Leitsatz (amtlich)

Richtet sich die Klage gegen die Ablehnung eines Steuererlasses nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AO, so ist ein Antrag auf eine einstweilige Anordnung statthaft, durch die dem FA untersagt wird, vor Beendigung des Hauptverfahrens den Steuerbetrag einzuziehen. Ein vorläufiger Steuererlaß kann nicht begehrt werden.

 

Normenkette

AO § 131 Abs. 1 S. 2; FGO § 40 Abs. 1, § 114

 

Tatbestand

In seiner Eigenschaft als Handelsvertreter ist dem Beschwerdeführer (Steuerpflichtiger) im Jahre 1966 auf Grund eines Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB ein Betrag in Höhe von 300 000 DM zugeflossen. Das FA hat diesen Betrag bei der vorläufigen Einkommensteuer-Veranlagung 1966 erfaßt. Der Steuerpflichtige beantragte den Erlaß der auf diesen Betrag entfallenden Einkommensteuer in Höhe von 55 820 DM. Das FA lehnte den Erlaß ab. Die Beschwerde blieb ohne Erfolg. Gegen die Beschwerdeentscheidung der OFD erhob der Steuerpflichtige Klage. Mit der Klage verband er einen Antrag auf vorläufigen Erlaß der Einkommensteuer im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO.

Das FG wies den Antrag ab. Es hielt ihn für zulässig, da er mit dem Wesen der erhobenen Verpflichtungsklage in Einklang stehe (Hinweis auf die Entscheidungen des BFH III B 18/66 vom 18. November 1966 - BFH 87, 335 -, BStBl III 1967, 142; II B 28/70 vom 24. September 1970, BFH 100, 83, BStBl II 1970, 813). Das Ergebnis des Hauptverfahrens werde nicht vorweggenommen. Im Rahmen eines Eilverfahrens könne das Gericht einen Teilbetrag freigeben und die Auszahlung von einer Sicherheitsleistung abhängig machen. Es handle sich somit um eine Parallele zu dem Verfahren der Aufhebung von Vollziehungsmaßnahmen nach § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO. In sachlicher Hinsicht gehe es darum, ob die Einziehung einer Steuer im Sinne des § 131 AO unbillig sei. Ein Steuererlaß sei im Streitfall weder aus sachlichen noch aus persönlichen (wirtschaftlichen) Gründen geboten. - Aus der Entwicklung der Vorschriften des § 24 Nr. 1 Buchst. c und des § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG ergebe sich, daß der Gesetzgeber die Schwierigkeiten der einkommensteuerlichen Behandlung von Ausgleichszahlungen erkannt habe. Er habe jedoch solche Zahlungen über die Tarifvergünstigung des § 34 EStG hinaus nicht begünstigen wollen. - Die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen sei nicht gefährdet. Die von dem Prozeßbevollmächtigten dargelegten Umstände ließen zwar erkennen, daß sich der Betrieb des Steuerpflichtigen in Liquiditätsschwierigkeiten befinde. Doch handle es sich nicht um eine nachhaltige Notlage. Allenfalls komme eine Stundung in Betracht. Unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation des Steuerpflichtigen ergebe sich bei summarischer Prüfung, daß dem Steuerpflichtigen die Zahlung des vollen Einkommensteuerbetrages zugemutet werden könne.

Mit seiner Beschwerde gegen den vorstehenden Beschluß des FG beantragt der Steuerpflichtige unter Bezugnahme auf sein früheres Vorbringen den Erlaß einer einstweiligen Anordnung des Inhalts, daß der Einkommensteuerbetrag von 55 820 DM vorläufig erlassen werde. Er führt aus, ohne die beantragte einstweilige Anordnung nach § 114 FGO entstünden ihm wesentliche Nachteile. Sein Unternehmen habe in den letzten Jahren mit erheblichen Verlusten gearbeitet. Die finanzielle Notlage und die sich aus ihr ergebende Existenzgefährdung seien auch dem FA zumindest seit der im Jahre 1970 durchgeführten Betriebsprüfung bekannt. Zu der geforderten Steuerzahlung sei er nicht in der Lage. Die Notlage bestehe seit Anfang 1967 und werde noch längere Zeit andauern.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Das FG hat im Ergebnis zutreffend ausgeführt, daß der Antrag des Steuerpflichtigen auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung an sich statthaft ist. Doch kann entgegen der Auffassung der Vorinstanz mit dem Antrag nicht begehrt werden, daß das Gericht das FA für verpflichtet erkläre, einen Steuerbetrag vorläufig zu erlassen.

a) Nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis, wenn diese Regelung nötig erscheint, vor allem, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Wird mit dem Antrag ein "vorläufiger" Steuererlaß - gegen Sicherheitsleistung - erstrebt, so widerspricht dieses Begehren zwar nicht dem Erfordernis, daß durch die einstweilige Anordnung das Ergebnis des Hauptverfahrens nicht vorweggenommen werden darf. Die beantragte Maßnahme kommt jedoch deshalb nicht in Betracht, weil dem Abgabenrecht ein vorläufiger Steuererlaß unbekannt ist.

