Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit

 

Leitsatz (NV)

1. Eine Partei kann einen Richter nicht mehr wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen, wenn sie sich in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen.

2. Die Besorgnis der Befangenheit wird nicht allein dadurch begründet, daß ein Richter die Darstellungen einer Partei in der mündlichen Verhandlung mehrfach unterbricht, weil diese Darstellungen seiner Meinung nach nicht zur Sache gehören.

3. Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen kritische Äußerungen eines Richters zur Art der Prozeßführung zur Besorgnis der Befangenheit führen können.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO § 42 Abs. 2, § 43

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), der Inhaber eines Betriebs der Land- und Forstwirtschaft ist, erhob gegen eine Prüfungsanordnung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -) Beschwerde und gegen deren Zurückweisung Klage.

In der mündlichen Verhandlung vor dem FG lehnte er den Richter A wegen Besorgnis der Befangenheit ab, nachdem er Klageantrag gestellt hatte.

Das Befangenheitsgesuch begründete er mit der (früheren) Ablehnung eines Vertagungsantrags durch den abgelehnten Richter. Zudem sei ihm die erforderliche Darstellung zur Gesamtschau seiner steuerlichen Verhältnisse als neben der Sache liegend verwehrt worden. Er habe darauf hingewiesen, daß diese Darstellung im Hinblick auf seinen vor einem anderen Senat des FG anhängigen Prozeß erforderlich sei, um insoweit nicht des Subventionsbetrugs bezichtigt zu werden. Infolge dieser Darstellung würde erkennbar, daß die Finanzbehörden ihr Prüfungsrecht verwirkten, solange sie weder die Grundlagen ihrer Schätzung bekannt gäben noch eine darauf bezogene Stellungnahme ermöglichen würden.

Der abgelehnte Richter verneinte in seiner dienstlichen Äußerung eine Befangenheit.

Das FG lehnte den Befangenheitsantrag ab.

Dagegen hat der Kläger Beschwerde erhoben, der das FG nicht abgeholfen hat.

Das FG wies die Klage aufgrund der mündlichen Verhandlung ab, ohne die Revision zuzulassen. Dagegen hat der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde und Revision eingelegt.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde des Klägers und sein Ablehnungsgesuch sind unbegründet.

1. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dies setzt voraus, daß ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Es müssen Anhaltspunkte dafür sprechen, daß das Verhalten des Richters auf einer unsachlichen Einstellung oder auf Willkür beruht (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. September 1988 VII B 95/88, BFH/NV 1989, 379, und vom 26. September 1989 VII B 75/89, BFH/NV 1990, 514).

2. Nach diesen Grundsätzen hat das FG das Ablehnungsgesuch des Klägers zu Recht als unbegründet zurückgewiesen.

a) Wegen der Ablehnung von Vertagungsanträgen, der Nichtberücksichtigung von Erziehungsurlaub sowie der behaupteten Verweigerung der Akteneinsicht kommt eine Ablehnung des Vorsitzenden schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger sein Rügerecht insoweit verloren hat (§§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO, 43 ZPO). Danach kann eine Partei einen Richter nicht mehr wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen, wenn sie sich in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen.

Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, weil der Kläger in der mündlichen Verhandlung Klageanträge gestellt hat, ohne die vorbezeichneten Verfahrensmängel als Ablehnungsgrund geltend zu machen (vgl. BFH-Beschluß vom 12. Juli 1988 IX B 188/87, BFH/NV 1989, 237).

Abgesehen davon könnte der Kläger sein Befangenheitsgesuch schon deshalb nicht auf die behauptete Verweigerung der Akteneinsicht sowie die geltend gemachte Nichtberücksichtigung des Erziehungsurlaubs stützen, weil er diese Umstände nicht schon mit dem Befangenheitsantrag, sondern erst mit der Beschwerde vorgetragen hat.

