Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterschiedlicher Steuersatz bei Kraftdroschken- und Mietwagenbeförderung

 

Leitsatz (NV)

Gegen die Beschränkung des ermäßigten Steuersatzes durch § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG 1980 auf die Beförderung von Personen im Kraftdroschkenverkehr (bei vollem Steuersatz für Beförderung im Mietwagenverkehr) bestehen keine ernstlichen verfassungsrechtlichen Bedenken (§ 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO).

 

Normenkette

UStG 1980 § 12 Abs. 2 Nr. 10; FGO § 69

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg

 

Tatbestand

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Beschwerdegegnerin) berechnete für die von ihr seit 1. November 1983 betriebene Beförderung von Personen im Mietwagenverkehr in den Umsatzsteuererklärungen 1983 und 1984 sowie in den Umsatzsteuervoranmeldungen für Januar bis April 1985 die Umsatzsteuer mit dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980). Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) setzte demgegenüber die Umsatzsteuer unter Heranziehung des allgemeinen Steuersatzes nach § 12 Abs. 1 UStG 1980 fest. Das FA verwies darauf, daß § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG 1980 nur die Umsätze im Kraftdroschkenverkehr begünstige.

Nach erfolglosem Einspruch erhob die Beschwerdegegnerin Klage, über die noch nicht entschieden ist.

Nach Klageerhebung erließ das FA Umsatzsteuerbescheide für 1983 vom 6. Februar 1986 und für 1984 vom 11. Juni 1987 sowie Umsatzsteueränderungsbescheide für 1984 vom 13. August 1987 und für 1983 vom 18. August 1987.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, den Umsatzsteuerbescheid 1983 vom 6. Februar 1986 und die Umsatzsteuerbescheide 1984 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen (§ 68 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die Beschwerdegegnerin beantragte ferner unter Bezugnahme auf ihr Vorbringen im Klageverfahren - insbesondere auf den Vorlagebeschluß des Finanzgerichts (FG) Baden-Württemberg - Außensenate Stuttgart - vom 5. Dezember 1986 IX K 74/86 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1987, 432; Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1988, 257) zum Normenkontrollverfahren an das Bundesverfassungsgericht - BVerfG - (Az. dort I BvL 29/87) - die Vollziehung der angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzungen auszusetzen. Das FA hatte einen entsprechenden Antrag zuvor abgelehnt.

Das FG gab dem Antrag zum Teil statt.

Hinsichtlich der Umsatzsteuer 1983 lehnte das FG den Antrag als unzulässig ab. Es stützte sich darauf, daß die Beschwerdegegnerin nur den Umsatzsteuerbescheid 1983 vom 6. Februar 1986, nicht aber den weiteren Umsatzsteuer-Änderungsbescheid 1983 vom 18. August 1987 gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens gemacht habe und daß im geänderten Umsatzsteuerbescheid 1983 vom 6. Februar 1986 eine betragsmäßig geringere negative Umsatzsteuerschuld festgesetzt worden sei, als die Beschwerdegegnerin in ihrer Jahressteuererklärung berechnet habe. Das daraus folgende Auszahlungsbegehren der Beschwerdegegnerin könne nicht im Aussetzungsverfahren erreicht werden (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Dezember 1981 V R 81/81, BFHE 134, 402, BStBl II 1982, 149).

Im übrigen entsprach das FG dem Aussetzungsantrag wie folgt: . . .

Das FG stützte die Aussetzung auf ernste verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Gültigkeit des UStG. Es berief sich dazu auf die das Vorbringen der Beschwerdegegnerin im wesentlichen bestätigenden Erwägungen des FG Baden-Württemberg im Beschluß vom 5. Dezember 1986.

Mit der - vom FG zugelassenen - Beschwerde beantragt das FA sinngemäß, den Beschluß des FG aufzuheben und hinsichtlich des Umsatzsteuerbescheides für 1984 und der Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide Januar bis April 1985 den Aussetzungsantrag abzulehnen. Das FA beruft sich insbesondere auf das BFH-Urteil vom 30. Oktober 1969 V R 99/69 (BFHE 97, 267, BStBl II 1970, 78) und auf den Beschluß des BVerfG vom 6. März 1963 2 BvR 58/63 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1963, 160) und dessen Urteil vom 21. Februar 1961 1 BvR 314/60 (BStBl I 1961, 63).

Die Beschwerdegegnerin beantragt sinngemäß, die Beschwerde des FA zurückzuweisen. Sie beruft sich für ihre Auffassung auf den Beschluß des FG Baden-Württemberg in EFG 1987, 432 und auf die im Anschluß daran ergangenen Beschlüsse der FG Münster vom 9. Juli 1987 V 2135/87 V (Az. des BFH V B 113/87) und München vom 17. September 1987 XIV 150/87 Aus U. Sie betont nochmals, daß die Umsätze im Mietwagen- und Kraftdroschkenverkehr absolut identisch seien, weil die telefonisch vermittelten Aufträge gleichermaßen durchgeführt würden. Es sei nicht ersichtlich, warum umsatzsteuerlich ein und dieselbe Leistung unterschiedlich behandelt werden solle.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde des FA ist begründet. Der Beschluß des FG war (insoweit) aufzuheben, der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Beschwerdegegnerin war abzulehnen.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzungen (§ 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO) - dazu gehören auch ernstliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Gültigkeit eines Gesetzes selbst, auf dem die Steuerfestsetzung beruht (vgl. BFH-Beschluß vom 11. Juni 1986 II B 49/83, BFHE 146, 474, BStBl II 1986, 782, unter 3.) - sind entgegen der Auffassung des FG zu verneinen.

