Entscheidungsstichwort (Thema)

Bekanntgabe von Gewinnfeststellungs- und Einkommensteuerbescheiden nach Eröffnung des Konkursverfahrens; notwendige Beiladung des Konkursverwalters; Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens

 

Leitsatz (NV)

  1. Ein Gewinnfeststellungsbescheid, der nach Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen eines oder aller Gesellschafter einer Personengesellschaft erlassen wird und nicht konkursfreie Gewinne betrifft, ist nicht nur den Gesellschaftern, sondern auch deren Konkursverwalter bekannt zu geben.
  2. Bereits mit der Bekanntgabe an die Gesellschafter entsteht der Feststellungsbescheid als Steuerverwaltungsakt. Er wird gegenüber den Gesellschaftern, nicht auch gegenüber dem Konkursverwalter wirksam. Der Mangel in der Bekanntgabe bewirkt nicht, dass der Gewinnfeststellungsbescheid insgesamt nichtig und damit unwirksam ist.
  3. Ein Einkommensteuerbescheid, der zugleich konkursbefangene und konkursfreie Einkünfte betrifft, entsteht mit der Bekanntgabe an die Steuerpflichtigen als Steuerverwaltungsakt. Er wird aber nur gegenüber diesen, nicht auch gegenüber dem Konkursverwalter wirksam. Der Mangel in der Bekanntgabe bewirkt aber nicht, dass der Einkommensteuerbescheid insgesamt nichtig und damit unwirksam ist.
  4. Die Feststellung der Nichtigkeit eines Einkommensteuerbescheids, der auch konkursbefangene Einkünfte betrifft, berührt notwendigerweise und unmittelbar auch die Rechte des Konkursverwalters über das Vermögen des Steuerpflichtigen. Er ist daher notwendig beizuladen.
  5. Eine unterbliebene notwendige Beiladung stellt trotz der Neuregelung des § 123 FGO durch das 2. FGOÄndG einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens dar.
 

Normenkette

AO 1977 § 124; FGO § 40 Abs. 2, §§ 60, 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 6, § 123

 

Tatbestand

I. Für die Streitjahre 1989 und 1991 erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) zunächst am 1. August 1990 bzw. am 17. März 1993 für die zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) Steuerbescheide. Gegen die Änderungsbescheide nach einer betriebsnahen Veranlagung vom 24. Juni 1993 legten die Kläger mit Schreiben vom 29. Juni 1993 Einspruch ein. Aufgrund von Mitteilungen des FA R vom 16. August 1993 über die gewerblichen Einkünfte der Klägerin aus ihrer Beteiligung an der in Konkurs befindlichen R-OHG wurde die Einkommensteuer für die Jahre 1989 und 1991 mit Bescheiden vom 7. Juli 1995 erhöht. Das FA wies in den Bescheiden darauf hin, dass das Leistungsgebot auch an den Konkursverwalter der R-OHG als Massekostenanspruch nach § 58 der Konkursordnung (KO) ergehe.

Mit Bescheiden vom 4. Juli 1996 half das FA dem Einspruch der Kläger teilweise ab und erließ am 5. Dezember 1996 entsprechend geänderte Leistungsgebote, in denen die auf die Kläger und die auf die Konkursmasse der R-OHG entfallende Steuerschuld aufgeteilt wurden. Im Übrigen wies das FA die Einsprüche am 24. März 1998 als unzulässig zurück, da es davon ausging, dass sie am 16. August 1996 wirksam zurückgenommen worden seien.

