Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde; Übergehen eines Befangenheitsantrags

 

Leitsatz (NV)

1. Wegen der Ausgestaltung des Richterablehnungsverfahrens als ein selbständiges Zwischenverfahren kann die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuches in der Regel nicht anstelle der Beschwerde mit der Revision oder der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden.

2. Ist das Ablehnungsgesuch wegen Rechtsmißbräuchlichkeit oder aus anderen Gründen offensichtlich unzulässig, kann das Gericht den Befangenheitsantrag in den Gründen der Entscheidung zur Hauptsache zurückweisen.

3. Wurde das Ablehnungsgesuch nach dem Kenntnisstand des Klägers zutreffend im Urteil zurückgewiesen, kann dieser die Zurückweisung mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügen.

 

Normenkette

FGO §§ 51, 115 Abs. 2 Nr. 3; ZPO § 43

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhoben wegen Einkommensteuer 1989 im Hinblick auf die Höhe des Grund- und des Kinderfreibetrages, später nur wegen der Höhe des Abzugs der Versicherungsbeiträge, Untätigkeitsklage gemäß § 46 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Das Finanzgericht (FG) wies die Untätigkeitsklage mit Vorbescheid vom 18. September 1992 als unzulässig ab, worauf die Kläger fristgemäß mündliche Verhandlung beantragten. Ihrem Prozeßbevollmächtigten wurde am 8. Dezember 1992 die Ladung für den Termin zur mündlichen Verhandlung am 20. Januar 1993 zugestellt. Mit der Begründung, er habe am 10. Dezember 1992 für den Sitzungstag eine Ladung des Finanzgerichts X erhalten, beantragte der Prozeßbevollmächtigte am 7. Januar 1993 die Aufhebung des Termins.

Der Vorsitzende Richter am FG lehnte mit Schreiben vom 13. Januar 1993 die Aufhebung des Termins ab, da der Prozeßbevollmächtigte die Ladung für den Sitzungstag zeitlich vor der Ladung des FG X erhalten habe.

Die Kläger haben am 19. Januar 1993 die drei Berufsrichter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

In der mündlichen Verhandlung vom 20. Januar 1993, in der für die Kläger niemand erschienen war, hat das FG jeweils durch Beschluß die Vertagung abgelehnt und den Befangenheitsantrag als rechtsmißbräuchlich zurückgewiesen.

Es hat die Klage als unzulässig abgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, der Befangenheitsantrag bleibe wegen Rechtsmißbrauch unbeachtet. Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die vorliegende Nichtzulassungsbeschwerde. Daneben haben die Kläger vorsorglich Beschwerde gegen die Nichtbeachtung der Ablehnungsanträge eingelegt.

Die durch Telebrief eingereichte Beschwerdeschrift wurde nur unvollständig übermittelt, weshalb die Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO beantragten.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde, welcher das FG nicht abgeholfen hat, beantragen die Kläger, die Revision wegen Verfahrensmängeln und grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen sowie für das Beschwerdeverfahren gemäß § 8 des Gerichtskostengesetzes (GKG) keine Kosten zu erheben.

Die Kläger rügen außerdem die Verletzung des gesetzlichen Richters (Art. 101 GG) im Beschwerdeverfahren, da sich aus dem senatsinternen Geschäftsverteilungsplan des erkennenden Senats der Berichterstatter in dieser Sache nicht ergebe. Sie beantragen, das Verfahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu diesem Streitpunkt (2 BvR 1127/92 und 2 BvR 1136-1138/92) auszusetzen.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Der Senat ist ordnungsgemäß besetzt.

(Text wie BFH-Beschluß vom 22.3. 1994 X R 66/93, nachstehend abgedruckt).

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist - auch soweit die Kläger das Übergehen des Befangenheitsantrags rügen - zulässig.

Grundsätzlich hat das FG über ein Ablehnungsgesuch durch gesonderten, mit der Beschwerde anfechtbaren Beschluß - ohne Mitwirkung der abgelehnten Richter - zu entscheiden (§ 51 FGO i.V.m. §§ 46, 47 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Da es sich bei dem Richterablehnungsverfahren um ein selbständiges Zwischenverfahren handelt, kann die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs in der Regel nicht anstelle der Beschwerde mit der Revision oder der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden (BFH-Beschluß vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217, unter C. II. 3.).

Nach der Rechtsprechung bedarf es keines besonderen Beschlusses, wenn das Ablehnungsgesuch wegen Rechtsmißbräuchlichkeit unzulässig ist (BFH-Beschluß vom 10. März 1972 VI B 141/70, BFHE 105, 316, BStBl II 1972, 570; vgl. auch BFH-Beschluß vom 27. Juli 1992 VIII B 59/91, BFH/NV 1993, 112). In diesen Fällen kann das Gericht den Befangenheitsantrag - unter Mitwirkung der abgelehnten Richter - in den Gründen der Entscheidung zur Hauptsache zurückweisen. Das gleiche gilt, wenn das Ablehnungsgesuch aus anderen Gründen offensichtlich unzulässig ist (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 51 Rz. 57). Wird über ein Ablehnungsgesuch zu Unrecht im Urteil und nicht in einem selbständigen Zwischenverfahren entschieden, liegt ein Verfahrensfehler vor, der mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend zu machen ist.

