspruch vom 11. August 1983, am selben Tage beim FA eingegangen, begehrten die Kläger eine um 5 762 DM niedrigere Steuerfestsetzung. Zur näheren Begründung wurde am 18. August 1983 die Einkommensteuererklärung für 1980 nachgereicht.

Mit Schreiben vom 30. August 1983 unterrichtete das FA die Kläger von der Niederlegung der Schriftstücke am 7. Juni 1983 und wies die Kläger wegen der Fristversäumung auf die Möglichkeit eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hin. Namens der Kläger stellte die Klägerin mit Schreiben vom 18. September 1983 diesen Antrag mit der Einlassung, ihre Kinder hätten ,,die Zettel von der Post für Reklame" gehalten. Das FA erachtete diese Wiedereinsetzungsgründe für nicht hinreichend und wies den Einspruch als unzulässig zurück.

Zur Begründung der auf Aufhebung der Einspruchsentscheidung gerichteten Klage haben die Kläger vorgetragen, ihre Kinder seien belehrt gewesen, daß eingehende Briefe sorgfältig aufzubewahren seien. Hieran hätten sie sich auch streng gehalten. Die beiden Mitteilungsscheine seien von den Kindern nicht als solche zu verwahrende Post erkannt worden; sie hätten sie vielmehr für Reklamezettel gehalten, wie sie täglich jeden Haushalt erreichten, und deshalb zum Spielen benutzt. Eine stärkere Beaufsichtigung der Kinder, die u. U. diesen Fehlgebrauch hätte vermeiden können, sei zum damaligen Zeitpunkt nicht möglich gewesen. Die Ehefrau habe wegen eines Betriebsunfalls des Klägers einspringen müssen, um den ohnehin existenzgefährdeten Betrieb aufrechtzuerhalten.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Den Klägern sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen nicht schuldhafter Fristversäumung zu gewähren. Mit der Weisung an die Kinder, eingehende Post sorgfältig aufzubewahren, hätten die Kläger alles getan, was ihnen nach ihren persönlichen Verhältnissen und den Umständen zumutbar und möglich war, um einem Verlust eingehender Post vorzubeugen. Die Belehrung der Eltern, Postsendungen jeder Art sorgfältig aufzubewahren, sei ausreichend. Wenn die Kinder hierbei die Wichtigkeit der kleinen und unscheinbaren Benachrichtigungsscheine der Post verkannt hätten, so könne dies den Klägern nicht angelastet werden.

Das FA hat wegen Nichtzulassung der Revision im Urteil des FG Beschwerde erhoben, der das FG nicht abgeholfen hat. Das FA ist der Auffassung, das FG habe ,,in seiner Entscheidung den Sachverhalt nicht zutreffend gewürdigt und dabei allgemeine Rechts- und Denkgrundsätze verletzt". Nach den vom FG getroffenen Feststellungen seien die Kinder lediglich angewiesen worden, Briefe sorgfältig aufzubewahren; beiliegende Reklame u. a. hätten sie zum Spielen verwenden dürfen. Das FG stütze seine Entscheidung jedoch auf die mit diesen Feststellungen nicht übereinstimmende Annahme, die Kinder seien über die Aufbewahrung aller eingehenden Post ausreichend instruiert gewesen. Dies habe zu einer unzutreffenden Entscheidung geführt. Nach dem Inhalt der erteilten Belehrung sei nämlich den Kindern überlassen geblieben zu bewerten, was als Brief aufzubewahren sei bzw. was als Reklame zum Spielen habe verwendet werden können. Damit hätten die Kläger außer acht gelassen, daß durchaus Postsendungen eingehen können, die nicht ohne weiteres als Briefsendung erkennbar sein würden. Hierdurch aber hätten sie ihre Sorgfaltspflicht schuldhaft verletzt.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde des FA ist zurückzuweisen.

Nach dem Vorbringen des FA wird die Beschwerde auf § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützt. Nach dieser Vorschrift ist die Revision zuzulassen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann; der Verfahrensmangel ist geltend zu machen.

Mit seiner Rüge, das FG habe die getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht zutreffend gewürdigt, macht das FA geltend, das FG habe das Vorbringen der Kläger zur Glaubhaftmachung ihres Wiedereinsetzungsbegehrens unzulässigerweise in einem für diese günstigen Sinne verstanden. Es habe nämlich eine auf Briefe beschränkte und damit unzureichende Belehrung der Kinder seitens ihrer Eltern auf alle eingehende Post (ausgenommen Reklame) ausgeweitet und eine Belehrung dieses Inhalts für ausreichend erachtet.

Eine Verletzung allgemeiner Erfahrungssätze oder der Denkgesetze ist jedoch nicht darin zu sehen, daß das FG die Kläger nicht an ihrer bloßen Wortwahl festgehalten hat, sondern dem Inhalt ihres Vorbringens (d. h. dem wirklich Gemeinten) nachgegangen ist. Es ist kein Mißbrauch im Rahmen freier Beweiswürdigung, wenn das FG die Einlassung der Kläger, die Kinder seien zur sorgfältigen Aufbewahrung von Briefen angehalten worden, als Belehrung zur Aufbewahrung von Postsendungen verstanden hat. Sonst wäre u. a. die Aufbewahrung von Postkarten und Päckchen ausgeschlossen gewesen. Dies ergäbe keinen Sinn. Soweit das FA seine Rüge mit der Einlassung abstützt, die Kinder hätten die Erlaubnis der Eltern gehabt, andere Druckstücke wie z. B. Reklame zum Spielen verwenden zu dürfen, wird dies von den Entscheidungsgründen des FG-Urteils nicht gedeckt. Es ist in tatsächlicher Hinsicht nicht festgestellt, daß die Kläger gegenüber ihren Kindern irgendeine Unterscheidung zwischen aufzubewahrendem und nicht aufzubewahrendem Postgut gemacht haben. Infolgedessen hat sich das FG nicht mißbräuchlich über eine entscheidungserhebliche Tatsache hinweggesetzt.

Liegen demnach relevante Verstöße durch Verletzung von Beweisregeln, allgemeinen Erfahrungssätzen und Denkgesetzen nicht vor, können die Angriffe gegen die Würdigung des Sachverhalts durch das FG im übrigen im Rahmen dieses Verfahrens nicht berücksichtigt werden. Die Grundsätze der Beweiswürdigung sind im vorgezeichneten Rahmen revisionsrechtlich dem sachlichen Recht und nicht dem Verfahrensrecht zuzuordnen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414118

BFH/NV 1986, 739

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