Nach § 114 Abs. 3 FGO in Verbindung mit § 938 Abs. 1 ZPO bestimmt zwar das Gericht nach freiem Ermessen, welche Anordnungen zur Erreichung des Zweckes erforderlich sind. Dieser Grundsatz erfährt jedoch für das Abgabenrecht wegen der Gesetzesgebundenheit der Steuerverwaltung eine Einschränkung dahin, daß die Behörde durch eine einstweilige Anordnung des Steuergerichts nur zum Erlaß eines solchen Verwaltungsakts verpflichtet werden kann, der im Abgabenrecht eine Grundlage findet (vgl. Kühn-Kutter, Kommentar zur Reichsabgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., 1970, Anm. 3 zu § 114 FGO; Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 5. Aufl. 1971, Anm. 13 zu § 123, mit weiteren Nachweisen). Das ist bei einem vorläufigen Steuererlaß nicht der Fall.

Ein vorläufiger Erlaß von Steuerbeträgen liefe auf einen Erlaß unter Widerrufsvorbehalt hinaus. Ein solcher Vorbehalt wäre indessen mit dem Wesen des Erlasses nicht vereinbar. Denn mit dem Wirksamwerden des Erlasses erlischt die Steuerschuld, sofern sie bereits zur Entstehung gelangt war. Ein Widerrufsvorbehalt wäre deshalb bei einer schon bestehenden Steuerschuld gegenstandslos (vgl. v. Wallis in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Anm. 68, 70 zu § 131 AO; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Anm. 32 zu § 131 AO; Mattern-Meßmer, Reichsabgabenordnung, Tz. 539).

b) Der Antrag auf vorläufigen Steuererlaß im Verfahren nach § 114 FGO muß deshalb dahin umgedeutet werden, daß der Steuerpflichtige mit ihm eine Anordnung erstrebt, durch die dem FA die Einziehung des Steuerbetrages, auf den sich der Erlaßantrag nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AO bezieht, für die Dauer des Hauptverfahrens untersagt wird. Eine solche Untersagung ist eine im Verfahren nach § 114 FGO zulässige Maßnahme (vgl. BFH-Beschlüsse III B 18/66, a. a. O.; III B 7/67 vom 16. Februar 1968, BFH 92, 28, BStBl II 1968, 443; II B 28/70, a. a. O.; II B 2/71 vom 14. Juli 1971, BFH 102, 238, BStBl II 1971, 633).

Der BFH hat zwar bei Anträgen von Angehörigen steuerberatender Berufe eine Umdeutung grundsätzlich abgelehnt (vgl. BFH-Beschluß II B 28/70, a. a. O.). Im vorliegenden Fall handelt es sich indessen nicht um die Umdeutung eines Rechtsbehelfs in einen anderen, von diesem wesensmäßig verschiedenen, wie z. B. eines Antrages auf Aussetzung der Vollziehung nach § 69 FGO in einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO (vgl. BFH-Beschluß II B 47/69 vom 25. März 1971, BFH 101, 346, BStBl II 1971, 334). Vielmehr stellt die hier begehrte Maßnahme - der vorläufige Steuererlaß - das (unzulässige) Mehr im Verhältnis zu der (zulässigen) zeitlich begrenzten Untersagung der Einziehung des Steuerbetrages dar. Die Umdeutung findet daher innerhalb des Antragsbegehrens statt. Sie ist in jedem Fall zulässig und geboten (§ 96 Abs. 1 Satz 2, § 113 Abs. 1 FGO; vgl. BFH-Beschluß II B 2/71, a. a. O.).

2. Versteht man den Antrag des Steuerpflichtigen im Sinne der vorstehenden Ausführungen als auf die Untersagung der Einziehung der Steuer gerichtet, so ist er gleichwohl unbegründet. Denn es fehlt schon an einer Glaubhaftmachung der tatsächlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf Steuererlaß nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AO. Für die hier zu treffende Entscheidung kommt es im übrigen nicht darauf an, ob es sich bei den Voraussetzungen dieser Vorschrift um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt. Der Begriff des "Anspruchs" ist im weiteren Sinne zu fassen.

a) Der Antragsteller hat zunächst die Berechtigung des im Hauptverfahren erhobenen Anspruchs glaubhaft zu machen (§ 114 Abs. 3 FGO, § 920 Abs. 1 und 2 ZPO; vgl. BFH-Beschluß II B 2/71, a. a. O.). Der Steuerpflichtige muß somit das Gericht davon überzeugen, daß eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Bestehen des im Hauptverfahren geltend gemachten Erlaßanspruchs spricht.

Das Anerbieten einer Sicherheitsleistung entbindet den Steuerpflichtigen hiervon nicht. Zwar ist nach § 114 Abs. 3 FGO in Verbindung mit § 921 Abs. 2 Satz 1 ZPO eine Glaubhaftmachung des Anspruchs und des Anordnungsgrundes nicht erforderlich, wenn Sicherheit geleistet wird. Diese Vorschrift ist aber - und hierin stimmt der Senat dem II. Senat in dem Beschluß II B 2/71, a. a. O. gleichfalls zu - nur für besonders dringende Fälle gedacht. Sicherheitsleistung kann die Glaubhaftmachung nur da entbehrlich machen, wo infolge eines durch die Glaubhaftmachung bedingten Zeitverlustes schwere Nachteile zu befürchten wären. Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben.

b) Das FG hat zutreffend auf Grund der im Verfahren der einstweiligen Anordnung gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage das Bestehen eines Anspruchs des Steuerpflichtigen auf Erlaß des bezeichneten Steuerbetrages nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AO verneint. Den Ausführungen des FG über das Fehlen eines einen Erlaß rechtfertigenden sachlichen Grundes ist nichts hinzuzufügen. Was die vom Steuerpflichtigen hervorgehobenen persönlichen Gründe anbelangt, so mag es zutreffen, daß auf Grund der dargelegten wirtschaftlichen Lage die Einziehung der Steuer mit erheblichen Härten für den Steuerpflichtigen verbunden wäre, die eine Stundung nach § 127 AO rechtfertigen würden. Dies hat der Senat indessen nicht zu prüfen. Für einen Erlaß von Steuern sind nach § 131 Abs. 1 AO erhebliche Härten der Einziehung nicht ausreichend. Vielmehr muß die Einziehung unbillig, d. h. ungerecht, sein (vgl. Tipke-Kruse, a. a. O., Anm. 4 zu § 131 AO). Der Steuerpflichtige hat aber nur dargelegt, daß er sich seit längerem in - wenngleich sehr erheblichen - Zahlungsschwierigkeiten befinde. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Einziehung ungerecht wäre, muß auch die Erwägung eine Rolle spielen, daß der Steuerpflichtige bereits im Jahre 1966, als ihm der Betrag von 300 000 DM zufloß, durch entsprechende Rücklagen dafür hätte sorgen müssen, daß die auf diesen Betrag entfallende Einkommensteuer bezahlt werden könnte. Unter diesem Gesichtspunkt kommt den in den Jahren bis einschließlich 1966 getätigten hohen Entnahmen Bedeutung zu. Alles in allem führt deshalb eine summarische Prüfung zur Bestätigung der Vorentscheidung.

Der Senat betont indessen, daß er mit dieser Beurteilung der vom FG im Hauptverfahren zu treffenden Entscheidung nicht vorgreifen kann. Denn erst im Hauptverfahren wird eine ins einzelne gehende Prüfung der Erlaßvoraussetzungen anzustellen sein.

c) Es kann für die Entscheidung dahingestellt bleiben, ob auch der Anordnungsgrund, d. h. die Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile (§ 114 Abs. 1 Satz 2 FGO) glaubhaft gemacht ist. Im Verfahren nach § 114 FGO kann der Steuerpflichtige, der im Hauptverfahren einen Erlaß von Steuern aus Billigkeitsgründen anstrebt, einen Aufschub der Einziehung von Steuerbeträgen nur erreichen, sofern er das Bestehen eines Anspruchs auf den Erlaß und damit die Erfolgsaussichten des Hauptverfahrens glaubhaft macht. Will der Steuerpflichtige hingegen im Hinblick auf gegenwärtige finanzielle Schwierigkeiten eine Stundung der Steuerzahlung oder einen Aufschub von Beitreibungsmaßnahmen nach den allgemeinen Vorschriften (§ 127, § 333 AO) erreichen, so muß er bei der zuständigen Behörde den entsprechenden Antrag stellen. Für eine weitere Umdeutung des im gerichtlichen Verfahren nach § 114 FGO gestellten Antrags auf Untersagung der Einziehung des Steuerbetrages in einen Antrag, das FA zur Stundung zu verpflichten, ist kein Raum. Denn es handelt sich um verschiedene Verfahren, für die - nach Maßgabe der von den obersten Finanzbehörden der Länder erlassenen Vorschriften - verschiedene Behörden zuständig sein können, woraus sich auch unterschiedliche Folgerungen für die gerichtliche Zuständigkeit ergeben können.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69616

BStBl II 1972, 83

BFHE 1972, 390

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