Die hiergegen erhobene Klage hatte ursprünglich die Aufhebung der Einspruchsentscheidung zum Ziel. Während des Klageverfahrens erließ das FA am 4. Juli 2000 für beide Streitjahre Änderungsbescheide, in denen die Einkommensteuer erneut herabgesetzt wurde. Mit Schriftsatz vom 18. Juli 2000 beantragten die Kläger, diese Bescheide zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Aufgrund einer Mitteilung über Beteiligungseinkünfte wurde die Einkommensteuer 1991 am 21. März 2001 erneut geändert.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, mit der die Kläger im Hauptantrag die Feststellung der Nichtigkeit der Einkommensteuerbescheide vom 7. Juli 1995 und der nachfolgenden Änderungsbescheide begehrten und hilfsweise beantragten, die Einkommensteuerbescheide vom 7. Juli 1995 und die nachfolgenden Änderungsbescheide aufzuheben. Der Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der an die Kläger bekannt gegebenen Steuerbescheide stehe nicht entgegen, dass sie nicht auch an den mit der Abwicklung des persönlichen Konkurses der Klägerin betrauten Konkursverwalter gerichtet worden seien. Zwar hätten die angefochtenen Steuerfestsetzungen zu einem erheblichen Teil auch Einkünfte der Klägerin aus der Beteiligung an der R-OHG betroffen, die nach Eröffnung ihres persönlichen Konkurses erzielt worden seien. Auch seien diese Gewinne der Klägerin in ihrem persönlichen Konkurs nicht schon deshalb konkursfrei, weil sie erst nach Konkurseröffnung entstanden seien. Erträge aus der Verwaltung der Konkursmasse fielen wiederum in die Masse des Gesellschafterkonkurses. Auch wenn über das gesamthänderisch gebundene Gesellschaftsvermögen der R-OHG ein Sonderkonkurs durchgeführt worden sei, gehöre es doch zu dem Gesamtvermögen der Klägerin und stehe nach Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger den Gläubigern im Konkurs des Gesellschafters zur Verfügung. Es könne aber offen bleiben, ob die Einkommensteuerbescheide deshalb auch dem Konkursverwalter der Klägerin hätten bekannt gegeben werden müssen, da die fehlende Bekanntgabe eines inhaltsgleichen Bescheids nicht dazu führe, dass der an andere Betroffene bekannt gegebene Bescheid nach § 124 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) insgesamt nichtig und damit unwirksam sei. Der Hilfsantrag hatte keinen Erfolg, da auch das FG von der Rücknahme der Einsprüche gegen die Steuerfestsetzungen ausging.

Mit Schriftsatz vom 17. Februar 2003 erhoben die Kläger Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision. Zur Begründung trugen sie u.a. vor, die Vorentscheidung beruhe auf einem Verfahrensmangel. Das FG hätte den Konkursverwalter über das Vermögen der Klägerin und den im Konkursverfahren der R-OHG bestellten Konkursverwalter notwendig beiladen müssen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist begründet.

1. Zwar kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil die von den Klägern angesprochene Rechtsfrage als grundsätzlich geklärt anzusehen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist zwar ein Gewinnfeststellungsbescheid, der nach Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen eines oder aller Gesellschafter einer Personengesellschaft (hier: R-OHG) erlassen wird und nicht konkursfreie Gewinne betrifft, nicht nur den Gesellschaftern, sondern auch deren Konkursverwalter bekanntzugeben. Bereits mit der Bekanntgabe an die Gesellschafter entsteht aber der Feststellungsbescheid als Steuerverwaltungsakt (vgl. § 155 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 124 Abs. 1 AO 1977). Er wird zunächst nur gegenüber den Gesellschaftern, nicht auch gegenüber dem Konkursverwalter wirksam. Der Mangel in der Bekanntgabe bewirkt jedoch nicht, dass der Gewinnfeststellungsbescheid insgesamt nichtig und damit unwirksam (vgl. § 124 Abs. 3 AO 1977) war (vgl. BFH-Urteil vom 20. Juni 1985 IV R 17/83, BFH/NV 1987, 343, m.w.N.). Entsprechendes gilt für einen Einkommensteuerbescheid, der konkursbefangene und konkursfreie Einkünfte betrifft. Wird ein solcher Bescheid nur den Steuerpflichtigen, nicht aber dem Konkursverwalter über deren Vermögen bekannt gegeben, entsteht der Bescheid mit Bekanntgabe an die Steuerpflichtigen als Steuerverwaltungsakt. Zwar wird er nur gegenüber den Steuerpflichtigen, nicht auch gegenüber dem Konkursverwalter wirksam. Entgegen der Auffassung der Kläger bewirkt der Mangel in der Bekanntgabe jedoch nicht, dass der Einkommensteuerbescheid insgesamt nichtig und damit unwirksam ist.

2. Das angefochtene Urteil beruht jedoch auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO), weil das FG den Konkursverwalter über das Vermögen der Klägerin nicht gemäß § 60 Abs. 3 FGO zum Verfahren beigeladen hat. Gemäß § 116 Abs. 6 FGO hat dies die Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie die Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zur Folge.

