Leitsatz (amtlich)

Die Frage, ob beim Erwerb von Grundstücken für den sozialen Wohnungsbau der notwendige Zwischenerwerb notwendigen Straßengeländes nicht nur für gemeinnützige Bauträger, sondern auch für private Bauherren mitbegünstigt ist, ist für den Bereich des hessischen GrEStG 1963 von grundsätzlicher Bedeutung.

 

Normenkette

Hessisches GrEStG i.d.F. des ÄndG 1963 (GVBl S. 192) § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a; Hessisches GrEStG i.d.F. des ÄndG 1963 (GVBl S. 192) § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a; Hessisches GrEStG i.d.F. des ÄndG 1963 (GVBl S. 192) § 4 Abs. 9; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3

 

Tatbestand

Das Finanzamt (FA) hat den Erwerb eines Grundstücks durch den Kläger für Zwecke des sozialen Wohnungsbaus (vorläufig) nur zu einem Teil gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a in Verbindung mit Abs. 9 Nr. 2 des hessischen Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Grunderwerbsteuerrechts vom 16. Dezember 1963 – ÄndG 1963 – (GVBl S. 192) von der Grunderwerbsteuer freigestellt, die das Fünffache der überbauten Fläche übersteigende Grundstücksfläche dagegen zu einer Grunderwerbsteuer von 481,40 DM herangezogen.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen, unter anderem mit der Begründung, die Grundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) II 212/54 U vom 14. September 1955 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 61 S. 333 – BFH 61, 333 –, BStBl III 1955, 326), wonach auch die für Straßenbauzwecke zwischenerworbene, an die Gemeinde weiter zu übertragende Grundstücksfläche mitbegünstigt sei, könnten nach dem BFH-Urteil II 35/59 vom 28. Februar 1962 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1963 S. 114) auf Erwerber, die nicht gemeinnützige Wohnungsunternehmen seien, nicht angewendet werden.

Das Urteil des FG enthält keine Entscheidung über die Zulassung der Revision. Da der Wert des Streitgegenstandes 1 000 DM nicht übersteigt, hat der Kläger (Beschwerdeführer) mit seiner Beschwerde beantragt, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache erblickt er darin (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO), daß die Frage einer entsprechenden Anwendung der oben angegebenen Rechtsprechung des BFH auch auf private Bauherren für die Allgemeinheit von grundsätzlicher Bedeutung sei. Diese Frage stelle sich für Bauwillige beim Ankauf von Bauland im Rahmen der Umlegung oder Siedlung immer wieder, sei aber – entgegen der Meinung des FA – für Bauwillige, die sich genau so wie gemeinnützige Wohnungsunternehmen verhielten, durch die oben angegebenen BFH-Urteile noch nicht mitentschieden.

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet.

Das oben angegebene Urteil des BFH II 212/54 U ist zu § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GrEStG 1940 ergangen. Diese Befreiungsvorschrift begünstigt einerseits nur gemeinnützige Bauträger, enthält aber zunächst keine flächenmäßige Begrenzung des begünstigt zu erwerbenden Grund und Bodens; eine solche ergibt sich allenfalls mittelbar aus der Ausnutzung des erworbenen Grundstücks nach Zahl und Art der nach den Vorschriften über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen zu errichtenden Kleinwohnungen (vgl. § 11, besonders dessen Abs. 6 der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen in der Fassung vom 25. April 1957 – Bundesgesetzblatt I S. 406, BStBl I, 295 –). § 4 GrEStG ist für das Land Hessen durch Art. 1 Nrn. 4 bis 24 ÄndG 1963 zum Teil neugefaßt und erweitert worden. Es kann darauf verwiesen werden, daß auch § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des nunmehr für das Land Hessen maßgebenden GrEStG sachlich dadurch einen anderen Inhalt bekommen habe, daß der durch Art. 1 Nr. 22 ÄndG 1963 eingefügte, aus § 3 des aufgehobenen II. Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau vom 15. Juli 1958 – II. GrESWG 1958 – (GVBl S. 74) übernommene Abs. 9 sich nicht etwa nur – wie § 3 des II. GrESWG – auf die den bisherigen Befreiungsvorschriften dieses II. GrESWG entsprechenden Vorschriften des neugefaßten § 4 GrEStG (vgl. § 4 Nr. 8) beziehe, sondern auch auf andere sachentsprechend in Betracht kommende Nummern. Für diese Auslegung kann angeführt werden, daß § 4 Abs. 9 anders als andere Absätze, z. B. die Absätze 2 bis 8, keine Bezugnahme auf bestimmte vorangehende Absätze enthält; außerdem, daß z. B. der Begriff der „Kleinsiedlung” sich auch findet in § 4 Abs. 1 Nr. 2 des hessischen GrEStG; ferner daß von Wortlaut und -sinn her kein Grund ersichtlich ist, weshalb § 4 Abs. 9 nicht auch für § 4 Abs. 1 Nr. 1 des hessischen GrEStG gelten müsse. Aus der Begründung zum ÄndG 1963 (Hessischer Landtag V. Wahlperiode, Drucksache Abteilung I Nr. 309, insbesondere zu Art. 1 Ziff. 21) ist nichts, vor allem nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Folgt man dieser Auffassung, so könnte daraus weiter geschlossen werden, daß die Grundsätze des oben angegebenen Urteils II 212/54 U jedenfalls nicht mehr unbesehen auf § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a in Verbindung mit Abs. 9 des hessischen GrEStG angewendet werden könnten, zumal § 4 Abs. 9 des hessischen GrEStG die außer der zu bebauenden Fläche begünstige Neben-Mehrfläche von vornherein nach Größe (qm) und Zweckbestimmung (Hofräume und Gärten) genau festlegt. Soll aber gleichwohl im Interesse des gemeinnützigen und sozialen Wohnungsbaus auch für das Land Hessen die Rechtsprechung aufrecht erhalten bleiben, daß der durch die Umstände notwendige Zwischenerwerb notwendigen Straßengeländes durch § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a auch des hessischen GrEStG mitbegünstigt sei, so könnte geltend gemacht werden, daß bei der nunmehr durch § 4 Abs. 9 geschaffenen sachgleichen Lage hinsichtlich der noch begünstigten Mehrfläche ein sachgerechter Grund kaum mehr zu finden sei, weshalb nur § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des hessischen GrEStG zugunsten gemeinnütziger Bauträger auf den Zwischenerwerb von Straßengelände im obigen Sinne ausgedehnt werde, nicht aber auch § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a des hessischen GrEStG zugunsten auch privater (nichtgemeinnütziger) Bauwilliger.

Unter welchem Blickwinkel auch immer die vorstehend aufgeworfenen Rechtsfragen betrachtet werden, so ist ihnen die grundsätzliche Bedeutung nicht abzuerkennen. Vielmehr besteht an der Entscheidung der streitigen Rechtssache unter dem Gesichtspunkt der einheitlichen Rechtsanwendung oder der Rechtsfortbildung ein allgemeines (abstraktes) Interesse. Die Erfolgsaussichten der Revision als solche waren für die Frage der Zulassung der Revision nicht maßgebend, also auch nicht zu prüfen (vgl. Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl., § 132 Tz. 25; Schunck-De Clerck, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl., § 132 Anm. 3 zu b aa mit weiteren Nachweisen).

Demgemäß war die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) mit der Folge, daß – wie bereits in der Rechtsmittelbelehrung des FG-Urteils dargetan – mit der Zustellung des Beschwerdebescheids die Revisionsfrist zu laufen beginnt (§ 115 Abs. 5 Satz 4 FGO; vgl. auch §§ 118 bis 122 FGO, ferner das BFH-Urteil VI R 140/67 vom 12. Januar 1968, BFH 90, 395, BStBl II 1968, 121).

 

Fundstellen

Haufe-Index 514548

BFHE 1968, 110

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