Entscheidungsstichwort (Thema)

(Keine zulassungsfreie Revision bei Richterablehnung nach Erlaß des Urteils - Terminsvorbereitung durch Bericht in Form eines Urteilsentwurfs kein Ablehnungsgrund)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine erst nach Erlaß des angefochtenen Urteils geltend gemachte Richterablehnung kommt als Revisionsgrund i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO grundsätzlich selbst dann nicht in Betracht, wenn dem Betroffenen der Ablehnungsgrund erst nachträglich bekanntgeworden ist.

2. Der Umstand, daß der Überzeugungsbildung nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ein in Form eines Urteilsentwurfs abgefaßter Bericht zu Grunde lag, ist für sich allein kein Ablehnungsgrund i.S. des § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO.

 

Orientierungssatz

Etwas anderes gilt grundsätzlich selbst dann nicht, wenn ein im "Urteilsstil" verfaßter Bericht mit einem Entscheidungsvorschlag endet.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1, § 79 Abs. 1 S. 1, § 96 Abs. 1 S. 1, § 116 Abs. 1 Nr. 2; ZPO § 42 Abs. 2

 

Tatbestand

I. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erließ gegen die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) sowie gegen deren mit ihr zusammen zur Einkommensteuer zu veranlagenden Ehemann (E) am 22. Februar 1991 für 1987 und 1988 Einkommensteuerbescheide, in denen er im Wege der Schätzung gewerbliche Einkünfte E's aus unerlaubtem Handel mit Betäubungsmitteln ansetzte.

Die hiergegen nach erfolglosen Einsprüchen erhobenen Klagen hat das Finanzgericht (FG) als unbegründet abgewiesen, ohne die Revision zuzulassen.

Dieses Urteil ist gegenüber E nach Zurücknahme der Revision X R 56/94 rechtskräftig geworden.

Die Klägerin ihrerseits hat gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde und gegen das FG-Urteil Revision eingelegt, die sie ausschließlich auf § 116 Abs. 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) stützt. Zur Begründung macht sie geltend, das erstinstanzliche Urteil habe bereits vor der mündlichen Verhandlung vom 20. Januar 1994 festgestanden. Bei den FG-Akten nämlich befinde sich mit Datumsvermerk "10.1.1994" ein offensichtlich vorbereitetes Urteil, das nur in einigen Punkten auf der Basis der mündlichen Verhandlung aktualisiert und korrigiert worden sei. Zwar seien Tenor und ehrenamtliche Richter im Entwurf nicht genannt. Ab der 10. Seite des Entwurfs jedoch sei "die Klage in den Gründen der Entscheidung bereits verbeschieden". Hieraus und aus dem Umstand, daß das FG trotz der in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten gewichtigen Argumente an seiner vorgefaßten Meinung festgehalten habe, müsse sich der Verdacht der Befangenheit gegen die mit der Urteilsfindung befaßten Richter ... aufdrängen. Sie würden daher nunmehr abgelehnt. Zu einem früheren Zeitpunkt sei dies nicht möglich gewesen, weil der Ablehnungsgrund erst bei der zur Revisionsbegründung erbetenen und gewährten Akteneinsicht bekanntgeworden sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unzulässig.

Gemäß Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ist, abweichend von § 115 Abs. 1 FGO die Revision, sofern sie --wie hier-- weder durch das FG noch durch den Bundesfinanzhof (BFH) zugelassen wurde, nur statthaft, wenn ein Fall der zulassungsfreien Revision gemäß § 116 FGO vorliegt. Daran fehlt es hier. Die Klägerin hat keinen Revisionsgrund im Sinne dieser Vorschrift dargetan.

1. Soweit das Rechtsmittel auf allgemeine Einwände gegen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils gestützt wird, ist ein Sachbezug zu § 116 FGO von vornherein nicht erkennbar. Das gilt auch, soweit allgemeine Verfahrensverstöße oder die Verletzung rechtlichen Gehörs (vgl. speziell dazu: BFH-Urteil vom 29. November 1985 VI R 13/82, BFHE 145, 125, BStBl II 1986, 187) gerügt werden.

2. Aber auch einen Revisionsgrund i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO hat die Klägerin nicht schlüssig dargetan. Diese Vorschrift setzt in der hier allein in Betracht kommenden Variante voraus, daß bei der angefochtenen Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war. D.h. eine erst nach Erlaß des Urteils geltend gemachte Ablehnung ist grundsätzlich selbst dann unbeachtlich, wenn dem Betroffenen der Ablehnungsgrund erst nachträglich bekannt wurde (vgl. zur Parallelbestimmung in der Verwaltungsgerichtsordnung: Kopp, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 10. Aufl., 1994, § 138 Rdnr.8 m.w.N.).

3. Unabhängig davon aber hat die Klägerin keinen Ablehnungsgrund i.S. des § 51 FGO i.V.m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung dargetan. Ein hierwegen eingeleitetes Ablehnungsverfahren hätte keinen Erfolg.

Die von der Klägerin geltend gemachten Einwände sind für eine Richterablehnung von vornherein ungeeignet, weil sie bei der gebotenen objektiven und vernünftigen Betrachtungsweise kein richterliches Verhalten zum Gegenstand haben, das Voreingenommenheit, Unsachlichkeit oder gar Willkür erkennen läßt (vgl. dazu näher: Gräber, Kommentar zur Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., 1993, § 51, Rdnr.37 ff, m.w.N.). Sie betreffen vielmehr ein allgemein übliches Verfahren der Terminsvorbereitung und Urteilsfindung. Für die Meinungsbildung in einem Spruchkörper ist es unerläßlich, daß, bevor sich die zuständigen Richter zur Entscheidung zusammenfinden, ein Bericht vorliegt, der den gesamten Sach- und Streitstand wiedergibt und, soweit möglich, auch einen Entscheidungsvorschlag enthält. Das gilt in verstärktem Maße für das Steuerrecht, in dem regelmäßig überaus komplexe Sachverhalte bei häufig schwieriger Beweislage anhand komplizierter Rechtsvorschriften zu beurteilen sind. Ohne derart umfassende schriftliche Vorbereitung könnte der Konzentrationsmaxime, also dem gesetzlichen Gebot, einen Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (§ 79 Abs. 1 Satz 1 FGO; vgl. dazu näher: Gräber, a.a.O., § 79, Rdnr.1 ff., m.w.N.), im Steuerprozeß nicht entsprochen werden. Aus diesem Grunde gehört das von der Klägerin beanstandete Verfahren auch bei der Tatsacheninstanz, den Finanzgerichten, zur allgemeinen Übung. Der vorliegende Fall ist ein anschauliches Beispiel für die unerläßliche Notwendigkeit solcher Vorbereitungsarbeit.

Daß solche Berichte vielfach --wie auch hier-- im "Urteilsstil" verfaßt werden, ist nicht nur ein Gebot rationeller Arbeitsweise, weil damit zugleich die Basis für die spätere Urteilsbegründung erarbeitet wird, es dient auch der Selbstkontrolle, weil auf diese Weise die Entscheidungserheblichkeit einzelner Punkte und die Entscheidungsreife des Falles für alle zur Entscheidung berufenen Richter besonders deutlich werden.

Eine solche Art der Vorbereitung für sich allein kann daher vernünftigerweise nicht als Anzeichen richterlicher Voreingenommenheit gewertet werden. Etwas anderes gilt grundsätzlich selbst dann nicht, wenn --was für den Streitfall selbst von der Klägerin nicht behauptet wird-- ein im "Urteilsstil" verfaßter Bericht mit einem Entscheidungsvorschlag endet. Denn auch dies ist typischerweise nur als vorläufige Standortbestimmung zu deuten, die sich infolge anderer oder besserer späterer Erkenntnisse bei der endgültigen Überzeugungsbildung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO; s. Gräber, a.a.O., § 96 Rdnr.7 ff.) als korrekturbedürftig erweisen kann (vgl. i.ü. auch Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. März 1959 1 BvR 53/56, BVerfGE 9, 213, 215).

Unter diesen Umständen kann schließlich auch aus Art und Umfang der Änderungen, die eine auf der Grundlage eines Berichts der zuvor genannten Art erarbeitete Urteilsbegründung aufweist, grundsätzlich nicht auf eine vorgefaßte Meinung der Richter zurückgeschlossen, sondern, für sich allein gesehen, nur hergeleitet werden, inwieweit sich gegenüber ersten früheren und vorläufigen Erkenntnissen später zum Zeitpunkt des Urteilsspruchs endgültig etwas geändert hat.

Die Klägerin hat, substantiiert und schlüssig jedenfalls, nichts dargetan, was --die Richtigkeit ihres Vorbringens unterstellt-- Anlaß zu Zweifeln daran bieten könnte, daß sich die Richter, die das angefochtene Urteil fällten, hierbei von anderen als rein sachlichen Gesichtspunkten leiten ließen. Bei dieser Würdigung des Revisionsvorbringens kam es wie gesagt auf die Einwände gegen die Richtigkeit der Vorentscheidung nicht an (s. auch o. zu 1) und war auch ein Verfahren der im BFH-Beschluß vom 30. November 1981 GrS 1/80 (BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217; vgl. auch BFH-Beschluß vom 27. Juli 1992 VIII B 100/91, BFH/NV 1993, 113) vorgesehenen Art von vornherein ausgeschlossen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65557

BFH/NV 1995, 76

BStBl II 1995, 604

BFHE 177, 344

BFHE 1996, 344

BB 1995, 1629

BB 1995, 1629-1630 (LT)

DB 1995, 1796 (LT)

DStZ 1995, 736 (L)

HFR 1995, 727-728 (LT)

StE 1995, 499-500 (K)

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