Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Beiladung eines Dritten nach § 174 Abs. 5 AO 1977; Rüge der nicht ordnungsgemäßen Besetzung

 

Leitsatz (NV)

1. Macht der Kläger nach einer Betriebsübernahme geltend, ein Betriebsaufgabegewinn sei nicht bei ihm, sondern bei seinen Eltern entstanden, können diese auf Antrag des FA gemäß § 174 Abs. 5 AO 1977 beigeladen werden.

2. Hat das FG in einem solchen Fall die Beiladung der Eltern auf § 60 Abs. 1 FGO gestützt, kann der BFH auf Beschwerde des FA klarstellen, daß die Beigeladenen die Stellung von Beteiligten i. S. des § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 haben.

 

Normenkette

AO 1977 § 174 Abs. 4-5; FGO § 60 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger, von Beruf Steuerberater, erwarb durch notariellen Vertrag vom 14. Januar 1983 von seinen Eltern, den Beigeladenen und Beschwerdeführern (Beigeladene), im Wege der vorweggenommenen Erbfolge einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb. Das zum Hof gehörende Wohnhaus baute der Kläger im Jahr 1983 in ein Zweifamilienhaus um, außerdem verpachtete er ab 2. Januar 1983 die gesamten landwirtschaftlichen Flächen. Mit Schreiben vom 7. Oktober 1983 teilte er dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) mit, bereits seine Eltern hätten den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb aufgegeben, der zwischen ihnen abgeschlossene Vertrag vom 20. März 1982, mit dem er, der Kläger, den Hof von seinem Vater gepachtet habe, sei zum 31. Dezember 1982 aufgelöst worden, da die Fortführung des Hofes nicht mehr wirtschaftlich vertretbar gewesen sei.

Bei einer Betriebsprüfung bei den Eltern des Klägers gelangte das FA zu der Auffassung, der Betrieb sei als ein noch lebender Betrieb auf den Kläger übergegangen und erst von diesem infolge der tatsächlichen Veränderungen im Jahr 1983 aufgegeben worden. Das FA setzte entsprechend den ermittelten Aufgabegewinn in Höhe von ... DM beim Kläger im Streitjahr 1983 an, mit der Folge, daß für das Streitjahr 1981 ein Verlustrücktrag von ... DM entfiel. Den Einspruch der Kläger für das Jahr 1983 wies das FA als unbegründet zurück, während es den Einspruch für das Jahr 1981 nicht beschied.

Mit der Klage machten die Kläger geltend, die Betriebsaufgabe sei, wenn überhaupt, durch die Eltern des Klägers erfolgt. Sein Vater habe bereits am 1. Dezember 1981 einen Antrag auf vorzeitiges Altersruhegeld gestellt. Da dessen Bewilligung von der Aufgabe der landwirtschaftlichen Tätigkeit abhängig sei, habe er, der Kläger, den Betrieb "pro forma" vom 15. März 1982 an gepachtet und dabei auch bestehende Pachtverträge übernommen. Die hinzugepachteten Flächen seien zum 1. November 1982 an die Eigentümer zurückgegeben worden. Das Eigenland sei gleichzeitig an einen anderen Landwirt verpachtet worden. Den mit seinen Eltern abgeschlossenen Pachtvertrag habe er zum 31. Dezember 1982 aus beruflichen Gründen wieder aufgelöst. Um eine Versorgung seiner Eltern zu gewährleisten, habe er dann am 14. Januar 1983 den notariellen Übernahmevertrag geschlossen. Noch im Januar 1983 hätten die Eltern dem FA handschriftlich die gesundheitsbedingte Aufgabe ihres Betriebes zum 31. Dezember 1982 angezeigt.

Dem hielt das FA entgegen, die Eltern des Klägers hätten den Betrieb weder durch ausdrückliche noch durch konkludente Erklärung aufgegeben. Bereits seit Jahren hätten diese ihren Betrieb nicht mehr selbst bewirtschaftet, sondern als Stückländerei verpachtet gehabt und dadurch Einkünfte aus Land-und Forstwirtschaft erzielt. Unerheblich sei, daß der Hofvermerk im November 1982 gelöscht worden sei. Der Kläger habe den -- verpachteten -- Betrieb zunächst weitergeführt und dann durch die Umgestaltung der Gebäude zu Privatzwecken konkludent aufgegeben.

Auf den Antrag des FA hin hat das Finanzgericht (FG) die Eltern des Klägers zum Verfahren beigeladen, weil ihnen im Fall der Klagestattgabe ein entsprechender Betriebsaufgabegewinn zuzurechnen sein könnte.

Mit der Beschwerde bringen die Eltern, die Beigeladenen, vor, bei einer ordnungsgemäßen Betriebsprüfung hätte das FA die Fakten schon damals prüfen und erkennen können. Es versuche, durch den gestellten Antrag sich im Nachhinein ein Hinterstübchen offen zu halten. Im übrigen sei zu prüfen, ob bei den Beigeladenen die Festsetzungsfristen abgelaufen seien.

Das FA trägt vor, der Antrag auf Beiladung sei gemäß § 174 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) für den Fall erforderlich gewesen, daß die Klage der Kläger Erfolg habe, damit eine zutreffende Besteuerung der Betriebsaufgabe gewährleistet sei. Der Beiladung stehe auch nicht der Ablauf der Festsetzungsfristen entgegen. Am 16. Dezember 1987, als der angefochtene Einkommensteuerbescheid 1983 erlassen worden sei, sei die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1982 der Beigeladenen noch nicht abgelaufen gewesen. Entsprechend § 174 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 sei daher dessen Änderung noch innerhalb eines Jahres nach einer Aufhebung des angefochtenen Bescheids möglich. Der Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10. Juni 1988 IX B 102/87 (BFH/NV 1989, 15) sei nicht einschlägig.

Das FG hat der Beschwerde nicht abge holfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Soweit die Beschwerde für den Beigeladenen zu 1 eingelegt worden ist, wird sie mangels Vollmacht des Prozeßvertreters (§ 62 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) als unzulässig verworfen.

2. Die Beschwerde der Beigeladenen zu 2 ist unbegründet. Dabei stellt der erkennende Senat klar, daß die Beiladung gemäß § 174 Abs. 5 AO 1977 erfolgt ist.§

174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 enthält einen selbständigen Beiladungsgrund; danach ist eine Beiladung unabhängig davon zulässig, ob auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 60 FGO erfüllt sind. Erforderlich für eine Beiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 ist lediglich, daß ein Steuerbescheid möglicherweise wegen irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts aufzuheben oder zu ändern ist und hieraus rechtliche Folgerungen bei einem Dritten zu ziehen sind (BFH-Beschlüsse vom 19. Mai 1981 VIII B 90/79, BFHE 133, 348, BStBl II 1981, 633; vom 25. August 1987 IX R 98/82, BFHE 151, 506, BStBl II 1988, 344, und vom 17. Oktober 1985 IV B 62/85, BFH/NV 1987, 479) und daß das FA die Beiladung des Dritten beantragt oder veranlaßt hat (BFH-Beschluß vom 27. Januar 1982 VII B 141/81, BFHE 134, 537, BStBl II 1982, 239). Denn die Möglichkeit zur Korrektur von Steuerbescheiden wegen irriger Beurteilung von bestimmten Sachverhalten besteht nicht nur gegenüber dem Steuerpflichtigen, aufgrund dessen Antrag der ursprünglich ergangene Steuerbescheid aufgehoben oder geändert wird, sondern gemäß § 174 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 auch gegenüber Dritten. Um dies zu gewährleisten, kann das FA die Beiladung dieses Dritten in dem gegen den ursprünglich ergangenen Bescheid angestrengten Klageverfahren beantragen.

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Auch wenn das FA seinen Antrag auf Beiladung ausdrücklich auf § 60 FGO gestützt hat, so zielte er auf eine Beiladung der Eltern des Klägers nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977, um die Möglichkeit ihrer späteren Inanspruchnahme für den Fall zu sichern, daß die Klage Erfolg hätte. Zudem hat das FA die Zurückverweisung der Beschwerde ausdrücklich mit der Möglichkeit der Beiladung nach § 174 Abs. 5 AO 1977 begründet. Im Hinblick darauf stellt der erkennende Senat klar, daß die Beigeladenen die Stellung von Beteiligten i. S. des § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 und nicht bloß einfach Beigeladenen i. S. von § 60 Abs. 1 FGO haben (vgl. BFH-Beschluß in BFHE 151, 506, BStBl II 1988, 344 sowie Senatsbeschluß vom 12. Oktober 1993 IV B 123/91, BFH/NV 1994, 681).

Im Ergebnis zutreffend hat das FG die Eltern des Klägers zum Klageverfahren beigeladen. Es hat zu Recht ausgeführt, daß ihnen ein entsprechender Betriebsaufgabegewinn zugerechnet werden könnte, wenn der Klage stattgegeben werden sollte. Damit hat das FG auch die Voraussetzungen für eine Beiladung nach § 174 Abs. 5 i. V. m. § 174 Abs. 4 AO 1977 bejaht. Denn wenn der Kläger mit seiner Begründung durchdringt, nicht er, sondern seine Eltern hätten den Betrieb bereits aufgegeben, so läge eine irrige Sachverhaltsbeurteilung vor. Der Beiladung steht auch nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen; vielmehr dient die Beiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 allein der frühzeitigen Beteiligung aller Betroffenen und damit der richtigen Besteuerung (Senatsbeschlüsse vom 6. Dezember 1979 IV B 56/79, BFHE 130, 1, BStBl II 1980, 314, und vom 12. Oktober 1993 IV B 123/91, NV). Die sonstigen formellen und materiellen Voraussetzungen für einen Änderungsbescheid sind indes keine Beiladungserfordernisse und erst bei Erlaß des Änderungsbescheides zu berücksichtigen (BFH-Beschlüsse in BFHE 133, 348, BStBl II 1981, 633; vom 31. Mai 1991 X B 221/90, BFH/NV 1991, 724 sowie Senatsbeschluß IV B 123/91, NV).

Zu Recht macht das FA darauf aufmerksam, daß im Streitfall ein denkbarer Ablauf der Festsetzungsfrist bei der Einkommensteuer 1982 der Beigeladenen gemäß § 174 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 unbeachtlich wäre, da im Zeitpunkt des Erlasses des gegen die Kläger ergangenen Einkommensteuerbescheides 1983 jedenfalls die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1982 der Beigeladenen noch nicht verstrichen war (§ 170 Abs. 2 Nr. 1, § 169 Abs. 2 Nr. 2 und § 171 Abs. 4 AO 1977).

Daß das FG außerdem unter Hinweis auf § 60 Abs. 1 FGO ausgeführt hat, die rechtlichen Interessen der Beigeladenen seien berührt, ist unerheblich (vgl. Senatsbeschluß in BFHE 130, 1, BStBl II 1980, 314).

Die Kostenentscheidung ergibt sich hinsichtlich der Beigeladenen zu 2 aus § 135 Abs. 2 FGO; im übrigen hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens der vollmachtlose Vertreter des Beigeladenen zu 1 zu tragen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 135 Anm. 4 m. w. N.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 419959

BFH/NV 1995, 87

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