Mit ihrem Hauptantrag verfolgen die Kläger die Feststellung der Nichtigkeit der Einkommensteuerbescheide der Streitjahre 1989 und 1991. Diese Steuerfestsetzungen betrafen nach den nicht angegriffenen und den Senat daher bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) zu einem erheblichen Teil auch Einkünfte der Klägerin aus der Beteiligung an der R-OHG, die nach Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Klägerin erzielt wurden.

a) Zwar hat das FG verfahrensfehlerfrei von der Beiladung des Konkursverwalters der R-OHG abgesehen. Es ist unbestritten, dass die Folgen der Gewinnfeststellung grundsätzlich nicht den nach Konkursrecht abzuwickelnden Vermögensbereich der Personengesellschaft, sondern die Gesellschafter persönlich betreffen. Deshalb wird die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung als sog. konkursfreie Angelegenheit behandelt (BFH-Urteil vom 24. Juli 1990 VIII R 194/84, BFHE 161, 509, BStBl II 1992, 508, 509). Dies muss umso mehr für die Einkommensteuerfestsetzungen der Gesellschafter einer in Konkurs befindlichen Gesellschaft gelten.

b) Im Streitfall musste das FG aber den Konkursverwalter über das Vermögen der Klägerin notwendig beiladen. Das Konkursverfahren ergreift nach § 1 Abs. 1 KO das gesamte, einer Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögen der Klägerin, welches ihr zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehörte. Erträge aus diesem Vermögen, also auch die nach Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Klägerin entstandenen Gewinne aus der R-OHG, sind konkursbefangen. Deshalb stand mit Konkurseröffnung das alleinige Anfechtungs- und Klagerecht der Gewinnfeststellungsbescheide der R-OHG nicht der Klägerin, sondern dem Konkursverwalter über das Vermögen der Klägerin zu (vgl. BFH-Urteil vom 12. Dezember 1985 IV R 330/84, BFHE 145, 495, BStBl II 1986, 408). Da die Einkommensteuerfestsetzungen der Streitjahre 1989 und 1991 nicht nur konkursfreie, sondern auch die konkursbefangenen Einkünfte der Klägerin aus ihrer Beteiligung an der R-OHG erfassten, waren nicht nur die Kläger, sondern auch der Konkursverwalter über das Vermögen der Klägerin gemäß § 40 Abs. 2 FGO klagebefugt. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH hat eine Beiladung nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO zu erfolgen, wenn die Entscheidung notwendigerweise und unmittelbar Rechte Dritter gestaltet, bestätigt, verändert oder zum Erlöschen bringt (vgl. BFH-Beschluss vom 4. Juli 2001 VI B 301/98, BFHE 195, 50, BStBl II 2001, 729). Ein solches Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit ist im Streitfall gegeben.

Die Beiladung des Konkursverwalters wäre nur dann nicht geboten, wenn er steuerrechtlich unter keinem Gesichtspunkt betroffen wäre (vgl. BFH-Urteil vom 22. Mai 1990 VIII R 120/86, BFHE 160, 558, BStBl II 1990, 780). Zwar kommt dem Gewinnfeststellungsbescheid der R-OHG Bindungswirkung hinsichtlich der Höhe des Gewinnanteils der Klägerin an der R-OHG zu. Der Konkursverwalter kann dennoch vom Ausgang dieses Rechtsstreits betroffen sein, da die Kläger im Hauptantrag die Feststellung der Nichtigkeit der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1989 und 1991 begehren. Diese Feststellung berührt notwendigerweise und unmittelbar auch die Rechte des Konkursverwalters über das Vermögen der Klägerin.

c) Die unterbliebene notwendige Beiladung stellt trotz der Neuregelung des § 123 FGO durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens dar (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 60 Rz. 151). § 123 Abs. 1 Satz 2 FGO eröffnet dem BFH lediglich die Möglichkeit, eine notwendige Beiladung im Revisionsverfahren nachzuholen. Das FG-Urteil kann deshalb auf dem Verfahrensmangel beruhen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 97). Die Vorschriften über die notwendige Beiladung sind unverzichtbar (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 102).

3. Von einer weiter gehenden Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.

 

Fundstellen

Haufe-Index 995655

BFH/NV 2003, 1539

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge