Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen einer Gegenvorstellung

 

Leitsatz (NV)

Eine Gegenvorstellung, mit der die Aufhebung einer rechtskräftigen Entscheidung begehrt wird, ist nur in Ausnahmefällen eröffnet, insbesondere bei schwerwiegenden Grundrechtsverstößen wie der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, des Rechts auf den gesetzlichen Richter oder wenn die angegriffene Entscheidung jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt.

 

Normenkette

GG Art. 101 Abs. 1 S. 2, Art. 103 Abs. 1; FGO § 56

 

Tatbestand

I. Das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) wurde dem Prozessbevollmächtigten der Kläger und Antragsteller (Kläger) am 16. Juli 2002 zugestellt. Am 27. Juli 2002 musste er sich plötzlich und unerwartet einer Herzoperation unterziehen. Am 10. September 2002 wurde er aus dem Rehabilitationskrankenhaus entlassen. Danach war er, wie aus dem eingereichten ärztlichen Attest seines Hausarztes vom 13. September 2002 hervorgeht, eingeschränkt arbeitsfähig. Mit einem an das FG gerichteten Schreiben vom 13. September 2002 bat er darum, die Revision an den Bundesfinanzhof (BFH) weiterzuleiten und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er kündigte an, die liegen gebliebenen Arbeiten schnellstmöglich zu erledigen. Mit Schreiben vom 27. September 2002 an den BFH teilte er mit, die Begründung der Revision könne erst zum 31. Oktober 2002 erfolgen.

Der BFH verwarf durch Beschluss vom 15. Oktober 2002 IX R 47/02 die Revision als unzulässig. Für die Versäumung der am 16. August 2002 abgelaufenen Revisionsfrist sei den Klägern zwar Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) zu gewähren, weil ihr Prozessbevollmächtigter sich am 27. Juli 2002 plötzlich und unerwartet einer Herzoperation habe unterziehen müssen. Jedoch sei die anschließende Versäumung der am 16. September 2002 abgelaufenen Revisionsbegründungsfrist nicht unverschuldet i.S. von § 56 FGO gewesen. Nach der Entlassung des Prozessbevollmächtigten aus der Rehabilitationsklinik (10. September 2002) seien ihm noch sechs Tage bis zum Ablauf dieser Frist geblieben. Da er in diesem Zeitraum eingeschränkt arbeitsfähig gewesen sei, hätte er bei gehöriger Sorgfalt vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist zumindest einen Antrag auf Verlängerung dieser Frist stellen können. Der im Schreiben vom 27. September 2002 sinngemäß enthaltene Antrag, die Revisionsbegründungsfrist bis zum 31. Oktober 2002 zu verlängern, sei verspätet gestellt. Nach der ausdrücklichen Regelung in § 120 Abs. 2 FGO könne die Revisionsbegründungsfrist nur aufgrund eines vor ihrem Ablauf gestellten Antrags verlängert werden.

Mit Schreiben vom 6. Dezember 2002 beantragten die Kläger, den Beschluss vom 15. Oktober 2002 IX R 47/02 aufzuheben. Zur Begründung reichten sie ein weiteres Attest des Hausarztes des Prozessbevollmächtigten vom 9. Dezember 2002 ein. Darin wird bescheinigt, der Prozessbevollmächtigte sei 16 Tage nach der Operation verwirrt gewesen. Er sei teilweise als Steuerberater arbeitsfähig gewesen. Schwierige Schriftsätze sowie die Überwachung von Terminen habe er nur eingeschränkt bewältigen können. Der Begriff "gehörige Sorgfalt" sei von ihm mit Sicherheit mindestens bis Ende September 2002 nicht hinreichend auszufüllen gewesen.

 

Entscheidungsgründe

II. Der mit Schreiben vom 6. Dezember 2002 gestellte Antrag, den Beschluss vom 15. Oktober 2002 IX R 47/02 aufzuheben, stellt eine Gegenvorstellung dar. Sie hat keinen Erfolg.

Die Finanzgerichtsordnung sieht eine förmliche Gegenvorstellung nicht ausdrücklich vor. Als außerordentlicher, nicht förmlicher Rechtsbehelf, mit dem eine Aufhebung einer materiell und formell rechtskräftigen Entscheidung begehrt wird, ist die Gegenvorstellung nur in Ausnahmefällen eröffnet, insbesondere bei schwerwiegenden Grundrechtsverstößen wie der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ―GG―), des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) oder wenn die angegriffene Entscheidung jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 21. April 1997 V R 22, 23/93, BFH/NV 1998, 32, m.w.N., und vom 13. April 2000 V S 3/00, BFH/NV 2000, 1132).

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.

Es kann offen bleiben, ob aufgrund des nachgereichten Attests vom 9. Dezember 2002 die Frage, ob den Prozessbevollmächtigten ein Verschulden an der Versäumung der Revisionsbegründung trifft, anders als im Beschluss vom 15. Oktober 2002 IX R 47/02 zu beurteilen sein könnte. Dagegen spricht, dass der Prozessbevollmächtigte auch nach dem neuerlichen Attest teilweise arbeitsfähig war. Die Ausführungen des Attests, die Überwachung von Terminen habe der Prozessbevollmächtigte nur eingeschränkt bewältigen können, erklären nicht, weshalb nicht einmal ein rechtzeitiger Fristverlängerungsantrag möglich gewesen sein soll.

Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass der Beschluss vom 15. Oktober 2002 IX R 47/02, der auf den damals vorgetragenen Tatsachen und vorgelegten Attesten beruht, mit schwerwiegenden rechtlichen Mängeln behaftet sein könnte.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht (vgl. BFH-Beschluss vom 19. August 1998 X B 84/98, BFH/NV 1999, 210).

 

Fundstellen

Haufe-Index 933461

BFH/NV 2003, 937

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge