Leitsatz (amtlich)

1. Sind die für die Entscheidung des Hauptsacheverfahrens erheblichen Tatsachen im Rahmen des summarischen Verfahrens nicht aufklärbar, muß es in der Regel zur Begründung ernsthafter Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO genügen, daß die bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen die vom Steuerpflichtigen behauptete Rechtsfolge als möglich erscheinen lassen.

2. In den Fällen der Zurückverweisung der Hauptsache zur weiteren Sachaufklärung kann die Entscheidung des Revisionsgerichts über die Aussetzung der Vollziehung sich auch auf die Zeit nach der Zustellung des Revisionsurteils im Hauptsacheverfahren erstrecken.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 2 S. 2

 

Tatbestand

Streitig ist im Hauptsacheverfahren, ob die Antragstellerin (Steuerpflichtige), die Modekollektionen, Kataloge, Anzeigen und Prospekte zeichnerisch gestaltet, im Streitjahr 1963 Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder Einkünfte aus selbständiger Arbeit erzielt hat.

Der Antragsgegner (FA) und mit ihm das FG sprachen - ohne ein Sachverständigengutachten eingeholt zu haben - den Arbeiten der Steuerpflichtigen die künstlerische Qualität ab und unterwarfen ihre Einkünfte der Gewerbesteuer.

Gegen das Urteil des FG legte die Steuerpflichtige Revision ein.

Mit einem beim BFH gemäß § 69 Abs. 3 FGO gestellten Antrag begehrt sie Aussetzung der Vollziehung des Gewerbesteuer-Meßbescheids 1963 bis zur Erledigung der Hauptsache. Zur Begründung trägt sie vor, daß nach dem bisherigen Prozeßverlauf die Aussicht bestehe, daß eine Gewerbesteuerpflicht nicht gegeben sei.

Das FA beantragt, die Aussetzung der Vollziehung nicht zu gewähren, da das FG die Rechtmäßigkeit des Gewerbesteueranspruchs bestätigt habe.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist begründet.

Gemäß § 69 Abs. 3 FGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen, wenn die in § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO genannten Voraussetzungen vorliegen. Ernstliche Zweifel, die nach § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn bei der summarischen Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtslage oder Unklarkeit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (vgl. BFH-Beschluß III B 9/66 vom 10. Februar 1967, BFH 87, 447, BStBl III 1967, 182). Im vorliegenden Falle sind ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO deshalb zu bejahen, weil die für die Entscheidung des Hauptsacheverfahrens erhebliche Tatfrage, nämlich die Frage nach der künstlerischen Qualität der Arbeiten der Steuerpflichtigen, im Rahmen des summarischen Verfahrens nicht geklärt werden kann und die bisherigen Feststellungen die von der Steuerpflichtigen behauptete Tatsache als möglich erscheinen lassen.

Der Senat hat in dem Urteil I R 25/67 vom heutigen Tage (BStBl II 1968, 543) die Hauptsacheentscheidung des FG aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen. Wie in diesem Urteil, auf dessen Gründe im einzelnen Bezug genommen wird, dargelegt, bedarf es eines Sachverständigengutachtens, um die Arbeiten der Steuerpflichtigen auf deren künstlerische Qualität hin zu überprüfen. Erst nach Vorliegen eines solchen Gutachtens sind die tatsächlichen Feststellungen möglich, die zur Entscheidung der Frage getroffen werden müssen, ob die Steuerpflichtige Gewinne aus freiberuflicher Tätigkeit oder aus Gewerbebetrieb erzielt hat. Dem Senat ist es verwehrt, im Rahmen des Verfahrens über die Aussetzung der Vollziehung ein Sachverständigengutachten einzuholen und sich auf dessen Grundlage selbst ein Urteil über die Arbeiten der Steuerpflichtigen zu bilden. Denn damit würde der Entscheidung in der Hauptsache vorgegriffen werden. In Fällen dieser Art, in denen ein weiteres Eindringen in die tatsächlichen Verhältnisse nicht zulässig ist, muß es daher in der Regel zur Begründung ernsthafter Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO genügen, daß die bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen ausreichen, um die von der Steuerpflichtigen behauptete Rechtsfolge als möglich erscheinen zu lassen. Dies ist - wie in der Hauptsacheentscheidung I R 25/67 dargelegt - der Fall.

Grundsätzlich ist die Frage der Aussetzung der Vollziehung für jeden Verfahrensabschnitt gesondert zu prüfen (vgl. Ziemer-Birkholz, Kommentar zur Finanzgerichtsordnung, Anm. 38 und 49 zu § 69). Es erscheint indes aus Gründen der Prozeßwirtschaftlichkeit in den Fällen der Zurückverweisung des Rechtsstreits in der Hauptsache zur weiteren Sachaufklärung angebracht, die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung zeitlich über die Revisionsinstanz hinaus wirksam werden zu lassen. Würde in Fällen dieser Art die Aussetzung der Vollziehung nur bis zur Zustellung der (zurückverweisenden) Hauptsacheentscheidung des Revisionsgerichts gewährt werden, so wäre das FG voraussichtlich genötigt, alsbald nach diesem Zeitpunkt erneut über die Aussetzung der Vollziehung zu befinden, und zwar auch dann, wenn die erforderliche Aufklärung des Sachverhalts im Hauptsacheverfahren noch nicht erfolgen konnte.

Da sich andererseits nach weiterer Aufklärung des Sachverhalts durch das FG neue Gesichtspunkte ergeben können, die die Frage der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts nicht mehr als ernstlich zweifelhaft erscheinen lassen, ist die Aussetzung der Vollziehung nur bis zum Zeitpunkt des Ergehens der Entscheidung durch das FG gerechtfertigt. Dem darüber hinausgehenden Antrag der Steuerpflichtigen kann daher nicht entsprochen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67728

BStBl II 1968, 540

BFHE 1968, 326

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