Entscheidungsstichwort (Thema)

PKH für Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

 

Leitsatz (NV)

1. Über einen Antrag auf Prozeßkostenhilfe (PKH) für das Verfahren wegen Zulassung der Revision entscheidet auch dann der BFH, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde deshalb noch nicht zu ihm gelangt ist, weil das FG noch keine Abhilfeentscheidung nach § 130 Abs. 1 FGO getroffen hat.

2. Ein mittelloser Beteiligter, der entgegen Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG selbst Nichtzulassungsbeschwerde einlegt, kann insoweit nur dann als vorläufig entschuldigt angesehen werden, wenn er in zumindest laienhafter Weise seiner Darlegungspflicht gem. § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO nachkommt.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 3 S. 3, § 130 Abs. 1, § 142; ZPO § 114 ff.; BFHEntlG Art. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Klage, mit der die Antragstellerin (sinngemäß) Herabsetzung ihrer Einkommensteuerschuld für 1985 erstrebte, ist vom Finanzgericht (FG) abgewiesen worden.

Nach Beweisaufnahme durch Vernehmung des Ehemanns der Antragstellerin und des Finanzbeamten S des Antragsgegners (des Finanzamts - FA -) war das FG zu dem Ergebnis gekommen, das FA habe den Einspruch der Antragstellerin (vom 24. März 1987, am gleichen Tage beim FA eingegangen) gegen den Einkommensteuerbescheid 1985 vom 18. Februar 1987 (Datum der Aufgabe zur Post) zu Recht als unzulässig verworfen: Er sei verspätet eingelegt worden (Tag der Bekanntgabe, § 122 Abs. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -: 21. Februar 1987; Fristablauf 23. März 1987 - Montag -); die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO 1977) seien nicht erfüllt.

Das FG hat die Revision gegen sein klageabweisendes Urteil vom 24. September 1987 nicht zugelassen. Zu der hiergegen von der Antragstellerin selbst eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde hat das FG im Hinblick auf den gleichzeitig gestellten, vom FG hierher weitergeleiteten Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe (PKH) noch nicht entschieden.

Zur Begründung dieses letztgenannten Begehrens - ebenso wie zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde - rügt die Antragstellerin sinngemäß Verletzung der Aufklärungspflicht und des materiellen Rechts. Die Verletzung der Sachaufklärungspflicht sieht die Antragstellerin darin, daß sich das FG auf die Aussage des Zeugen S stütze, die sie als ,,Falschaussage" bezeichnet. Von den sonstigen Einwänden bezieht sich auf das Verfahren vor dem FG nur die Behauptung, die Vernehmung des Zeugen S sei ,,nicht ablaufgemäß protokolliert", und die weitere Behauptung, ihr, der Antragstellerin, sei vom Vorsitzenden die Befugnis abgesprochen worden, einen Antrag auf Vereidigung dieses Zeugen zu stellen. Das weitere Vorbringen ist gegen die Tatsachen- und Beweiswürdigung sowie gegen Rechtsausführungen des FG-Urteils gerichtet.

Schließlich hat die Antragstellerin eine (vom 26. Oktober 1987 datierte) formularmäßige Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt.

Die Antragstellerin beantragt, ihr PKH zu gewähren und einen Rechtsanwalt beizuordnen.

Das FA tritt diesem Antrag entgegen.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag ist unbegründet.

Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Der Antrag auf Bewilligung der PKH ist bei dem Prozeßgericht zu stellen (§ 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO). - Zuständig für die Entscheidung ist grundsätzlich das Gericht des ersten Rechtszuges; ist das Verfahren in einem höheren Rechtszug anhängig, so ist das Gericht dieses Rechtszuges zuständig (§ 127 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Antragstellerin als bedürftig im Sinne dieser Regelung anzusehen ist. Ihr Antrag ist allein deshalb unbegründet, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

1. Der Senatsentscheidung in der PKH-Sache steht nicht entgegen, daß das FG noch keine Entscheidung in der Beschwerdesache gemäß § 130 Abs. 1 FGO getroffen hat.

Zwar scheint sich nach dem Wortlaut des § 127 Abs. 1 Satz 2 ZPO in einem solchen Fall die Zuständigkeit des FG zu ergeben. Doch sprechen der Gesetzeszusammenhang, die Entstehungsgeschichte und vor allem der Zweck der Regelung dafür, daß die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 142 FGO i.V.m. 114 ff. ZPO von dem Gericht geprüft werden, das letztlich über den Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zu entscheiden hat, also beim Gericht der Hauptsache. Das aber ist hier - ungeachtet der Abhilfekompetenz des FG - gemäß § 132 FGO der Bundesfinanzhof (BFH).

Mit Recht hat der VII. Senat des BFH in seinem Beschluß vom 10. Juli 1981 VII S 8/81 (BFHE 133, 350, BStBl II 1981, 677) die Auffassung vertreten, daß über einen PKH-Antrag für das Revisionsverfahren auch dann der BFH zu befinden hat, wenn eine Revision noch nicht eingelegt wurde. Dies muß erst recht für den Fall gelten, daß das Rechtsmittel, wie hier die Nichtzulassungsbeschwerde, zwar eingelegt wurde, aber, weil das FG weder abgeholfen noch vorgelegt hat (§ 130 FGO), noch nicht an das Rechtsmittelgericht gelangt ist.

Dieses Ergebnis deckt sich auch mit der allgemeinen Meinung, daß als Prozeßgericht i.S. des § 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO dasjenige Gericht anzusehen ist, bei dem der Rechtsstreit anhängig ist oder anhängig gemacht werden soll (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., 1987, § 142 Rdnr. 21; Zöller/Schneider, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 15. Aufl., 1987, § 117 Tz. 1; Kopp, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 7. Aufl., 1986, § 166 Tz. 11 - jeweils m.w.N. -).

2. Der PKH-Antrag der Antragstellerin ist unbegründet, weil die mit der Nichtzulassungsbeschwerde beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

a) Die mangelnden Erfolgsaussichten i.S. des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO sind allerdings nicht schon darin begründet, daß sich die Antragstellerin nicht nach Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975 - BFHEntlG - (BGBl I 1975, 1861), geändert durch das Gesetz vom 4. Juli 1985 (BGBl I 1985, 1274), durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer hat vertreten lassen, weil diese Vorschrift für die Stellung eines PKH-Antrages nicht gilt (BFH-Beschlüsse vom 25. März 1976 V S 2/76, BFHE 118, 300, BStBl II 1976, 386; vom 18. Juli 1985 V S 3/85, BFHE 143, 528, BStBl II 1985, 499, und vom 28. Januar 1986 VII S 11/85, BFH/NV 1986, 626). Die Nichtzulassungsbeschwerde wird indes daran scheitern, daß Zulassungsgründe i.S. des § 115 Abs. 2 FGO nicht hinreichend dargetan bzw. nach Lage der Akten nicht ersichtlich sind.

b) Der mittellose Prozeßbeteiligte wird, was die beabsichtigte Rechtsverfolgung und hierbei einzuhaltende Fristen angeht, grundsätzlich bis zur Entscheidung über den PKH-Antrag als ohne sein Verschulden an der wirksamen Einlegung des Rechtsmittels verhindert angesehen (§ 56 FGO; Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 19. Juni 1985, IVa ZA 16/84, Versicherungsrecht - VersR - 1985, 889; BFH-Beschlüsse vom 11. Dezember 1985 I B 44/85, BFH/NV 1986, 557; vom 28. Mai 1986 VII B 30/85, BFH/NV 1987, 37, und vom 5. November 1986 IV S 7/86, IV B 49/86, BFHE 148, 13, BStBl II 1987, 62; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 120 FGO Tz. 20, m.w.N.). Das bedeutet jedoch keine generelle Freistellung von den in § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO bestimmten Darlegungspflichten. Danach muß in der Beschwerdeschrift die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des BFH, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden. In allen drei Fällen ist die Zulässigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde an in sich schlüssige, substantiierte Darlegungen geknüpft (vgl. dazu näher Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rdnr. 55 ff.).

Einerseits dürfen an die Darlegungspflicht in Fällen der vorliegenden Art nicht die gleichen Anforderungen gestellt werden, wie in Fällen der rechtskundigen Vertretung nach Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG, weil dann dem mittellosen Prozeßbeteiligten der Zugang zur Rechtsmittelinstanz, der ihm durch (vorläufigen) Dispens vom Vertretungszwang (s.o.) eröffnet werden soll, alsbald auf andere Weise wieder erschwert oder versperrt würde. Andererseits aber sind solche Ausnahmen von zwingenden verfahrensrechtlichen Vorschriften nur in dem Maße gerechtfertigt, als sie unter dem übergeordneten Gesichtspunkt der Chancengleichheit zur Rechtsverfolgung unerläßlich sind. Die Rechtsuchenden sollen vor Nachteilen bewahrt werden, die allein auf Mittellosigkeit beruhen. Dagegen soll derjenige, der Mittellosigkeit geltend macht, nicht darüber hinaus Vorteile gegenüber anderen Rechtsmittelführenden erhalten. Darauf aber würde es hinauslaufen, wenn jemand, der für die Rechtsmittelinstanz einen PKH-Antrag stellt, allein deshalb von jeglicher Darlegungspflicht i.S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO entbunden würde. Der vorübergehende Dispens von Frist- und Formerfordernissen gilt daher nur insoweit, als der Prozeßbeteiligte alles in seinen Kräften Stehende und ihm Zumutbare getan hat, um seinerseits die Hindernisse zu beseitigen, die einer rechtzeitigen und wirksamen Einlegung des Rechtsmittels, für dessen Verfolgung PKH begehrt wird, im Wege stehen (BFHE 148, 13, BStBl II 1987, 62, 63, m.w.N.). Auch von dem (zunächst) auf sich allein gestellten Rechtsmittelsführer muß daher verlangt werden, daß er - gemäß der hierzu im angefochtenen Urteil erteilten Belehrung - der Verpflichtung zur fristgerechten Substantiierung seines Begehrens zumindest in laienhafter Weise nachkommt. Das ist hier nicht geschehen.

aa) Die Rüge mangelnder Sachaufklärung erweist sich - die Richtigkeit der in diesem Zusammenhang aufgestellten Behauptungen unterstellt - ihrem wirklichen Inhalt nach als Angriff gegen die Anwendung des materiellen Rechts durch das FG (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rdnr. 28, m.w.N.; vgl. dazu weiter Unterbuchst. bb).

bb) Unzulässig, weil unsubstantiiert, ist die Rüge, die Vernehmung des Zeugen S sei ,,nicht ablaufgemäß protokolliert".

cc) Der Einwand der Antragstellerin, sie sei mit einem Antrag auf Beeidigung (zu Unrecht) nicht zugelassen worden, ist nicht schlüssig, weil nicht ersichtlich ist, inwiefern das FG-Urteil auf dem behaupteten Mangel beruht. Überdies hat das FG - der Sitzungsniederschrift zufolge - tatsächlich, allerdings negativ, über die Beeidigung entschieden. Selbst eine unzutreffende Behandlung oder das Übergehen eines Antrags konnte also keinen Einfluß auf den weiteren Gang des Verfahrens und auf die Urteilsfindung haben.

Soweit sich die Antragstellerin schließlich (incidenter) gegen die Richtigkeit der Entscheidung des FG wendet, von einer Beeidigung des Zeugen S abzusehen, richtet sich ihr Angriff gegen eine Maßnahme der Beweiswürdigung (Zöller/Stephan, a.a.O., § 391 Tz. 6), die in diesem Falle materiell-rechtlicher Natur ist.

dd) In materiell-rechtlicher Hinsicht sind die gegen die Beweiswürdigung und generell gegen die Richtigkeit des FG-Urteils gerichteten Einwände der Antragstellerin so allgemein gehalten, daß sie nicht erkennen lassen, ob grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) als Zulassungsgrund geltend gemacht wird. Auch unabhängig vom Vorbringen der Antragstellerin kann den Akten nicht entnommen werden, daß einer dieser beiden Zulassungsgründe hier gegeben sein könnte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415744

BFH/NV 1988, 728

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