Entscheidungsstichwort (Thema)

NZB: Beweislast, Folgen unvollständiger Sachaufklärung

 

Leitsatz (NV)

Mit Hilfe der Beweislast darf die Frage einer verfahrensrechtlichen Zurechnung der Folgen unvollständiger Sachaufklärung ("non liquet") erst gelöst werden, wenn unter Ausschöpfung der zu Gebote stehenden Beweismittel der im Einzelfall erforderliche Grad an Gewissheit nicht erreicht werden kann.

 

Normenkette

FGO § 96 Abs. 1 S. 1, § 116 Abs. 6

 

Tatbestand

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1991 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurden. Sie nutzten seit 1982 eine in einen Dreifamilienhaus belegene, ihnen gehörende Eigentumswohnung zu eigenen Wohnzwecken. Die beiden anderen Wohnungen gehörten einer Familie B und einer Familie C. Die Miteigentümer waren untereinander stark zerstritten.

Die Kläger erwarben die Wohnung der B durch notariellen Vertrag vom … Februar 1993 über einen Strohmann. Dieser verkaufte sie mit notariellem Vertrag vom … Oktober 1993 an die Klägerin, die ihrerseits die Wohnung durch notariellen Vertrag vom … Februar 1994 an ihren Sohn und dessen Ehefrau weiterveräußerte.

Die Kläger machten geltend, die Klägerin habe zunächst den end-gültigen Beschluss gefasst, die Wohnung nach vorheriger aufwendiger Renovierung für eine Kaltmiete von rd. 24 DM - 25 DM/qm zu vermieten. Ihre Bemühungen seien aber erfolglos geblieben; weder über die beauftragten Makler noch über das eigene Inserat sei ein abschlusswilliger Mieter gefunden worden. Die Klägerin habe, nachdem sie bereits erhebliche Aufwendungen getätigt hatte, ihre Vermietungsabsicht aufgegeben und die für ihre Altersversorgung vorgesehene Wohnung an ihren Sohn und dessen Ehefrau veräußert.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) lehnte es ab, die die Wohnung betreffenden Finanzierungs- und Renovierungsaufwendungen von ca. 150 000 DM für 1993 als vorab entstandene Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung der Klägerin im Wege des Verlustrücktrags nach 1991 zu berücksichtigen.

Nach erfolglosem Einspruch wies das Finanzgericht (FG) die Klage ab.

Das FG führte zur Begründung aus:

Der Senat habe nicht die Überzeugung gewonnen, dass eine zunächst ausschließlich vorhandene Vermietungsabsicht erst später weggefallen sei. Bereits die Prozess-Serie zwischen den Miteigentümern und die dichte Folge der verschiedenen Notariatsakte ließen Unsicherheiten aufkommen, welche Absichten der Kläger und die Klägerin wirklich gehabt hätten. Der auch für die Klägerin handelnde Kläger habe relativ zeitnah in einem Schreiben vom Februar 1996 als Grundmotiv für den Erwerb "primär nicht eine Gewinnerzielungsabsicht, sondern vielmehr eine Ärgervermeidungsstrategie" angegeben. Erst als sie sich der Wohnung sicher sein konnten, hätten sie überlegt, wie sie sie künftig nutzen wollten. Dabei habe sich einerseits die Möglichkeit einer Vermietung durchaus angeboten, wenn man mit den Klägern das Wohnen mit den Kindern unter einem Dach als problematisch ansehe. Anderseits sei der in der Baubranche im Unternehmen des Klägers tätige Sohn voll in die Planung der Sanierungsarbeiten für die erworbene Wohnung einbezogen gewesen. Er habe auf diese Weise die Planung auch nach seinen in Änderung befindlichen Wohnbedürfnissen ausrichten können. Die Unsicherheit, ob er diese Möglichkeit auch genutzt habe, gehe aber zu Lasten der Kläger.

Hinzu komme, dass die Kläger eine realitätsferne Kaltmiete von 24 DM - 25 DM/qm hätten erzielen wollen. Anhaltspunkte dafür, dass sie die Wohnung auch für die erheblich geringere Marktmiete langfristig vergeben hätten, seien weder substantiiert vorgetragen noch sonst wie ersichtlich. Deshalb könne der Senat nicht ausschließen, dass die Kläger bereits von Anfang an bedingt daran gedacht hätten, die Wohnung ihrem Sohn zu überlassen, wenn sich die Wohnung nicht zufällig an einen Interessenten zu einer erheblich über dem Marktpreis liegenden Miete vermieten ließ. Da der Senat diese Möglichkeit nicht ausschließen könne, bleibe der Klage der Erfolg versagt.

Mit ihrer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision rügen die Kläger das Vorliegen von Verfahrensmängeln i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG habe seine Sachaufklärungspflicht verletzt, Beweisanträge übergangen und notwendige Hinweise zu entscheidungserheblichen Punkten nicht gegeben.

Die Kläger beantragen, die Revision zuzulassen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 116 Abs. 6 FGO).

1. Die Revision gegen das angefochtene Urteil war nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen.

Es kann dahinstehen, ob die rechtskundig vertretenen Kläger angesichts des Auflagenbeschlusses des FG, wonach ihnen u.a. "die ursprünglich bestehende Vermietungsabsicht zu konkretisieren" aufgegeben wurde, und ihrer nach Maßgabe des Sitzungsprotokolls (zu dessen Beweiskraft s. § 94 FGO i.V.m. § 165 der Zivilprozessordnung ―ZPO―; Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 17. Mai 1999 VII B 44/98, BFH/NV 1999, 1490; vom 7. Dezember 2000 IX B 53/00, BFH/NV 2001, 631) rügelosen Verhandlung zur Sache hinsichtlich bestimmter geltend gemachter Mängel nicht ihr Rügerecht verloren haben (vgl. BFH-Beschlüsse vom 22. März 2001 IX B 149/00, BFH/NV 2001, 1037; vom 10. Mai 2001 III B 115/00, BFH/NV 2001, 1423). Jedenfalls haben sie die Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) durch das FG hinsichtlich zweier ―auf der Basis dessen Rechtsauffassung― mitentscheidungserheblicher Punkte hinreichend dargelegt i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO; der Verstoß liegt auch vor.

Mit Hilfe der Beweislast darf die Frage einer verfahrensrechtlichen Zurechnung der Folgen unvollständiger Sachaufklärung ("non liquet") erst gelöst werden, wenn unter Ausschöpfung der zu Gebote stehenden Beweismittel der im Einzelfall erforderliche Grad an Gewissheit nicht erreicht werden kann (Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 96 Rz. 22). Gleichwohl hat das FG zu Unrecht die sich aus der bloßen Möglichkeit der Einbindung des Sohnes der Kläger in die Planung der Sanierungsarbeiten für die erworbene Wohnung ergebende "Unsicherheit, ob er diese Möglichkeit auch genutzt hat", zu Lasten der Kläger gegen eine ursprünglich bestehende Vermietungsabsicht gewertet, ohne diesen Umstand näher aufzuklären. Des Weiteren hat das FG die Marktunüblichkeit der von den Klägern verlangten Miete unterstellt, ohne hierüber in Ermittlungen einzutreten und ohne dass sich dem Urteil entnehmen lässt, worauf sich diese Einschätzung ("realitätsferne Kaltmiete") stützt.

2. Der Senat hält es im Streitfall aus Gründen der Prozessökonomie für geboten, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren. Bei Vorliegen eines entscheidungserheblichen Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) ist in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen.

Ob im Einzelfall Indizien für oder gegen eine auf Dauer angelegte Vermietungsabsicht sprechen, ist eine Frage der Tatsachen- und Beweiswürdigung, die dem FG obliegt. Dieses hat alle Indizien nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu würdigen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Zur Förderung des weiteren Verfahrens weist der Senat auf Folgendes hin: Nach seiner Entscheidung IX R 47/99 vom 9. Juli 2002 (BFH/NV 2002, 1392) liegt ein gegen die Überschusserzielungsabsicht sprechendes Beweisanzeichen (Indiz) auch dann vor, wenn der Steuerpflichtige das bebaute Grundstück innerhalb eines engen zeitlichen Zusammenhangs ―von in der Regel bis zu fünf Jahren― seit der Anschaffung oder Herstellung wieder veräußert und innerhalb dieser Zeit insgesamt nur einen Werbungskostenüberschuss erzielt hat. Das FG wird in diesem Zusammenhang zu prüfen haben, auf welchen Zeitpunkt (den des Strohmann-Erwerbs vom … Februar 1993 oder den des Erwerbs vom … Oktober 1993) es dabei abstellt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 845885

BFH/NV 2003, 51

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