Entscheidungsstichwort (Thema)

Befangenheit eines gerichtlich beauftragten Sachverständigen

 

Leitsatz (NV)

Der vom Gericht beauftragte Sachverständige ist nicht deshalb befangen, weil ihm das Gericht die Steuerakten des Finanzamts übersandt hat.

 

Normenkette

FGO § 82; ZPO § 406 Abs. 1, § 42 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Verfahren der Hauptsache darum, ob der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) als selbständiger Konstrukteur der Gewerbesteuer unterliegt.

Im Laufe dieses Verfahrens ordnete das Finanzgericht (FG) durch Beschluß eine Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens an. Zum Gutachter bestellte das FG Herrn Dipl.-Ing. K. Mit Verfügung des Berichterstatters vom 31. März 1988 wurde dem Gutachter der Beweisbeschluß übersandt. Wörtlich heißt es: ,,Anbei übersende ich den Beweisbeschluß des Senats vom 31. März 1988 sowie die dazugehörigen Verfahrensakten". Die Geschäftsstelle des FG übersandte dem Gutachter nicht nur die Gerichts-, sondern auch die Rechtsbehelfs-, Einkommensteuer-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuerakten des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -). In der Folgezeit erstellte der Sachverständige sein Gutachten. Auf Bl. 1 des Gutachtens führte er auf, welche Akten ihm zur Erstellung des Gutachtens zur Verfügung gestanden hätten.

Vom FG zur Stellungnahme zum Gutachten innerhalb von drei Wochen aufgefordert, stellte der Kläger den Antrag, den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Das FG wies den Antrag als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers, der das FG nicht abgeholfen hat.

Der Kläger beantragt, den Beschluß des FG vom 28. November 1988 aufzuheben und seinem Antrag, den Sachverständigen Dipl.-Ing. K. wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, stattzugeben.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Ein Sachverständiger kann nur dann mit Erfolg wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen in seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§§ 406 Abs. 1, 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO - i. V. m. § 82 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Gründe für ein solches Mißtrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Sachverständige sein Gutachten nicht unvoreingenommen erstatten werde. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob das Gutachten wirklich von Voreingenommenheit beeinflußt ausfiele. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei der Anlegung des angeführten objektiven Maßstabes Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555). Der Kläger hatte keinen Anlaß anzunehmen, der Sachverständige Dipl.-Ing. K. sei ihm gegenüber befangen.

1. Insbesondere läßt sich die Befangenheit des Sachverständigen nicht aus dem Umstand herleiten, daß ihm die Rechtsbehelfs-, Einkommensteuer-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuerakten zugänglich gemacht worden sind.

Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers liegt hierin kein Verstoß gegen das Steuergeheimnis (§ 30 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Der Inhalt der Steuerakten ist weder dem FG noch dem Sachverständigen unbefugt offenbart worden.

Nach § 71 Abs. 2 FGO hat die beklagte Behörde dem FG die Steuerakten zu übersenden. Es ist üblich und sinnvoll, daß die Behörde dem Gericht nicht nur die Akten zukommen läßt, die für die streitige Steuerart angelegt worden sind, sondern auch die, die andere Veranlagungssteuern des gleichen Zeitraums betreffen. Der Sinn einer solchen Handhabung liegt darin, daß diese Akten oft Informationen enthalten, die zur Entscheidung des Rechtsstreits in der streitigen Steuerart notwendig sind. Das FA kommt damit einer Anforderung dieser Akten durch das FG zuvor. Eine solche Anforderung ist zulässig (BFH-Urteil vom 18. April 1975 III R 159/72, BFHE 115, 527, BStBl II 1975, 741). Da das FG den Akteninhalt nicht kennt, muß es die Akte einsehen, bevor es sich ein abschließendes Bild über die Erheblichkeit ihres Inhalts machen kann. Daher ist es nicht zu beanstanden, wenn das FA dem Gericht die Entscheidung überläßt, ob es die Akten, die die anderen Veranlagungssteuern der Streitjahre betreffen, benötigt.

Das Gericht hat grundsätzlich alle ihm vorliegenden Akten dem Sachverständigen zugänglich zu machen. Das gilt für den Zivilprozeß uneingeschränkt (vgl. Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, 45. Aufl., § 411 Anm. 2 a. E.). Es gilt aber auch für das Verfahren bei den Finanzbehörden und Gerichten (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 96 AO 1977 Tz. 5). Das ist deswegen gerechtfertigt, weil der Sachverständige der Gehilfe des Gerichts ist. Im Hinblick auf § 30 AO 1977 lassen sich Fälle denken, in denen von der Übersendung einzelner Unterlagen abgesehen werden sollte. Ob dies geschieht, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Insbesondere ist von der Übersendung solcher Unterlagen abzusehen, die Hinweise auf Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse des Steuerpflichtigen enthalten (vgl. § 88 FGO).

Der Streitfall bot keinen Anlaß dafür, daß das FG von der Übersendung der Akten hätte absehen müssen. Die Einkommensteuerakten enthielten in den Zusammenstellungen der Einnahmen und in Kontrollmitteilungen Hinweise, die für die Beurteilung der Tätigkeit des Klägers von Bedeutung sein konnten. Die Gewerbe- und Umsatzsteuerakten enthielten im wesentlichen nur Steuerbescheide. Sie waren nicht notwendig für die Erstellung des Gutachtens, boten aber auch keine Information über Verhältnisse des Klägers, die nicht auch aus der Einkommensteuerakte zu entnehmen gewesen wären.

Die Einkommensteuerakte enthielt u. a. auch Stundungsanträge des Klägers. Trotzdem war das FG nicht gehalten, dem Sachverständigen nur Einnahmeaufstellungen und Kontrollmitteilungen aus den Akten zu übersenden. Ein derartiger Aufwand war deshalb entbehrlich, weil einerseits auch der Sachverständige dem Steuergeheimnis verpflichtet ist (§ 30 Abs. 3 Nr. 2 AO 1977) und weil auf der anderen Seite die Befürchtung, er werde sich infolge der Kenntnis der Stundungsanträge zu Ungunsten des Steuerpflichtigen beeinflussen lassen, fernlag. Dasselbe gilt für die Befürchtung, der Sachverständige könne durch die Kenntnis der Jahresgewinne oder ,,einkommensteuerlicher Details" zu Ungunsten des Klägers beeinflußt werden.

2. Der Senat kann dem Kläger auch nicht folgen, wenn er die Anzeichen aufzählt, die seiner Ansicht nach auf eine Voreingenommenheit des Sachverständigen schließen lassen. Der Sachverständige ist zu dem von ihm gefundenen Ergebnis, daß der Kläger seine Tätigkeit überwiegend ohne theoretisches Grundwissen ausüben konnte, auf Grund der ihm vorgelegten Arbeitsproben gelangt. Daher konnte es keine Bedeutung haben, daß der Kläger drei Semester lang die Technikerschule besucht hat und daß er schon 1975 nach der Tarifgruppe T 5 bezahlt wurde.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416652

BFH/NV 1990, 378

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