Entscheidungsstichwort (Thema)

(Keine Erstattung der notwendigen Aufwendungen im isolierten Einspruchsverfahren)

 

Leitsatz (amtlich)

Es ist mit dem GG vereinbar, daß der im Einspruchsverfahren nach der AO 1977 obsiegende Steuerpflichtige keinen Ersatz der Kosten erhält, die ihm durch die (notwendige) Zuziehung eines Bevollmächtigten entstanden sind.

 

Orientierungssatz

Ein entsprechender Anspruch des Steuerpflichtigen läßt sich weder aus § 80 Abs.2 VwVfG, der nicht für Verfahren der Bundesfinanzbehörden oder Landesfinanzbehörden gilt, noch aus den §§ 139 Abs.3 Satz 3 FGO, 63 Abs.1 SGB X sowie 77 Abs.1 EStG herleiten.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 347, 347ff; FGO § 139 Abs. 3 S. 3; GG Art. 3 Abs. 1; VwVfG § 2 Abs. 2 Nr. 1, § 80; SGB X § 63 Abs. 1; EStG § 77 Abs. 1

 

Tatbestand

Nachdem Einsprüche des Antragstellers, Beschwerdeführers und Klägers (Antragsteller) gegen Steuerbescheide, die ihm gegenüber erlassen worden waren, im Ergebnis erfolgreich gewesen waren, beantragte er bei dem beklagten Finanzamt (FA), die ihm zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen (Rechtsanwaltskosten von 938,22 DM) zu erstatten. Das FA lehnte die Begleichung der Kostenrechnung ab. Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gegen das FA hält der Kläger an seinem Begehren fest.

Das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (PKH) und Beiordnung eines bevollmächtigten Rechtsanwalts für die bei ihm anhängige Klage ab. Mit der Beschwerde verfolgt der Kläger seinen PKH- und Beiordnungsantrag für das Klageverfahren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Das FG hat den PKH-Antrag des Klägers für die Klage wegen Kostenerstattung zu Recht mit der Begründung abgelehnt, daß die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete (§ 142 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung). Der Senat hält die nachstehende Begründung des FG auch unter Berücksichtigung der im PKH-Verfahren gebotenen, nur summarischen Beurteilung der Rechtslage für zutreffend. Die mit der Beschwerde erhobenen Einwendungen, nach denen der Beschluß des FG die vorgetragene Problematik nicht in dem erforderlichen Umfang erfasse, greifen nicht durch.

Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß es an einer gesetzlichen Regelung fehlt, nach der einem Steuerpflichtigen, der im "isolierten Vorverfahren" (d.h. ohne anschließendes Gerichtsverfahren) obsiegt, ein Kostenerstattungsanspruch gegen das FA eingeräumt wird. Das Einspruchsverfahren nach der Abgabenordnung (AO 1977) ist seit dem 1. Januar 1977 für beide Verfahrensbeteiligte (Einspruchsführer und FA) kostenfrei; Einspruchsführer und FA haben jeweils ihre eigenen Aufwendungen zu tragen (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16.Aufl., Vor § 347 AO 1977 Tz.7). Die Gründe, die den Gesetzgeber zu dieser von § 80 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) --der für das Widerspruchsverfahren die Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen bestimmt-- abweichenden Regelung bewogen haben, ergeben sich aus dem schriftlichen Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages (BTDrucks 7/4292: Das Einspruchsverfahren ist ein verlängertes Veranlagungsverfahren; ca. 60 v.H. der Einsprüche führen zur Änderung des Bescheids, Erleichterung der Rücknahme des Rechtsbehelfs wegen Kostenfreiheit, Verwaltungsvereinfachung etc.). § 2 Abs.2 Nr.1 VwVfG stellt --wie das FG ausgeführt hat-- ausdrücklich klar, daß dieses Gesetz und folglich die Vorschrift des § 80 Abs.2 VwVfG, wonach Kosten für die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren grundsätzlich erstattungsfähig sind, nicht für Verfahren der Bundes- oder Landesfinanzbehörden nach der AO 1977 gilt.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat mit Urteil vom 27. September 1989 8 C 88.88 (BVerwGE 82, 336) entschieden, daß die entsprechende Regelung des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes --BayVwVfG-- (Art.2 Abs.2 Nr.1 BayVwVfG) auch die Anwendung der in Art.80 BayVwVfG geregelten Kostenerstattung auf das kommunalabgabenrechtliche Widerspruchsverfahren ausschließt. Das Gericht hat dies u.a. ebenfalls mit der Unselbständigkeit des Widerspruchsverfahrens gegenüber dem allgemeinen Verwaltungsverfahren (Einheit des Verfahrens) begründet (vgl. ebenso zum Einspruchsverfahren als Abschnitt des allgemeinen steuerlichen Verwaltungsverfahrens: Dumke in Schwarz, Abgabenordnung, Vor §§ 347 bis 368 Anm.64).

Daß ein Anspruch auf Erstattung der Kosten eines erfolgreichen kommunalabgabenrechtlichen Vorverfahrens nicht besteht, begegnet nach Auffassung des BVerwG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet, die Bürger in den verschiedenen Vorverfahren kostenrechtlich gleichzustellen; es gebe keinen allgemeinen verbindlichen Rechtsgedanken des Inhalts, dem in einem Widerspruchsverfahren obsiegenden Bürger sei stets ein Anspruch auf Erstattung seiner Kosten zuzubilligen. Überdies gebe es sachliche Gründe für die unter dem Blickwinkel der Kostenerstattung unterschiedliche Behandlung von Vorverfahren, auf die die Verwaltungsverfahrensgesetze anwendbar seien, und solchen, die nach Maßgabe der AO 1977 durchzuführen sind (Hinweis auf den Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags zum Entwurf der AO 1977, BTDrucks 7/4292, S.8 f.). Diese Gründe schlössen die Annahme aus, der Verzicht auf die Begründung eines Kostenerstattungsanspruchs im Vorverfahren abgabenrechtlicher Art entziehe sich einer Rechtfertigung und sei deshalb willkürlich (BVerwGE 82, 336, 342).

Der Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung an. Sie entspricht auch für den gegenwärtigen Rechtszustand dem vom FG zitierten Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 20. Juni 1973 1 BvL 9/71, 1 BvL 10/71 (BStBl II 1973, 720), nach dem die Kostenregelung für das isolierte Vorverfahren nach der Reichsabgabenordnung --AO-- (hier: Kostenpflicht bei erfolglosem Einspruch, aber keine Kostenerstattung bei Erfolg des Rechtsbehelfs) nicht gegen Art.3 Abs.1 des Grundgesetzes (GG) verstößt, auch wenn andere bundesrechtlich geregelte, nichtabgabenrechtliche Verwaltungsvorschriften einem betroffenen Staatsbürger anders als im abgabenrechtlichen Vorverfahren in verschiedenem Umfang einen Kostenerstattungsanspruch einräumen. Dem Antragsteller kann demnach nicht darin gefolgt werden, daß die vorgenannte BVerfG-Entscheidung keine Bedeutung mehr habe, weil sie vor Erlaß des VwVfG mit der Kostenerstattungsregelung des § 80 ergangen ist. Aus der im Jahre 1989 ergangenen Entscheidung des BVerwG folgt ferner, daß § 80 VwVfG nicht inzwischen --wie der Antragsteller meint-- als "flächendeckende Regelung" zum allgemeinen Rechtsgrundsatz erstarkt ist, der --entgegen der ausdrücklichen Vorschrift in § 2 Abs.2 Nr.1 VwVfG-- nunmehr auch für das isolierte Vorverfahren nach der AO 1977 (wohl entsprechend?) anzuwenden sei.

Die vorstehend zitierte Entscheidung des BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit des Fehlens einer Regelung in der AO über die Kostenerstattung für das Einspruchsverfahren erscheint nunmehr um so mehr gerechtfertigt, als die AO 1977 --im Gegensatz zu § 251 Abs.1 AO-- auch auf die Einführung einer den Rechtsbehelfsführer treffenden Kostenpflicht bei erfolglosem Einspruchsverfahren verzichtet hat. Darin liegt zugleich --wie das FG ausgeführt hat-- ein wesentlicher Unterschied des in der AO 1977 geregelten Rechtsbehelfsverfahrens zu dem Vorverfahren i.S. des § 68 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), auf die sich die Regelung des § 80 VwVfG bezieht. Denn der erfolglose Widerspruchsführer muß in der Regel eine Widerspruchsgebühr zahlen und der Behörde die notwendigen Auslagen ersetzen (§ 80 Abs.1 Satz 3 VwVfG, vgl. auch § 73 Abs.3 Satz 2 VwGO). Darin mag --wie in der Beschwerde näher ausführt wird-- deshalb keine "Waffen"-Gleichheit der Verfahrensbeteiligten zu sehen sein, weil bei der Behörde Auslagen in vergleichbarer Höhe wie beim Rechtsbehelfsführer in der Regel nicht anfallen und etwaige Gebühren für das Widerspruchsverfahren deutlich geringer als die Rechtsanwaltskosten sind. Daraus kann aber kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf die Erstattung notwendiger Auslagen auch in isolierten Rechtsbehelfsverfahren nach der AO 1977 hergeleitet werden.

Dies gilt auch insoweit, als nach der Ausnahmeregelung des § 139 Abs.3 Satz 3 FGO (vgl. Dumke in Schwarz, a.a.O., Vor §§ 347 bis 368 Anm.65) die Vorverfahrenskosten dann erstattungsfähig sind, wenn das FG in einem sich an ein erfolgloses Vorverfahren anschließenden Klageverfahren die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt hat. In diesem Fall ist die Rechtsauffassung des Rechtsbehelfsführers und Klägers nicht lediglich von der Finanzbehörde gebilligt worden, sondern sie hat im Widerstreit zu der in der Einspruchsentscheidung aufrechterhaltenen Ansicht der Behörde ihre rechtliche Bestätigung durch das FG gefunden. Auch das BVerfG ist bereits zu dem Ergebnis gekommen, daß die Ungleichbehandlung eines bereits im Vorverfahren erfolgreichen Widerspruchs- bzw. Einspruchsführers und eines erst im gerichtlichen Verfahren obsiegenden Klägers hinsichtlich der Kostenerstattung nicht willkürlich ist (BVerfG in BStBl II 1973, 720, 723, m.w.N.).

Schließlich kann auch --entgegen der Auffassung des Antragstellers-- aus der Regelung des § 63 Abs.1 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X), nach der, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten hat, kein allgemeiner Rechtsgrundsatz entnommen werden, der auch für das Einspruchsverfahren nach der AO 1977 Anwendung finden müßte. Die vorstehende Regelung gilt seit dem 1. Januar 1981 für Widerspruchsverfahren im Sozialrecht (Schröder-Printzen, Sozialgesetzbuch X, Kommentar, 2.Aufl., § 63 Anm.1). Das BVerfG ist bereits in seinem Beschluß in BStBl II 1973, 720, 724 a.E. zu dem Ergebnis gelangt, daß der Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 GG) es nicht gebietet, günstigere Kostenregelungen, die sich aus der besonderen sozialen Stellung der Betroffenen rechtfertigen (dort angeführt: §§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes) auf andere Verwaltungsverfahren zu übertragen. Das Steuerrecht als Eingriffsrecht kann für die Frage der Kostenerstattung für ein erfolgreiches isoliertes Rechtsbehelfsverfahren nicht mit dem Sozialrecht verglichen werden, bei dem es um --oft existentielle-- Fragen der Leistungsgewährung an den Bürger geht.

Das zeigt insbesondere die jüngste Entscheidung des Gesetzgebers im Zusammenhang mit dem Jahressteuergesetz 1996, mit dem das Kindergeldrecht nunmehr im Einkommensteuergesetz --EStG-- (Abschn.X §§ 62 ff. EStG) geregelt worden ist. Nach § 77 Abs.1 EStG n.F. hat die Familienkasse dem Einspruchsführer bei erfolgreichem Einspruch gegen die Kindergeldfestsetzung (§ 70 EStG n.F.) --nunmehr eine Abgabenangelegenheit i.S. von § 347 Abs.1 Nr.1, Abs.2 AO 1977-- die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Gebühren oder Auslagen eines Bevollmächtigten sind nach Abs.2 der Vorschrift erstattungsfähig, wenn dessen Zuziehung notwendig war. Diese Ausnahmeregelung in einem Steuergesetz (vgl. Dumke in Schwarz, a.a.O., Vor §§ 347 bis 368 Anm.65 a) ist im Hinblick auf die Rechtsnatur der Kindergeldregelungen als Sozialrecht gerechtfertigt. Der Gesetzgeber hat aber keine Veranlassung gesehen, die vorstehende Regelung über die Kostenerstattung allgemein auf das Einspruchsverfahren nach der AO 1977 auszudehnen.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung der PKH durch das FG für das anhängige Klageverfahren wegen der Erstattung der Kosten des Einspruchsverfahrens war somit zurückzuweisen. Über die Erfolgsaussichten eines etwaigen Anspruchs auf Kostenerstattung als Schadensersatz wegen Amtspflichtsverletzung (vgl. hierzu Senatsbeschluß vom 22. August 1995 VII B 107/95, BFHE 178, 532, BStBl II 1995, 916, und Tipke/ Kruse, a.a.O., Vor § 347 AO 1977 Tz.7) hat der Senat im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66098

BStBl II 1996, 501

BFHE 180, 529

BFHE 1997, 529

BB 1996, 2029

BB 1996, 2029-2030 (LT)

DB 1996, 1908 (L)

DStR 1996, 1482-1483 (KT)

DStZ 1996, 711-712 (KT)

HFR 1996, 718-720 (L)

StE 1996, 628 (K)

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