Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei mangelhafter Postausgangskontrolle durch den Vorsteher des FA

 

Leitsatz (NV)

Versäumt das FA die Frist für die Begründung der Revision, dann kann ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden, wenn durch organisatorische Maßnahmen eine zuverlässige Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftstücke nicht gewährleistet ist (Organisationsmangel).

 

Normenkette

FGO §§ 56, 120

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) - einer KG - wegen Gewinnfeststellung 1984 stattgegeben und die Revision zugelassen. Das Urteil wurde dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) am 18. Juli 1991 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 13. August 1991 - beim FG eingegangen am 15. August 1991 - hat das FA gegen das Urteil des FG Revision eingelegt. Eine Revisionsbegründung ging innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist (§ 120 Abs. 1 S. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -) weder beim FG noch beim BFH ein. Durch Schreiben vom 7. Oktober 1991 - dem FA zugestellt am 11.Oktober 1991 - teilte der Vorsitzende des erkennenden Senats dem FA mit, daß die Frist für die Begründung der Revision am 19. September 1991 abgelaufen sei, die Revisionsbegründung aber bisher nicht vorliege. In dem Schreiben wurde auf die Möglichkeit, wegen der Fristversäumnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen, hingewiesen.

Durch Telekopie vom 21. Oktober 1991 beantragte das FA beim BFH, ihm wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Revisionsbegründung sei rechtzeitig vor Fristablauf am 28. August 1991 abgefaßt worden. Sie sei an das FG adressiert worden, da zu diesem Zeitpunkt das Aktenzeichen der Revision noch nicht bekannt gewesen sei. Der zuständige Sachbearbeiter StAM Z habe die Reinschrift selbst gefertigt; diese sei am 30. August von dem Vertreter i.S. des Art.1 Nr.1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) unterzeichnet worden. Eine Durchschrift des Schriftsatzes vom 28. August 1991 sei als Verfügung an die Kanzlei des FA weitergeleitet worden und dort am 4. September 1991 eingegangen. Die Kanzlei habe entsprechend der handschriftlichen Verfügung des Sachbearbeiters je eine Abschrift der Revisionsschrift und der Revisionsbegründungsschrift für die Oberfinanzdirektion (OFD) . . . gefertigt. Beide Schreiben seien am 6. September 1991 mit Kurzbrief zur Post gegeben worden und beim Empfänger (OFD) eingegangen.

Die Reinschrift der Revisionsbegründung sei unabhängig von diesem Vorgang am 6. September 1991 von StAM Z selbst einkuvertiert und der Poststelle des FA zugeleitet worden. StAM Z habe hierüber folgenden schriftlichen Vermerk gefertigt: ,,Revisionsbegründung ab an . . .FG am 6.9. 1991." Der Schriftsatz sei jedoch, wie eine telefonische Nachfrage am 17. Oktober 1991 ergeben habe, beim FG nicht eingegangen.Im Posteingangsbuch des FG finde sich kein entsprechender Vermerk. Das FA treffe an der Nichteinhaltung der Revisionsbegründungsfrist kein Verschulden, da es die Begründungsschrift rechtzeitig (13 Tage vor Fristablauf) zur Post gegeben habe.

Da das Schreiben bereits versandfertig gewesen sei, existiere kein gesonderter Abgangsvermerk der Poststelle. Es gebe auch keine Anhaltspunkte dafür, daß das Schreiben in der Poststelle liegengeblieben sei. Entsprechende Nachforschungen seien ergebnislos geblieben. Es sei deshalb anzunehmen, daß das Schreiben auf dem Postweg verloren gegangen sei. Das FA habe erst mit Schreiben des BFH vom 7. Oktober 1991 erfahren, daß die Revisionsbegründung den Empfänger nicht erreicht habe. Zur Glaubhaftmachung der antragsbegründenden Tatsachen fügte das FA Telekopien der Abschrift des Schriftsatzes vom 30. August 1991 und des Aktenvermerks von StAM Z über die Absendung dieses Schriftsatzes bei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 120 Abs. 1 FGO begründet worden ist und dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattgegeben werden kann.

Bei Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Revisionskläger ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten (§ 56 FGO). Verschuldet ist die Versäumung, wenn die gebotene und nach den Umständen zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen wurde. Jedes Verschulden - also auch einfache Fahrlässigkeit - schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (BFH-Beschluß vom 1. Oktober 1981 IV R 100/80, BFHE 134, 220, BStBl II 1982, 131).

Die Grundsätze für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gelten in gleicher Weise für das FA wie für den Steuerpflichtigen (BFH-Urteil vom 28. März 1969 III R 2/67, BFHE 96, 85, BStBl II 1969, 548; Beschluß vom 7. Dezember 1982 VIII R 77/79, BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229; BFHE 134, 220, BStBl II 1982, 131). Ebenso wie ein Prozeßbevollmächtigter ist auch der Vorsteher des FA verpflichtet, ein Fristenkontrollbuch zu führen, in dem u.a. die Frist für die Revisionsbegründung zu vermerken ist.

Die Fristnotierung darf frühestens dann gelöscht werden, wenn die Rechtsmittelschrift unterzeichnet und postfertig gemacht worden ist (BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229 m.w.N.; BFH-Beschuß vom 18. Januar 1984 I R 196/83, BFHE 140, 146, BStBl II 1984, 441). Die Erledigung des fristwahrenden Schriftsatzes muß bis zu seiner Absendung (Ausgangskontrolle) überwacht werden (Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 31. Mai 1976 VII ZB 8/76, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1977, 98).

Die mit der Versendung der Post beauftragte Poststelle kann diese Kontrolle nicht selbst, z.B. durch Vermerk in einem Postausgangsbuch, vornehmen, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, daß ein zur Versendung bestimmtes Schriftstück sie gar nicht erreicht hat. Die Ausgangskontrolle muß deshalb einer Person übertragen sein, die den gesamten Vorgang überwacht, z.B. derjenigen Person, die den Fristenkalender führt oder die den Vorgang bearbeitet hat (BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229; BFH-Beschluß vom 9. April 1987 V B 111/86, BFHE 149, 146, BStBl II 1987, 441).

Die vom FA zur Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs vorgetragenen Tatsachen lassen nicht den Schluß zu, daß es die Frist für die Begründung der Revision unverschuldet versäumt hat. Es ist nicht erkennbar, daß durch organisatorische Vorkehrungen beim FA eine zuverlässige Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftstücke gewährleistet war. Ein Postausgangsbuch wurde offensichtlich nicht geführt. Das FA hat zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs lediglich vorgetragen, der zuständige Sachbearbeiter habe die von ihm selbst gefertigte und vom Sachgebietsleiter unterschriebene Reinschrift der Revisionsbegründung kuvertiert und anschließend (13 Tage vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist) der Poststelle des FA zugeleitet. Mit diesem Vortrag ist die rechtzeitige Einlieferung der Revisionsbegründung bei der Post nicht dargetan. Auch der Abgangsvermerk des Sachbearbeiters vom 6. September 1991 reicht hierfür nicht aus. Aus dem Vorbringen des FA ergibt sich, daß mit dem Abgangsvermerk vom 6. September 1991 nicht das Datum der Aufgabe zur Post, sondern nur der Tag der Weitergabe an die Poststelle des FA durch den Sachbearbeiter vermerkt wurde. Damit ist nicht glaubhaft gemacht, daß der Schriftsatz tatsächlich am selben Tag zur Post aufgegeben wurde; denn es ist nicht auszuschließen, daß das Schriftstück auf dem Weg zur Poststelle fehlgeleitet oder von letzterer versehentlich nicht abgeschickt wurde. Im übrigen muß, wenn eine Ausgangskontrolle von Fristensachen durch Ausgangsvermerk im Postausgangsbuch oder Fristenkontrollbuch nicht vorgesehen ist, die mit der Absendung beauftragte Poststelle zumindest auf die Frist und die besondere Wichtigkeit des Schriftstücks hingewiesen werden (ständige Rechtsprechung vgl. z.B. BFHE 137, 220, BStBl II 1982, 131; BFHE 149, 146, BStBl II 1987, 441; Beschluß vom 12. Februar 1992 XI R 19/91, BFH/NV 1992, 534 m.w.N.). Daß dies im vorliegenden Fall geschehen sei, hat das FA nicht vorgetragen. Die Fristversäumung kann deshalb nicht als unverschuldet angesehen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419036

BFH/NV 1993, 614

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