Das FA hat die Anwendung des Regelsteuersatzes auf die Mietwagenumsätze der Beschwerdegegnerin zutreffend auf das Urteil in BFHE 97, 267, BStBl II 1970, 78, gestützt. Nach diesem Urteil verstößt es nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), daß § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG 1967 die Personenbeförderungsumsätze im Kraftdroschkenverkehr mit dem ermäßigten Steuersatz erfaßt, umsatzsteuerrechtlich also anders als die Personenbeförderungsumsätze im Mietwagenverkehr behandelt. Der BFH berief sich darauf, daß das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) - in der damals geltenden Fassung vom 21. März 1961 (BGBl I 1961, 241) - eine Abgrenzung von Mietwagen und Kraftdroschken zum Schutz der Leistungen der Kraftdroschken im öffentlichen Verkehrsinteresse enthalte; im Hinblick auf die unterschiedliche beförderungsrechtliche Behandlung und die sich hieraus ergebende unterschiedliche Struktur der beiden Verkehrsarten liege auch in der unterschiedlichen umsatzsteuerrechtlichen Behandlung keine willkürliche Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem.

Das BVerfG beurteilte im Beschluß vom 8. Juni 1960 1 BvL 53/55, 16, 31, 53/56, 7, 18, 24/57 (BVerfGE 11, 168 - 186 ff. -, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1960, 1515) - zu Vorschriften des PBefG 1937 in der damals geltenden Fassung - die Abgrenzung von Mietwagen- und Kraftdroschkenverkehr als im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG erforderlich mit der Begründung, Kraftdroschken seien öffentliche Verkehrsmittel, Mietwagen hingegen nicht; an der Existenz und dem Funktionieren dieser Form des Gelegenheitsverkehrs bestehe kein überragendes Interesse der Allgemeinheit.

Im Beschluß vom 8. November 1983 1 BvL 8/81 (BVerfGE 65, 237, - 247 -, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - NVwZ - 1984, 365 - zu § 49 Abs. 4 PBefG i.d.F. durch das Fünfte Änderungsgesetz vom 25. Februar 1983, BGBl I, 196 -) führte das BVerfG aus: Im Hinblick auf BVerfGE 11, 168 und auf die zwischenzeitliche Annäherung der Betätigungsfelder von Mietwagen und Taxen habe der Gesetzgeber es im Fünften Änderungsgesetz zum PBefG für erforderlich gehalten, für eine bessere Abgrenzung zwischen Taxi- und Mietwagenverkehr zu sorgen. Angesichts der unterschiedlichen Interessen der Allgemeinheit an den beiden Verkehrsarten erscheine es gerechtfertigt, den mit besonderen Pflichten beschwerten Betrieb des Taxenverkehrs vor der Konkurrenz des weniger belasteten Mietwagenverkehrs in einem gewissen Umfang zu schützen (im Vorlagefall: Verbot einer verwechslungsfähigen Werbung; eine solche verstoße nicht gegen Art. 12 GG).

Wenngleich die vorbezeichneten Entscheidungen keine Ausführungen zu Art. 3 Abs. 1 GG enthalten, zeigen sie doch deutlich, daß nach Auffassung des BVerfG der Mietwagen- und der Kraftdroschkenverkehr verfassungsrechtlich unbedenklich unterschiedlich behandelt werden können. Eine Einordnung der Kraftdroschken als öffentliche Verkehrsmittel legt es nahe, sie als ,,wesentlich Ungleiches" gegenüber dem Mietwagen anzusehen. Wenn das UStG demgemäß unterschiedliche Steuersätze vorsieht, die zur Begünstigung der Kraftdroschkenunternehmen führen, so bestehen nach Auffassung des Senats, in Übereinstimmung mit den Grundsätzen in BFHE 97, 267, BStBl II 1970, 78, an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung bzw. an der Rechtmäßigkeit der entsprechenden Umsatzsteuerfestsetzungen für Mietwagen-Beförderungsumsätze jedenfalls keine ernstlichen Zweifel i. S. des § 69 Abs. 2 FGO.

Der von der Beschwerdegegnerin angesprochene ,,Vorschlag für eine Richtlinie des Rates (der Europäischen Gemeinschaften) zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG - Annäherung der Mehrwertsteuersätze - KOM (87) 321 endg./2"; Ratsdok 8200/87 (hier: BRDrucks 378/87), ist für den Streitfall ohne Bedeutung. Der Harmonisierungsvorschlag zur Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf bestimmte Umsätze - u. a. auf die Beförderung von Personen - hat das Ziel, in den Mitgliedstaaten die entsprechenden Maßnahmen bis 31. Dezember 1992 zu erreichen. Die Streitjahre können in keinem Fall davon betroffen sein.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416013

BFH/NV 1989, 271

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