Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Begründung einer NZB

 

Leitsatz (NV)

1. Die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die Erhöhung des Stammkapitals einer GmbH als eine zum Ausschluß der Betriebsübernehmerhaftung führende Investition auf das erworbene Unternehmen angesehen werden kann, betrifft einen besonderen Einzelsachverhalt und ist daher keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung.

2. Die auszugsweise Wiedergabe von Entscheidungsgründen mehrerer BFH-Urteile ohne Herausstellung eines abstrakten Rechtssatzes ist nicht geeignet, eine Divergenz schlüssig darzulegen.

3. Mit einem Vorbringen, das sinngemäß dahin geht, das FG habe die Ausübung des Ermessens durch das FA rechtsfehlerhaft gewürdigt, wird eine Verfahrensrüge nicht schlüssig erhoben.

 

Normenkette

AO § 75; FGO § 115 Abs. 2-3

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erwarb am 1. September die X-KG (KG), einschließlich des Geschäftsgrundstücks des Komplementärs. Der Kaufpreis setzte sich aus den Teilbeträgen ... DM, ... DM, der Änderung des Eigenkapitals, wie es sich aus der aufzustellenden Schlußbilanz für die Zeit vom 1. Januar bis 31. August ergab, und der Umsatzsteuer zusammen. Anfang September wurde das Stammkapital der Klägerin um den Betrag von ... DM erhöht. Später wurde dieser Betrag zur Deckung von Verlusten verwendet, die im Jahr des Erwerbs und im folgenden Jahr entstanden waren. Darüber hinaus tätigte die Klägerin Investitionen für die Betriebs- und Geschäftsausstattung in Höhe von ... DM.

Auf die Umsatzsteuer-Voranmeldungen für August der KG, in denen auch die Umsatzsteuer aus der Unternehmensveräußerung an die Klägerin enthalten war, wurden keine Zahlungen geleistet. Da die Vollstreckung in das Vermögen der KG ohne Erfolg blieb, nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) die Klägerin mit Haftungsbescheid nach § 75 der Abgabenordnung (AO 1977) als Haftungsschuldner in Anspruch.

Mit der nach erfolglosem Einspruch gegen den Haftungsbescheid erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, sie habe kein lebendes, sondern ein wegen bereits eingetretener Konkursreife nicht überlebensfähiges Unternehmen erworben. Die Fortführung des Unternehmens sei nur durch die Erhöhung des Stammkapitals und die Übernahme von Bürgschaften in gleicher Höhe möglich gewesen; zudem sei das übernommene Vermögen mit Grundpfandrechten, Eigentumsvorbehalten und Sicherungsübereignungen belastet gewesen. Aus diesem Grund würde der Haftungsbescheid zu einer nach § 75 AO 1977 unzulässigen, weil über den Wert des Unternehmens hinausgehenden, Inanspruchnahme führen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und führte aus: Die Klägerin habe entgegen ihrer Ansicht ein "lebendes Unternehmen" erworben. Um ein solches handele es sich nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), wenn der Erwerber das Unternehmen ohne nennenswerte finanzielle Investitionen fortführen könne, wobei es darauf ankomme, ob anschließende Investitionen im Verhältnis zum Wert des Unternehmens von erheblicher Bedeutung seien. Die Erhöhung des Stammkapitals sei indes nicht als eine solche Investition anzusehen, da der Wert des übernommenen Unternehmens durch dessen Vermögensgegenstände im Zeitpunkt des Erwerbs repräsentiert werde. Zugrunde zu legen sei mithin das Aktivvermögen und nicht das Reinvermögen des Unternehmens. Die Klägerin selbst habe den Wert der übernommenen Gegenstände in der Eröffnungsbilanz mit über ... DM eingestellt, wobei der Grundstückswert von ... DM außer Ansatz geblieben sei. Die Überlebensfähigkeit des Unternehmens werde auch durch den nach Erwerb erwirtschafteten Gewinn belegt. In Anbetracht des Aktivvermögens habe die Klägerin nur gering fügige Investitionen in Höhe von ... DM vornehmen müssen, um den Betrieb fortführen zu können. Soweit die Klägerin Vermögensgegenstände zwischenzeitlich veräußert habe, seien an deren Stelle die dafür erhaltenen Surrogate getreten. Auch habe das FA das ihm zustehende Auswahlermessen sachgerecht ausgeübt. Denn die Vollstreckung in das Vermögen des Komplementärs sei erfolglos geblieben, und das FA habe nicht der unsubstantiierten Vermutung der Klägerin nachzugehen brauchen, bei diesem seien möglicherweise noch nicht bekannte Vermögenswerte vorhanden.

Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und wegen Divergenz gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO.

Zur Begründung macht die Klägerin geltend, die Vorinstanz habe zu Unrecht die Übernahme eines lebenden Unternehmens unterstellt. Die als Investition zu qualifizierende Erhöhung des Stammkapitals habe zur Deckung der Verluste gedient, so daß ein sterbendes Unternehmen, das aus eigener Kraft keine Gewinne mehr erzielen konnte, am Leben erhalten worden sei. Dies belege auch die Übergabebilanz, die im Zeitpunkt der Übernahme einen Fehlbetrag in Höhe von ... DM ausgewiesen habe.

Auch habe das FG rechtsfehlerhaft die erworbenen Surrogate an die Stelle der zwischenzeitlich veräußerten Vermögensgegenstände treten lassen. Des weiteren habe die Vorinstanz im Rahmen der Überprüfung der vom FA getroffenen Ermessensentscheidung den Vortrag unberücksichtigt gelassen, es sei in die Abwägung einzustellen, ob das Unternehmen überhaupt noch eine Sicherung für die Steuerschulden des Veräußerers hätte darstellen können. Auch sei das FG zu Unrecht von einer unsubstantiierten Vermutung der Klägerin ausgegangen, der Komplementär besitze möglicherweise noch nicht bekannte Vermögenswerte, in die die Vollstreckung erfolgreich hätte betrieben werden können.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig, denn sie entspricht nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO, die an eine ordnungsgemäße Darlegung der geltend gemachten Zulassungsgründe -- hier der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz -- gestellt werden.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist einer Rechtsfrage dann grundsätzliche Bedeutung beizumessen, wenn die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebliche Rechtsfrage das allgemeine Interesse an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Dabei muß es sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. Juni 1985 I B 27/85, BFHE 144, 137, BStBl II 1985, 625; vom 10. August 1994 II B 54/94, BFH/NV 1995, 140, und vom 14. Juni 1995 II B 5/95, BFH/NV 1996, 141). Diese grundsätzliche Bedeutung muß gemäß § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO in der Beschwerdeschrift dargelegt werden. Nicht ausreichend ist die bloße Behauptung, die Streitsache habe grundsätzliche Bedeutung. Erforderlich ist vielmehr die schlüssige und substantiierte Darlegung der bezeichneten Voraussetzungen, in deren Rahmen auf die Rechtsfrage, ihre Klärungsbedürftigkeit und ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung einzugehen ist (vgl. BFH-Beschluß vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479).

Diesen Anforderungen an die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit genügt die vorliegende Beschwerde nicht.

Die Klägerin stellt der Beschwerdebegründung die Behauptung voran, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, ohne nachfolgend eine konkrete Rechtsfrage herauszuarbeiten, deren Entscheidung eine Bedeutung für die Allgemeinheit beizumessen ist. Außerdem legt die Klägerin nicht ein über den Einzelfall hinausgehendes Interesse an der Entscheidung des vorliegenden Falles dar.

Nach der Rechtsprechung des BFH kann allerdings auf eine Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage verzichtet werden, wenn diese Bedeutung offenkundig ist. Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn eine Rechtsfrage seit längerer Zeit in der Literatur kontrovers diskutiert wird, vom BFH noch nicht geklärt und für eine Vielzahl von Steuerpflichtigen von Bedeutung ist (vgl. Beschluß des BFH vom 9. Mai 1988 IV B 35/87, BFHE 153, 378, BStBl II 1988, 725; Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 115 Anm. 61, m. w. N.).

Die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Darlegungspflicht sind im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben. Im Ergebnis rügt die Klägerin die ihrer Ansicht nach rechtsfehlerhafte Annahme des FG, sie habe ein lebendes Unternehmen übernommen, und die Nichtberücksichtigung der Stammkapitalerhöhung als eine die Lebensunfähigkeit indizierende Investition. Auch wenn dieses Vorbringen dahingehend ausgelegt wird, das FG habe den im Urteil des Senats vom 13. Januar 1987 VII R 47/85 (BFH/NV 1988, 1) verwendeten Begriff der Investitionen verkannt, und darin die Darlegung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage gesehen wird, vermag der Senat eine die Darlegungspflicht verdrängende Offenkundigkeit der grundsätzlichen Bedeutung dieser Rechtsfrage nicht zu erkennen.

Soweit ersichtlich, hat sich bisher weder die Literatur noch die Rechtsprechung des BFH mit der Frage befaßt, ob und unter welchen Bedingungen die Erhöhung des Stammkapitals als eine Aufwendung (Investition) auf das erworbene Unternehmen anzusehen ist, die zu einem Ausschluß der Erwerberhaftung nach § 75 AO 1977 führen kann. Es ist auch sonst nicht erkennbar, daß die Klärung dieser Frage für eine Vielzahl von Steuerpflichtigen von Bedeutung ist. Dies trifft auch für die nach Ansicht der Klägerin durch die Vorinstanz rechtsfehlerhaft entschiedene Surrogationsproblematik zu, hinsichtlich derer die herrschende Meinung in der Literatur und die Rechtsprechung davon ausgehen, daß an die Stelle der zwischen dem Erwerb des Unternehmens und der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme veräußerten Vermögensgegenstände die dafür erlangten Surrogate treten (Urteil des FG München vom 21. Mai 1985 XI (XIII) 76/80 AO 2, Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1985, 587; Hübschmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 75 AO 1977 Rz. 41; Koch/Halaczinsky, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 75 Tz. 14; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 75 AO 1977 Tz. 16).

2. Die von der Klägerin erhobene Divergenzrüge (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) ist ebenfalls unzulässig, weil es an der erforderlichen Gegenüberstellung voneinander abweichender Rechtssätze fehlt.

Wird als Zulassungsgrund Divergenz geltend gemacht, so sind in der Beschwerdeschrift die nach Ansicht des Beschwerdeführers divergierenden Rechtssätze der Vorentscheidung und der BFH-Rechtsprechung in einer Weise herauszuarbeiten und gegenüberzustellen, die deutlich werden läßt, daß das vorinstanzliche Gericht seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit der näher bezeichneten Rechtsprechung des BFH nicht übereinstimmt (vgl. Ruban in Gräber, a.a.O., § 115 Tz. 63; Beschluß des BFH vom 11. August 1993 II B 37/93, BFH/NV 1994, 251). Diesen Erfordernissen genügt die vorliegende Beschwerde nicht.

Die Klägerin führt zwar mehrere BFH-Urteile zur Erwerberhaftung nach § 75 AO 1977 an und gibt auszugsweise deren tragende Entscheidungsgründe wieder, stellt jedoch nicht einen abstrakten Rechtssatz des vorinstanzlichen Urteils heraus, der von einem Rechtssatz der zitierten BFH-Rechtsprechung abweicht. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann ein divergierender Rechtssatz nicht in den Ausführungen des FG gesehen werden, die von der Klägerin vorgenommene Erhöhung des Stammkapitals sei nicht als Investition in die Verhältnisrechnung einzubeziehen. Zutreffend hat das FG seiner Entscheidung die Rechtsprechung des Senats zugrunde gelegt, nach der es an der Lebensfähigkeit des erworbenen Unternehmens fehlt, wenn für den Betrieb selbst im Verhältnis zu seinem Wert erhebliche Investitionen erforderlich sind (vgl. Urteil des Senats in BFH/NV 1988, 1). Einen von dieser Rechtsprechung abweichenden Rechtssatz hat das FG bereits deshalb nicht aufstellen können, weil sich der BFH zu der Frage, ob eine Erhöhung des Stammkapitals als eine derartige Investition anzusehen ist, noch nicht geäußert hat. Die Divergenzrüge der Klägerin ist damit nicht in der gebotenen Form vorgebracht worden.

3. Mit ihrem Vorbringen, das FG habe die Ausführungen in der Klageschrift nicht beachtet, daß bei der Ermessensentscheidung (über die Inanspruchnahme des Erwerbers nach § 75 AO 1977) zu berücksichtigen sei, ob das Unternehmen überhaupt noch eine Sicherung für die Steuerschulden des Veräußerers darstelle, rügt die Klägerin sinn gemäß die rechtsfehlerhafte Überprüfung des durch das FA betätigten Auswahlermessens.

Dieser Vortrag stellt keine schlüssige Darlegung eines Zulassungsgrundes i. S. von § 115 Abs. 2 FGO dar. Da die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung oder der Divergenz offensichtlich nicht in Betracht kommen, könnte das Vorbringen der Klägerin allenfalls dann zur Zulassung der Revision führen, wenn daraus eine schlüssig dargelegte Verfahrensrüge nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO entnommen werden könnte. Den an die Rüge eines Verfahrensmangels zu stellenden Anforderungen genügt die Beschwerdeschrift insoweit jedoch schon deshalb nicht, weil die Klägerin nicht etwa das Übergehen eines Beweisantrages oder die mangelnde Beachtung schriftlich vorgetragener und entscheidungserheblicher Tatsachen rügt, sondern die nach ihrer Auffassung fehlerhafte rechtliche Würdigung der Vorinstanz, das FA habe das ihm zustehende Ermessen zutreffend ausgeübt. Dieser Vortrag ist zur Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes nicht geeignet.

Gleiches trifft für die Rüge der Klägerin zu, das FG sei zu Unrecht von einer "unsubstantiierten" Vermutung der Klägerin ausgegangen, bei dem Komplementär der erworbenen KG seien möglicherweise noch nicht bekannte Vermögenswerte vorhanden. Auch in diesem Punkt wendet die Klägerin sich gegen die rechtlichen Schlußfolgerungen der Vorinstanz, ohne einen Verfahrensfehler durch das FG darzulegen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421316

BFH/NV 1996, 661

BFH/NV 1996, 664

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge