Leitsatz (amtlich)

Eine GmbH, die als sog. Zwischenmieter von sog. Bauherren eingeschaltet worden ist, kann im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 114 Abs.1 Satz 1 FGO dem für die Umsatzbesteuerung zuständigen Wohnsitzfinanzamt der Bauherren (bis auf weiteres) untersagen lassen, den Bauherren gegenüber zu behaupten, wegen ihrer (der GmbH) mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sei das Mietausfallrisiko nicht auf sie (die GmbH) übergegangen, sondern bei den Bauherren verblieben.

 

Orientierungssatz

1. Die dem § 935 ZPO nachgebildete Vorschrift des § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO dient dazu --einstweilig-- die Veränderung eines bestehenden Zustands zu verhindern. Die dem § 940 ZPO nachgebildete Vorschrift des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO dient demgegenüber als Grundlage für die Regelung eines einstweiligen Zustands zur Sicherung des Rechtsfriedens bis zur Entscheidung des streitigen Rechtsverhältnisses (vgl. BFH-Rechtsprechung).

2. Gegen rufgefährdende, den Besteuerungszweck nicht mehr gedeckte Mitteilungen des Finanzamts an Dritte ist eine sogenannte Leistungsklage --in Gestalt einer vorbeugenden Unterlassungsklage-- zulässig.

 

Normenkette

FGO § 114 Abs. 1 Sätze 1-2; AO 1977 § 30 Abs. 4 Nr. 1; FGO § 40 Abs. 2; ZPO §§ 935, 940

 

Tatbestand

I. Beschwerdeführerin ist eine 1980 gegründete GmbH. Ihr Stammkapital betrug 30 000 DM. Nach dem Handelsregistereintrag vom ... 1985 wurde das Stammkapital auf 100 000 DM erhöht. Ausweislich des Handelsregisters war Gegenstand des Unternehmens der Beschwerdeführerin u.a. die Vorbereitung und Durchführung von Bauvorhaben in eigenem Namen für eigene und fremde Rechnung, die wirtschaftliche Vorbereitung und Durchführung von Bauvorhaben als Baubetreuer im fremden Namen für fremde Rechnung, die Übernahme von Mietgarantien sowie Verwaltung von eigenen und fremden Immobilien und die Durchführung von Anlageberatung.

Im Zusammenhang mit einem Bauvorhaben schloß die Beschwerdeführerin mit sogenannten Bauherren, die an diesem Objekt beteiligt waren, sogenannte Zwischenmietverträge ab. Eine Außenprüfung führte zur Auffassung des für die Beschwerdeführerin zuständigen Finanzamts, daß die Zwischenmietverträge als Geschäftsbesorgungsverträge anzusehen seien, weil u.a. das Mietausfallrisiko wegen mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Zwischenmieters beim Eigentümer verbleibe. Die Wohnsitzfinanzämter der Bauherren (im folgenden: Wohnungseigentümer) wurden hiervon durch das Prüfungs-Finanzamt unterrichtet.

Bei der Umsatzsteuerfestsetzung (1981 bis 1983) gegen einen der am Bauvorhaben beteiligten Wohnungseigentümer lehnte der Beschwerdegegner als zuständiges Wohnsitzfinanzamt (Finanzamt) die Anerkennung des Zwischenmietverhältnisses ab. Zur Begründung verwies das Finanzamt auf Auszüge aus der Prüfungs-Mitteilung, die als Anlage in Kopien dem Steuerbescheid beigefügt waren. Die Mitteilungen hatten den Inhalt, daß der Zwischenmietvertrag als Geschäftsbesorgungsvertrag einzustufen sei, weil u.a. "das Mietausfallrisiko wegen der mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Zwischenmieters (vgl. BFH vom 29.November 1984 V R 38/78, BStBl II 1985, S.269 ff.) beim Eigentümer verbleibt (vgl. Anlage 1)". In der Anlage 1 war dazu unter anderem ausgeführt:

"Wirtschaftliche Lage

Grundsätzlich ist anzumerken, daß für die Einschaltung eines gewerblichen Zwischenmieters oftmals die Gewährung einer garantierten Miete entscheidend ist. Eine garantierte Miete ergibt sich hier aus der konkreten Gestaltung des Mietvertrags. Die überlassung eines Vermögensobjektes an eine mit nur 30 000 DM Stammkapital ausgestattete GmbH ohne weitere Absicherung, die diese GmbH bei ihrer Kapitalausstattung ohnehin nicht zu gewähren vermag, widerspricht den Grundsätzen kaufmännischer Vernunft und Übung.

Bisher konnte nicht dargelegt werden, aus welchem Grund die GmbH ein potenter Mieter sei, obwohl die Kapitalausstattung der GmbH zu Zweifeln Anlaß bietet. Die begründeten Zweifel wurden bisher nicht ausgeräumt. Nicht entscheidend ist, daß die Miete gezahlt wurde. Der Abschluß eines Mietvertrags mit einem Zwischenmieter, der nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen keine Gewähr für einen sicheren Mietzinseingang beim Eigentümer geben kann, ist bei Anlegung allgemein gültiger Maßstäbe nicht zu rechtfertigen (vgl. BFH vom 29.November 1984 --V R 38/78-- BStBl II 1985, S.269 ff.)."

Hiergegen beantragte die Beschwerdeführerin bei Gericht, dem Finanzamt im Weg der einstweiligen Anordnung aufzugeben, im Zusammenhang mit ihr nicht mehr zu behaupten, wegen mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit sei das Mietausfallrisiko nicht auf sie übergegangen.

Das Finanzgericht hat den Antrag als unbegründet abgewiesen.

Mit der Beschwerde trägt die Beschwerdeführerin weiterhin vor, die Mitteilung des (Wohnsitz-)Finanzamts an einzelne Wohnungseigentümer, die Zwischenvermietungsgesellschaft biete wegen mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit keine Gewähr für einen sicheren Mietzinseingang beim Eigentümer, sei eine Verletzung des Steuergeheimnisses. Das Finanzamt habe Kenntnisse aus einem (anderen) Verwaltungsverfahren an Dritte weitergegeben. Die Darstellung des Finanzamts sei nicht nur falsch --sie (die Beschwerdeführerin) habe stets die Mieten bezahlt, was das Finanzamt auch wisse--. Das Finanzamt habe damit insbesondere das Übermaßverbot verletzt, weil es für die steuerrechtliche Behandlung des Sachverhalts, soweit er für das Steuerrechtsverhältnis zum einzelnen Wohnungseigentümer maßgeblich sei, auf diese Mitteilung nicht ankomme. Die sogenannte "wirtschaftliche Leistungsfähigkeit" könne auch nicht als Tatbestandsmerkmal im Rahmen der steuerrechtlichen Beurteilung von Zwischenmietverhältnissen angesehen werden. Dafür gebe es keinen Rechtsgrund. Die Darstellung des Finanzamts gegenüber den Wohnungseigentümern sei ohne gesetzliche Rechtfertigung hinsichtlich der Kreditwürdigkeit und Geschäftstätigkeit der Beschwerdeführerin rufschädigend.

Ein Anordnungsgrund sei gegeben, weil das Finanzamt ausweislich der Finanzgerichtsentscheidung (Seite 9) nicht bestritten habe, derartige Mitteilungen auch an andere Steuerpflichtige zu versenden.

Die Beschwerdeführerin beantragt, den Beschluß des Finanzgerichts vom 12.Dezember 1985 aufzuheben und dem Finanzamt im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, im Zusammenhang mit der Beschwerdeführerin nicht mehr zu behaupten, wegen mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit sei das Mietausfallrisiko beim Eigentümer verblieben und nicht auf sie übergegangen.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Es trägt im wesentlichen vor: Die Beschwerdeführerin habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Mit der Verwendung des Begriffs der "mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit" der Beschwerdeführerin bei der Besteuerung einzelner Bauherren, die an die Beschwerdeführerin als Zwischenmieter Wohnungen vermieteten, habe das Finanzamt das Steuergeheimnis nicht verletzt. Es handele sich um die nach § 30 Abs.4 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977) zulässige Offenbarung von Verhältnissen eines anderen. Denn aus der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 29.November 1984 V R 38/78, BFHE 142, 519, BStBl II 1985, 269) ergebe sich, daß die Verhältnisse des Zwischenmieters unmittelbar von Bedeutung für die Umsatzbesteuerung des Wohnungseigentümers sein könnten. Die Rechtfertigung der Garantenstellung des Zwischenmieters setze voraus, daß der Wohnungseigentümer den Zwischenmieter nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen als geeignet ansehen dürfe. Der Wohnungseigentümer habe insoweit die Darlegungslast, wenn das Finanzamt Zweifel an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit äußere. Durch die beiden Aussagen

- die Beschwerdeführerin sei nur mit einem Stammkapital von 30 000 DM ausgestattet, und

- weitergehende Absicherungen könne sie aufgrund ihrer Kapitalausstattung nicht geben

habe das Finanzamt die Darlegungslast der Wohnungseigentümer ausgelöst. Eine absolute Aussage über die Bonität der Beschwerdeführerin habe das Finanzamt nicht getroffen. Die Mitteilung an die Wohnungseigentümer sei nur das Resultat einer nach Beweislastregeln vollzogenen Sachverhaltswürdigung. Somit handele es sich um die befugte Offenbarung von Verhältnissen anderer, weil sie der Durchführung eines Verwaltungsverfahrens (gegenüber den Wohnungseigentümern) diene.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist begründet.

Sie führt zur Aufhebung des ablehnenden Beschlusses des Finanzgerichts und zur beantragten einstweiligen Anordnung.

1. Nach § 114 Abs.1 Satz 1 FGO kann auf Antrag das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

Das Finanzgericht hat den Antrag der Beschwerdeführerin zu Recht unter Berufung auf den BFH-Beschluß vom 12.November 1975 I B 73/75 (BFHE 117, 220, BStBl II 1976, 118) als zulässig angesehen, weil hinsichtlich der von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Rechtsverletzung durch rufgefährdende, den Besteuerungszweck nicht mehr gedeckte Mitteilungen des Finanzamts an Dritte als Hauptsacheverfahren eine sogenannte sonstige Leistungsklage (§ 40 Abs.2 FGO) --in Gestalt einer vorbeugenden Unterlassungsklage-- zulässig ist. Im übrigen hat die Beschwerdeführerin in sich schlüssig ein Recht vorgetragen, das durch Maßnahmen des Finanzamts gefährdet erscheine. Ob das behauptete Recht tatsächlich besteht, ist im Hauptsacheverfahren zu klären.

2. Nach Auffassung des Senats ist für das Begehren der Beschwerdeführerin § 114 Abs.1 Satz 1 FGO maßgebend; diese dem § 935 ZPO nachgebildete Vorschrift dient dazu --einstweilig-- die Veränderung eines bestehenden Zustands zu verhindern. Demgegenüber dient die § 940 ZPO nachgebildete Vorschrift des § 114 Abs.1 Satz 2 FGO als Grundlage für die Regelung eines einstweiligen Zustands zur Sicherung des Rechtsfriedens bis zur Entscheidung des streitigen Rechtsverhältnisses (vgl. zur Abgrenzung BFH-Beschlüsse vom 1.April 1982 V B 37/81, BFHE 135, 413, BStBl II 1982, 515; und vom 26.Februar 1975 I B 96/74, BFHE 115, 17, BStBl II 1975, 449).

Der BFH hat zwar bislang Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz gegen rufgefährdende, durch den Besteuerungszweck nicht mehr gedeckte Mitteilungen eines Finanzamts an Dritte oder gegen die vom Finanzamt angekündigte Gewährung von Akteneinsicht oder sonstige Mitteilungen aus dem Inhalt von Steuerakten an Dritte anhand von § 114 Abs.1 Satz 2 FGO geprüft, ohne allerdings eine genauere Abgrenzung zwischen § 114 Abs.1 Satz 1 und Satz 2 FGO vorzunehmen (vgl. BFH-Beschluß in BFHE 117, 220, BStBl II 1976, 118 unter Bezugnahme auf den Beschluß vom 20.November 1969 I B 47/69, BFHE 97, 285, BStBl II 1970, 83). Für die Maßgeblichkeit des § 114 Abs.1 Satz 1 FGO spricht nach Auffassung des Senats, daß die Beschwerdeführerin nicht eine ihr vom Finanzamt versagte Regelung erreichen, sondern die Veränderung eines bestehenden Zustandes verhindern will (ähnlich auch Ziemer, Haarmann, Lohse, Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz.4542; und Gräber, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 114 Anm.9; in diese Richtung geht auch BFH, Beschluß vom 14.Juli 1971 II B 2/71, BFHE 102, 238, BStBl II 1971, 633). Angesichts der gleichartigen Behandlung der beiden Anordnungsfälle in § 114 Abs.1 FGO (vgl. Gräber, a.a.O., § 114 Anm.1 B) braucht der Senat nicht darauf einzugehen, ob er mit der vorliegenden Einordnung von den genannten BFH-Entscheidungen abweicht.

Die Beschwerdeführerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Sie hat vorgetragen, einen durch § 30 AO 1977 gesicherten Anspruch auf Unterlassung dergestalt zu haben, daß das Finanzamt Verhältnisse, die ihm im Rahmen des Besteuerungsverfahrens der Beschwerdeführerin bekanntgeworden seien, nicht unbefugt anderen Personen offenbaren oder verwerten dürfe und daß die Offenbarung dieser Verhältnisse insbesondere nicht nach § 30 Abs.4 Nr.1 AO 1977 zulässig sei, weil sie nicht der Durchführung des Besteuerungsverfahrens bezüglich der jeweiligen Wohnungseigentümer diene. Es gebe keine Rechtsnorm bzw. kein Tatbestandsmerkmal eines umsatzsteuerrechtlichen Tatbestands, der die Mitteilung an Dritte verlange, sie (die Beschwerdeführerin) könne wegen mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit nicht als Zwischenmieter anerkannt werden. Zusätzlich hat die Beschwerdeführerin vorgetragen, Mitteilungen dieses Inhalts an ihre Geschäftspartner --die Wohnungseigentümer-- gingen über das zur Erreichung des Besteuerungszwecks erforderliche hinaus und seien rufschädigend. Diese Rechtsbehauptungen sind hinreichend schlüssig. Sie lassen die geltend gemachte Rechtsposition, deren Gefährdung behauptet wird, als möglich erscheinen. Die Prüfung, ob die behauptete Rechtsposition der Beschwerdeführerin im dargestellten Umfang besteht und ob die Einwendungen des Finanzamts, das sich auf die Befugnis zur Offenbarung nach § 30 Abs.4 AO 1977 beruft, begründet sind, kann erst in einer von der Beschwerdeführerin gegebenenfalls noch zu erhebenden, auf Unterlassung der Mitteilung gerichteten Klage auf sonstige Leistungen (vgl. Gräber, a.a.O., § 40 Anm.5) gegen das Finanzamt erfolgen. Nach § 114 FGO kann nur vorläufiger Rechtsschutz bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren gegenüber irreparablen Maßnahmen der Verwaltungsbehörden gewährt werden.

Die Beschwerdeführerin hat ferner mit dem Vortrag, ausweislich des Beschlusses des Finanzgerichts bestreite das Finanzamt nicht, es sei mit der Wiederholung der umstrittenen Mitteilung an andere Wohnungseigentümer zu rechnen, den Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Der Vortrag rechtfertigt die Annahme, daß die behauptete Rechtsposition der Beschwerdeführerin --Anspruch auf Unterlassung von unbefugter Mitteilung ihrer Verhältnisse an Dritte-- durch beabsichtigte Maßnahmen des Finanzamts gefährdet ist.

Die einstweilige Anordnung ist allerdings ihrem vorläufigen Charakter entsprechend zeitlich insoweit befristet, als die Beschwerdeführerin das bereits angesprochene Hauptsacheverfahren herbeizuführen hat. Erforderlichenfalls hat das Finanzamt beim Finanzgericht einen entsprechenden Antrag zu stellen (§ 114 Abs.3 FGO, § 926 ZPO; vgl. BFHE 97, 285, BStBl II 1970, 83).

 

Fundstellen

Haufe-Index 61196

BStBl II 1987, 30

BFHE 147, 487

BFHE 1987, 487

DB 1987, 520-520 (T)

HFR 1987, 141-141 (ST)

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