Im Streitfall hat das FG lt. Sitzungsprotokoll in der mündlichen Verhandlung den Beschluß verkündet, der Befangenheitsantrag werde - in der alten Besetzung - als rechtsmißbräuchlich zurückgewiesen. Die Gründe für die Rechtsmißbräuchlichkeit hat es jedoch in der Entscheidung zur Hauptsache dargelegt. Der III.Senat des BFH hat in einem solchen Fall den Beschluß nur als - nicht selbständig anfechtbare - Mitteilung der Rechtsauffassung des FG angesehen (Beschluß vom 8. Mai 1992 III B 123/92, BFH/NV 1993, 244; ebenso BFH-Beschluß vom 18. Januar 1993 X B 14/92, BFH/NV 1993, 667). Dagegen hat der VIII.Senat des BFH die Beschwerde gegen einen solchen Beschluß, auch wenn die Begründung im Urteil zur Hauptsache enthalten ist, für zulässig gehalten (BFH/ NV 1993, 112). Der erkennende Senat kann im Streitfall offenlassen, ob der in der mündlichen Verhandlung verkündete Beschluß selbständige Bedeutung hat. Da der Beschluß den Klägern nicht zugestellt worden ist, ihnen der Beschluß mangels Teilnahme an der mündlichen Verhandlung offensichtlich auch nicht bekannt war und daher aus ihrer Sicht der Ablehnungsantrag im Urteil zurückgewiesen worden ist, können sie die Zurückweisung des Befangenheitsantrags mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügen.

III. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.

1. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob das Ablehnungsgesuch - wie das FG annimmt - rechtsmißbräuchlich war. Das FG durfte auch deshalb in der bisherigen Besetzung über den Befangenheitsantrag entscheiden, weil dieser aus anderen Gründen unzulässig war. Die Kläger hatten ihr Ablehnungsrecht nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO, § 43 ZPO vor Einreichung des Ablehnungsgesuchs am 19. Januar 1993 verloren.

Eine Partei kann einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 43 ZPO nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Die Begriffe in eine Verhandlung eingelassen und Anträge gestellt werden weit ausgelegt (vgl. BFH-Beschluß vom 21. Juli 1993 IX B 50/93, BFH/NV 1994, 50). Anträge sind - auch schriftliche - Sachanträge und grundsätzlich auch Prozeßanträge (Gräber/Koch, a.a.O., § 51 Anm. 32) wie im Streitfall nach Ergehen des Vorbescheids die Beantragung einer mündlichen Verhandlung. Der Zweck des § 43 ZPO ist es nämlich, den Ablehnungsberechtigten zu veranlassen, sich sofort nach Kenntnis eines Befangenheitsgrundes zu entscheiden, ob er sich darauf berufen will oder nicht. Ob ein Richter am Verfahren mitwirken darf, soll nicht in der Schwebe bleiben (BFH/NV 1994, 50).

Die Kläger haben ihr Ablehnungsgesuch ausschließlich auf Befangenheitsgründe gestützt, die ihnen bzw. ihrem Prozeßbevollmächtigten, dessen Kenntnis sie sich zurechnen lassen müssen, bereits vor Ergehen des Vorbescheids oder spätestens mit Zustellung des Vorbescheids bekannt geworden waren. Nachdem die Kläger am 9. November 1992 mündliche Verhandlung beantragt haben, ohne die ihnen bekannten Befangenheitsgründe geltend zu machen, haben sie bezüglich dieser Gründe das Ablehnungsrecht verloren.

2. Soweit die Kläger gegen die Richterablehnung vorsorglich auch Beschwerde (§ 128 FGO) eingelegt haben, wertet der Senat diese Beschwerde - auch aus Kostengründen - nicht als selbständiges Rechtsmittel. Die Kläger, die von dem in der mündlichen Verhandlung verkündeten Beschluß offensichtlich keine Kenntnis hatten, wenden sich unter Bezugnahme auf die Ausführungen im finanzgerichtlichen Urteil (der Antrag bleibt unbeachtet) gegen die Nichtbeachtung der Ablehnungsanträge. Insoweit wird ein Verfahrensmangel geltend gemacht, der im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zu prüfen ist. Im übrigen hätte eine Beschwerde gegen den in der mündlichen Verhandlung verkündeten Beschluß ebenfalls keinen Erfolg, weil das Ablehnungsgesuch - wie oben dargelegt - unzulässig war.

3. Andere Gründe, die eine Zulassung der Revision rechtfertigten, liegen ebenfalls nicht vor. Der Senat sieht insoweit nach Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs von einer Begründung ab.

IV. Das FG hat das Ablehnungsgesuch im Ergebnis zutreffend verworfen. Auch im übrigen ist keine Sachbehandlung durch das FG erkennbar, die nach § 8 GKG die Nichterhebung der Gerichtskosten als geboten erscheinen ließe.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419863

BFH/NV 1994, 498

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