Entscheidungsstichwort (Thema)

Übergehen eines Beweisantrags als Verfahrensfehler

 

Leitsatz (NV)

Das Finanzgericht darf einen Antrag auf Vernehmung von Zeugen über die Behauptung, daß der Kläger die abgerechneten und zur Grundlage des (vom Finanzamt nicht berücksichtigten) Vorsteuerabzugs gemachten Goldlieferungen erhalten habe, nicht dadurch übergehen, daß es nur eine Mindestmenge an Goldlieferungen an den Kläger als wahr unterstellt.

 

Normenkette

FGO § 76 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) lehnte es ab, bei den Umsatzsteuerfestsetzungen für 1980 bis 1982 gegen die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) weitere Vorsteuerbeträge von insgesamt ... DM (für 1980), ... DM (für 1981) und ... DM (für 1982), davon insgesamt ... DM aus Rechnungen von X über Lieferungen von Schmuck, Zahngold, Altgold und Bruchgold zu berücksichtigen.

Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wurde vom Finanzgericht (FG) abgewiesen, weil die Klägerin nicht hatte beweisen können, daß den Rechnungen, aus denen sie den Vorsteuerabzug geltend gemacht hatte, die berechneten Lieferungen zugrunde lagen. Das FG stützte seine Überzeugung, daß den Rechnungen des 1985 verstorbenen X nicht die berechneten Lieferungen zugrunde lagen, auf das entsprechende von X im Strafverfahren vor dem Landgericht wegen Steuerhinterziehung abgelegte und im Strafurteil festgestellte Geständnis. Dieses Geständnis hielt das FG für glaubhaft, weil der vermögenslose und verschuldete X mit den Scheinrechnungen seine Spielschulden bei dem damaligen Geschäftsführer der Klägerin (Y) habe bezahlen wollen und weil sein Strafverteidiger schriftlich gegenüber dem FA A bestätigt habe, daß die bezeichneten Lieferungen an die Klägerin nicht stattgefunden hätten. Daß X nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe wegen Steuerhinterziehung sein gericht liches Geständnis habe zurückziehen wollen -- so führte das FG weiter aus -- sei nachvollziehbar, weil er mit seinen früheren Geschäftspartnern und Komplizen wieder ein gewisses Einvernehmen habe erzielen wollen. Offiziell habe er sein gerichtliches Geständnis und seine Mitteilung durch seinen Strafverteidiger nicht widerrufen. Die von der Klägerin für die Lieferungen benannten Zeugen Y, B und C seien in die unsauberen Geschäfte der Klägerin verwickelt gewesen und hätten bei ihren Aussagen in der mündlichen Verhandlung gelogen. Es seien substantiierte Einwendungen gegen die strafgerichtlichen Feststellungen nicht vorgetragen und rechtserhebliche Beweisanträge nicht gestellt worden. Die im Hilfsbeweisantrag der Kläger benannten Zeugen (Frau Y, D, E, F, G, H, J und K) seien nicht vernommen worden, weil sie nur für Geschäftskontakte des X mit Y, aber nicht für einzelne Goldlieferungen benannt worden seien. Was die Klägerin mit der Vernehmung dieser Zeugen an Tatsachen habe beweisen wollen, sei als wahr unterstellt worden. X sei in der Lage gewesen, Schmuck und Altgold in kleinen Mengen, maximal im Wert von ... DM, zu liefern. Über diese Lieferungen lägen aber keine Rechnungen vor.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 15 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 und Verfahrensfehler durch Nichtbescheidung des Antrags auf Beeidigung des Zeugen B und durch Nichtvernehmung der Zeugen Frau Y, D, E, F, G, H, J und K. Zur Begründung macht die Klägerin geltend, sie habe in der mündlichen Verhandlung vom 2. April 1990 Vernehmung der bezeichneten Zeugen zu der Frage beantragt, ob X die Goldlieferungen an sie, die Klägerin, ausgeführt habe. Darüber habe das FG nicht entschieden und die unter Beweis gestellte Tatsache auch nicht als wahr unterstellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil das FG den Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt und dadurch gegen § 76 FGO verstoßen hat.

a) Dies hat die Klägerin ordnungsgemäß durch die Bezugnahme auf die Begründung ihrer erfolgreichen Nichtzulassungsbeschwerde gerügt (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO), weil diese eine eingehende Bezeichnung der Tatsachen enthält (vgl. zur ordnungsgemäßen Rüge der unterlassenen Beweiserhebung: Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 4. März 1992 II B 201/91 (BFHE 166, 574, BStBl II 1992, 562). Sie ergeben den Verfahrensfehler (vgl. zur Begründung des Verfahrensmangels durch Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde: BFH-Urteil vom 18. März 1981 I R 102/77, BFHE 133, 247, BStBl II 1981, 578 unter 1; Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 120 FGO, Tz. 55; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 120 Anm. 35 m. w. N.).

b) Das FG hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt verfahrensfehlerhaft nicht vollständig aufgeklärt und damit gegen § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Vorentscheidung bei vollständiger Sachverhaltsaufklärung ganz oder teilweise zugunsten der Klägerin ausgefallen wäre.

Das FG durfte den Antrag nicht übergehen, die Zeugen Frau Y, D, E, F, G, H, J und K über die Behauptung zu vernehmen, daß X die abgerechneten und zur Grundlage des Vorsteuerabzugs gemachten Goldlieferungen an die Klägerin ausgeführt habe. Dieser Beweisantrag war hinreichend substantiiert (vgl. dazu BFH-Urteil vom 26. Februar 1985 VII R 137/81, BFH/NV 1986, 136) und für die Entscheidung bedeutsam, so daß das FG die Zeugen nach pflichtgemäßem Ermessen vernehmen mußte (§ 82 FGO i. V. m. § 373 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --).

Die Klägerin hat diesen Antrag ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 2. April 1990 gestellt. Das FG hat die Beweisaufnahme nicht durchgeführt und den Beweisantrag auch nicht rechtsfehlerfrei abgelehnt. Das FG hätte die beantragte Zeugenvernehmung nicht durchzuführen brauchen, wenn es die unter Beweis gestellten Behauptungen als wahr unterstellt hätte, weil es von der Richtigkeit der behaupteten Tatsachen zugunsten des Beweisantragstellers -- insgesamt (vgl. dazu Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, Kommentar, 52. Aufl., § 286 Rz. 30) -- überzeugt gewesen wäre (vgl. dazu Tipke/Kruse, a.a.O., § 81 FGO Tz. 8 mit Rechtsprechungsnachweisen). Dies war jedoch nicht der Fall.

Das FG hat durch Wahrunterstellung einen Beweisantrag beschieden, der so nicht gestellt war. Die bezeichneten Zeugen sollten nicht nur über Geschäftskontakte von X zu Y aussagen. Damit wird die Wahrunterstellung des FG, nach der X maximal für ... DM Gold an die Klägerin geliefert habe, der beantragten Sachverhaltsaufklärung nicht gerecht.

Die unterlassene Beweiserhebung kann für den Ausgang des Rechtsstreits erheblich sein. Werden die Behauptungen der Klägerin durch die Zeugen bestätigt, kommt es auf deren Glaubwürdigkeit an. Im Rahmen der Würdigung des gesamten Verfahrens (§ 96 Abs. 1 FGO) muß das FG dann entscheiden, ob in den vorliegenden Rechnungen die berechneten Lieferungen nicht zutreffend beurkundet sind bzw. ob etwa wirklich ausgeführte Lieferungen nicht durch die vorliegenden Rechnungen belegt werden.

c) Unerheblich ist, ob ein weiterer Verfahrensfehler durch die unterlassene Beeidigung des Zeugen B vorliegt.

 

Fundstellen

BFH/NV 1995, 314

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