Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Beschwer für eine Klage gegen einen Änderungsbescheid, in dem nur verfassungsrechtlich umstrittene Besteuerungsgrundlagen für vorläufig erklärt worden sind

 

Leitsatz (NV)

Ändert das FA einen angefochtenen Einkommensteuerbescheid, indem es die Einkommensteuer hinsichtlich der umstrittenen Besteuerungsgrundlagen für vorläufig erklärt, fehlt einer Klage gegen den Änderungsbescheid die Beschwer, wenn die Steuer nur insoweit vorläufig festgesetzt wird, als Musterverfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig sind, in denen darum gestritten wird, ob bestimmte Steuerfreibeträge in verfassungswidriger Weise zu niedrig sind oder ob die Nichtabziehbarkeit oder die beschränkte Abziehbarkeit bestimmter Aufwendungen verfassungsrechtlichen Grundsätzen widerspricht.

 

Normenkette

FGO § 40 Abs. 2

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) machten mit der Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1986 geltend, der Grundfreibetrag, die Kinderfreibeträge sowie der Ausbildungsfreibetrag seien verfassungswidrig.

Während des Klageverfahrens änderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1986 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 132 der Abgabenordnung (AO 1977) und verminderte die gewerblichen Verluste. Außerdem setzte das FA im Hinblick auf "anhängige Verfassungsbeschwerden bzw. andere gerichtliche Verfahren" die Einkommensteuer hinsichtlich der verfassungsrechtlich umstrittenen Besteuerungsgrundlagen vorläufig fest.

Die Kläger machten den Änderungsbescheid nicht zum Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens (§ 68 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --), sondern erhoben dagegen Einspruch, den das FA als unbegründet zurückwies. Die dagegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) als unzulässig ab.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Zu Recht hat das FG die Klage gegen den Änderungsbescheid als unzulässig abgewiesen.

Nach § 40 Abs. 2 FGO ist eine Klage gegen einen Verwaltungsakt nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, in seinen Rechten verletzt zu sein. Eine zu Unrecht vorgenommene (teilweise) vorläufige Steuerfestsetzung kann grundsätzlich die Rechte des Steuerpflichtigen verletzen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 25. Oktober 1989 X R 109/87, BFHE 159, 128, BStBl II 1990, 278; vom 26. September 1990 II R 99/88, BFHE 161, 489, BStBl II 1990, 1043; vom 10. August 1994 II R 103/93, BFHE 175, 288, BStBl II 1994, 951). Denn der Vorläufigkeitsvermerk schränkt die Verbindlichkeit und Endgültigkeit der Steuerfestsetzung ein. Daher muß der Steuerpflichtige im Regelfall damit rechnen, daß bei der endgültigen Festsetzung die Steuer höher festgesetzt wird als im vorläufigen Bescheid. Insoweit ist er beschwert.

Anders ist es jedoch, wenn das FA die Steuer nur insoweit vorläufig festsetzt, als Musterverfahren beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) oder BFH anhängig sind, in denen darum gestritten wird, ob bestimmte Steuerfreibeträge in verfassungswidriger Weise zu niedrig sind oder ob die Nichtabziehbarkeit oder beschränkte Abziehbarkeit bestimmter Aufwendungen verfassungsrechtlichen Grundsätzen widerspricht. In diesen Fällen liegt den angefochtenen Steuerbescheiden das geltende Recht zugrunde. Weder das FA noch das FG dürfen dem Steuerpflichtigen höhere Abzugsbeträge als im Gesetz vorgesehen zusprechen. Soweit die gesetzliche Regelung verfassungswidrig ist, kann dies nur das BVerfG feststellen und dem Gesetzgeber eine gesetzliche Neuregelung aufgeben.

Durch die vorläufige Festsetzung wird der Steuerbescheid hinsichtlich der verfassungsrechtlich umstrittenen Besteuerungsgrundlagen nicht bestandskräftig, so daß er bei einer künftigen gesetzlichen Neuregelung aufgrund der Entscheidung des BVerfG insoweit geändert werden darf. Hält das BVerfG die bestehende gesetzliche Regelung für verfassungsgemäß, bleibt es bei der bisherigen Festsetzung. Der Vorläufigkeitsvermerk kann sich somit nur zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken.

Der von den Klägern zitierte BFH-Beschluß vom 18. September 1992 III B 43/92 (BFHE 169, 110, BStBl II 1993, 123) steht dem nicht entgegen. Der BFH hatte in dieser Entscheidung nicht darüber zu befinden, ob der mit dem Vorläufigkeitsvermerk versehene Änderungsbescheid rechtmäßig war, sondern darüber, ob das Rechtsschutzinteresse für die Klage gegen den Erstbescheid dadurch entfallen war, daß das FA durch Änderungsbescheid, der auf Antrag der Kläger zum Gegenstand des Verfahrens geworden war, die angefochtene Steuerfestsetzung für vorläufig erklärt hatte. Im Streitfall haben die Kläger dagegen keinen Antrag nach § 68 FGO gestellt, sondern den Änderungsbescheid angefochten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420756

BFH/NV 1995, 1003

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