Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur ordnungsmäßigen Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs

 

Leitsatz (NV)

Der Verzicht eines Prozeßbeteiligten auf einen verzichtbaren Verfahrensmangel wird unterstellt, wenn er trotz Kenntnis die Verkürzung seines Rechts nicht schon in der Instanz rügt, in der sie stattgefunden haben soll (vgl. BFH-Urteil vom 26. Januar 1977 I R 163/74, BFHE 121, 286, BStBl II 1977, 348).

2. Die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist nur dann schlüssig erhoben, wenn der Beschwerdeführer vorträgt, daß er die Rechtsverletzung in der Vorinstanz gerügt habe oder daß und gegebenenfalls weshalb ihm eine solche Rüge nicht möglich gewesen sei.

 

Normenkette

FGO § 113 Abs. 3 S. 3, § 120 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Der Prozeßbevollmächtigte hat für den Kläger und Revisionskläger (Kläger) Klagen erhoben und angekündigt, die schriftliche Prozeßvollmacht nachzureichen. An die Vorlage der Prozeßvollmacht ist er vom Finanzgericht (FG) erfolglos erinnert worden. Die Ladungen zu der auf den 9. Februar 1993 anberaumten Verhandlung wurden am 22. Januar 1993 zugestellt. Unter dem 20. Januar 1993 wurde der Prozeßbevollmächtigte gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgefordert, bis zum 1. Februar 1993 die schriftliche Originalvollmacht vorzulegen. Mit zwei am 1. Februar 1993 um 17.48 und 17.59 Uhr mittels Telefax eingegangenen Schriftsätzen beantragte der Prozeßbevollmächtigte Verlängerung der Frist.

Dies lehnte der Berichterstatter mit Verfügung vom 2. Februar 1993 ab, die dem Prozeßbevollmächtigten an diesem Tage um 12.00 Uhr übermittelt wurde. Die Streitsache sei in beiden Sachen rechtlich und tatsächlich nicht schwierig gelagert; daher seien die gesetzten Fristen nicht unangemessen kurz.

Mit Schriftsatz vom 2. Februar 1993 wies der Prozeßbevollmächtigte darauf hin, daß sich in den beigezogenen Steuerakten Vollmachten befänden, die sich auch auf die Durchführung finanzgerichtlicher Verfahren bezögen. Am 5. Februar 1993 teilte der Berichterstatter dem Prozeßbevollmächtigten mit, in den Prozeßakten befänden sich keine Vollmachten für die Klageverfahren. Die dem Schriftsatz vom 2. Februar 1993 beigefügte Original-Prozeßvollmacht, die maschinenschriftlich auf den 8. Dezember 1992 datiert und außerdem handschriftlich mit dem Datum des 2. Februar 1993 versehen sei, sei erst nach Ablauf der gesetzten Ausschlußfrist bei Gericht eingegangen.

Zu der mündlichen Verhandlung vom 9. Februar 1993 ist für den Kläger niemand erschienen.

Das FG hat die Klagen als unzulässig abgewiesen. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Die gesetzte Ausschlußfrist sei angesichts der Ankündigung des fachkundigen Beraters in der Klageschrift und der zuvor schon erfolglos gesetzten weiteren Frist zur Vorlage einer Prozeßvollmacht nicht unangemessen kurz gewesen.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des Verfahrensrechts. Die mit Verfügung vom 20. Januar 1993 gesetzte Ausschlußfrist sei unangemessen kurz und daher unwirksam.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen sind unzulässig.

Der Kläger rügt sinngemäß, daß die auf der Rechtsgrundlage des § 62 Abs. 3 FGO gesetzte richterliche Ausschlußfrist zu kurz bemessen sei und daß das FG zu Unrecht die nachgereichten Steuererklärungen nicht zur Kenntnis genommen habe. Er rügt damit sinngemäß eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Revisionsbegründungen vom 15. August 1993 den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Jedenfalls ist die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht ordnungsgemäß gerügt.

Da die Verletzung des rechtlichen Gehörs ein verzichtbarer Verfahrensmangel ist (§ 295 der Zivilprozeßordnung -- ZPO -- i. V. m. § 155 FGO), kann ein Prozeßbeteiligter mit dieser Rüge nur gehört werden, wenn er auf den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verzichtet hat. Ein solcher Verzicht wird unterstellt, wenn der Berechtigte trotz Kenntnis die Verkürzung seines Rechts nicht schon in der Instanz rügt, in der sie stattgefunden haben soll (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 26. Januar 1977 I R 163/74, BFHE 121, 286, BStBl II 1977, 348). Auch die Verletzung des rechtlichen Gehörs muß im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren schon vor dem FG gerügt werden. Erhebt der Beteiligte in der nächsten mündlichen Verhandlung keine diesbezügliche Rüge, obwohl er Kenntnis von dem Mangel hat, kann er ihn grundsätzlich nicht als absoluten Revisionsgrund geltend machen. Die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist -- ebenso wie jede Rüge eines verzichtbaren Verfahrensmangels (vgl. BFH-Urteil vom 31. Juli 1990 I R 173/83, BFHE 162, 236, BStBl II 1991, 66) -- nur dann schlüssig erhoben, wenn der Prozeßbeteiligte vorträgt, daß er die Rechtsverletzung in der Vorinstanz gerügt habe oder daß und gegebenenfalls weshalb ihm eine solche Rüge nicht möglich gewesen sei.

Vorliegend hat der Kläger nicht vorgetragen, daß er eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt hätte. Einen solchen Vortrag enthält auch nicht die im Schriftsatz vom 15. August 1994 enthaltene allgemeine Verweisung -- deren prozeßrechtliche Zulässigkeit unterstellt -- auf das Vorbringen im Klageverfahren und dem Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde. Nach dem eigenen Vortrag des Klägers hat der Berichterstatter des FG seine Auffassung zur Angemessenheit der von ihm gesetzten Ausschlußfrist zuletzt mit Datum vom 5. Februar 1993 bekundet. Daraufhin will der Kläger mit Telefax vom 8. Februar 1993 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Ausschlußfrist beantragt haben. Abgesehen davon, daß sich in den Akten des FG keine Schriftsätze mit diesem Datum befinden, kann in dem Antrag auf Wiedereinsetzung keine Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gesehen werden (vgl. BFH-Urteil vom 28. Februar 1989 VIII R 181/84, BFH/NV 1989, 716, vor 1.). Zu der mündlichen Verhandlung ist weder der Kläger noch sein Prozeßbevollmächtigter erschienen; sie haben die vom Gesetz institutionalisierte Gelegenheit, den Streitfall tatsächlich und rechtlich zu erörtern (§ 93 Abs. 1 FGO) und somit auch Fehler des bisherigen Verfahrens zu rügen, nicht wahrgenommen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420977

BFH/NV 1996, 331

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