Denn mit der Beschwerde gegen den einen Befangenheitsantrag ablehnenden Beschluß des FG können keine neuen Ablehnungsgründe vorgebracht werden, weil der Vortrag neuer Tatsachen und Beweismittel im Beschwerdeverfahren nur im Rahmen des Verfahrensgegenstandes der angefochtenen Entscheidung zulässig ist; Gegenstand der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch nach den §§ 51 FGO, 45 ZPO ist indessen ausschließlich die behauptete Befangenheit des abgelehnten Richters aus den im Gesuch genannten Gründen (BFH-Beschluß vom 24. Juli 1990 X B 115/89, BFH/NV 1991, 253, m. w. N.).

b) Soweit der Kläger die Befangenheitsrüge ausweislich des FG-Beschlusses damit begründet hat, der Vorsitzende habe seine Darstellungen mehrfach unterbrochen, weil sie seiner Ansicht nach nicht zur Sache gehörten, läßt dies einen Grund für die Annahme einer Befangenheit des Vorsitzenden nicht erkennen.

Die Besorgnis der Befangenheit bestünde - wie bereits ausgeführt - nur dann, wenn das Verhalten des Vorsitzenden ersichtlich auf einer Voreingenommenheit gegenüber dem Kläger oder auf Willkür beruhte (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1989, 379, und in BFH/NV 1990, 514). Dafür ergeben sich jedoch schon nach dem eigenen Vortrag des Klägers keine Anhaltspunkte, weil die insoweit getroffenen Maßnahmen des Vorsitzenden danach allein auf dessen Ansicht über die Sachgerechtigtkeit des Vortrags gründeten; die Prüfung und entsprechende Förderung der Sachgerechtigkeit eines Beteiligtenvortrags gehört indessen zu den Aufgaben eines Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung (§§ 92 Abs. 1, 93 Abs. 1 FGO, vgl. Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 92 Anm. 5) und kann deshalb allein aufgrund einer behaupteten Fehlerhaftigkeit getroffener Maßnahmen im Einzelfall nicht als Ausdruck willkürlicher oder durch Voreingenommenheit geprägter Verfahrensgestaltung angesehen werden. Entsprechendes gilt für den Hinweis des Vorsitzenden im Zusammenhang mit der Formulierung eines vom Kläger angekündigten Beweisantrags, der Kläger solle nur Anträge formulieren und nicht bis zu jenem Zeitpunkt unterlassene Schriftsätze fertigen.

c) Anhaltspunkte für eine berechtigte Besorgnis des Klägers i. S. der §§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO, 42 Abs. 2 ZPO ergeben sich schließlich nicht aus der von ihm beanstandeten Äußerung des Vorsitzenden, es sei eine Zumutung, nicht mit schriftlich niedergelegten Beweisanträgen zum Termin zu erscheinen, sondern diese erst während der Verhandlung zu formulieren und dadurch dem vollbesetzten Senat, der Protokollantin und dem Beklagtenvertreter am Nachmittag die Zeit zu nehmen.

Zur Besorgnis der Befangenheit könnte diese Äußerung indessen nur führen, wenn sie unter Berücksichtigung eines Verhaltensspielraums des Richters ohne jeden Sachbezug wäre und deshalb bei objektiver und vernünftiger Betrachtung davon ausgegangen werden müßte, der Richter werde die Argumente des Klägers nicht mehr unvoreingenommen würdigen (vgl. Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, 49. Aufl., § 42 Anm. 2 B ,,Ausdrucksweise"; ferner BFH-Beschluß in BFH/NV 1990, 45). Aufgrund der Tatsache, daß der vom Kläger beabsichtigte Beweisantrag ersichtlich nicht durch überraschende neue Gesichtspunkte in der mündlichen Verhandlung veranlaßt war und die gefertigten Formulierungen zwei DIN-A4-Seiten umfaßten, kann jedoch ein Sachbezug dieser Äußerung zur Pflicht des Vorsitzenden, eine sachgerechte Verfahrensgestaltung - auch durch die Beteiligten - zu gewährleisten (§§ 92 Abs. 1, 93 Abs. 1 FGO) nicht verneint werden. Infolgedessen konnte der Kläger bei objektiver und vernünftiger Betrachtungsweise aufgrund dieser Äußerung keinen Anlaß für die Besorgnis haben, die von ihm in der Sache vorgetragenen oder vorzutragenden Argumente würden durch den abgelehnten Richter nicht mehr unvoreingenommen geprüft.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417818

BFH/NV 1992, 476

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