Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorläufiger Rechtsschutz gegen ,,negative" Gewinnfeststellungsbescheide

 

Leitsatz (NV)

Hat das Finanzgericht einen Antrag des Stpfl. auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung in bezug auf einen ,,negativen" Gewinnfeststellungsbescheid abgelehnt, so ist auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beschluß des Finanzgerichts aufzuheben und die Sache an das Finanzgericht zurückzuverweisen, damit das Finanzgericht nunmehr prüft, ob die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollziehung des ,,negativen" Gewinnfeststellungsbescheids gegeben sind.

 

Normenkette

FGO §§ 69, 114

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Die Klägerin, Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine im Jahre 1980 gegründete GmbH & Co. KG, erstrebt den Erlaß einer einstweiligen Anordnung, mit der dem Beklagten, Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) aufgegeben werden soll, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache Verluste für die Jahre 1980 und 1981 in bestimmter Höhe festzustellen.

Die Klägerin erwarb 1980 ein zehnsitziges Reiseflugzeug für 2,67 Mio. DM. Im selben Jahr veräußerte sie das Flugzeug an eine aus ihren drei Kommanditisten gebildete Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die es der Klägerin mietweise zur Verfügung stellte. Aus der Vercharterung des Flugzeugs hatte die Klägerin in den Streitjahren 1980 und 1981 Einnahmen von 73 000 DM und 302 000 DM, erwirtschaftete jedoch Verluste von 177 000 DM und 50 000 DM. Die GbR hatte Einnahmen von 19 000 DM und 141 000 DM und erwirtschaftete Verluste von 733 000 DM bzw. 834 000 DM. Ende 1981 übertrugen die Kommanditisten ihre Kommanditanteile auf ihre Ehefrauen; hinsichtlich ihrer GbR-Beteiligungen erklärten sie einen Aufgabegewinn.

Die Klägerin beantragte beim FA, ihre eigenen Verluste und die ihren Gesellschaftern aus dem Sonderbetriebsvermögen in der GbR entstandenen Verluste einheitlich festzustellen. Das FA lehnte dies ab, weil die Klägerin und ihre Gesellschafter bei Erwerb und Nutzung des Flugzeugs nicht in Gewinnerzielungsabsicht tätig geworden seien; es hätten lediglich Steuervorteile aus Verlustzuweisungen erreicht werden sollen. Der Einspruch blieb erfolglos; über die Klage ist noch nicht entschieden.

Die Klägerin beantragte beim FA außerdem, die Verluste im Wege der Aussetzung der Vollziehung vorläufig festzustellen. Der Antrag hatte keinen Erfolg. Die Beschwerde wurde mit dem Hinweis zurückgewiesen, daß vorläufiger Rechtsschutz nur im Wege der einstweiligen Anordnung gewährt werden könne.

Daraufhin beantragte die Klägerin beim Finanzgericht (FG) den Erlaß einer solchen einstweiligen Anordnung. Zur Begründung führte sie aus, daß das Flugzeug durchaus in Gewinnerzielungsabsicht angeschafft worden sei. Sie habe sich wiederholt bemüht, das Flugzeug für den Werksverkehr oder den allgemeinen Flugverkehr zu verchartern. Wegen der wirtschaftlichen Rezession sei ihr dies nicht im gewünschten Umfang gelungen. Private Motive hätten bei der Anschaffung nicht mitgespielt. In der Person eines ihrer Gesellschafter bestehe auch ein besonderer Grund für den Erlaß der einstweiligen Anordnung. Diesem drohe bei Nichtberücksichtigung der Verlustanteile eine hohe Einkommensteuerzahlung. Er müßte diesen Betrag aus seiner Firmengruppe abziehen, die in wirtschaftlichen Schwierigkeiten sei und danach vom Konkurs bedroht würde.

Das FG wies den Antrag als unzulässig zurück, weil für ihn kein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Die Gesellschafter der Klägerin könnten hinsichtlich der auf die strittigen Verlustanteile entfallenden Einkommensteuer Stundung oder Vollstreckungsaufschub beantragen. Gerichtlicher Rechtsschutz könne nicht in Anspruch genommen werden, wenn sich das Ziel auch durch einen Antrag bei der Finanzbehörde erreichen lasse.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung dem FA im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluß des Hauptsacheverfahrens für 1980 einen Verlust von 915 551 DM und für 1981 einen Verlust von 871 597 DM sowie einen Veräußerungsgewinn von 442 980 DM festzustellen.

Das FA widerspricht diesem Antrag.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Das FG konnte den Antrag der Klägerin nicht als unzulässig zurückweisen. Die Klägerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die steuerlichen Wirkungen eines Feststellungsbescheids. Als Mittel vorläufigen Rechtsschutzes sieht die Finanzgerichtsordnung (FGO) die Aussetzung der Vollziehung (§ 69) und die einstweilige Anordnung (§ 114) vor. Das FG mußte entscheiden, welches Rechtsschutzverfahren im Streitfall gegeben ist und ob seine Voraussetzungen erfüllt sind. Es konnte die Klägerin nicht auf die Stundung der Einkommensteuerschuld oder auf Erlangung von Vollstreckungsaufschub verweisen, die andere Voraussetzungen und andere Wirkungen haben als die Regelungen zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.

2. Der Senat ist bisher davon ausgegangen, daß vorläufiger Rechtsschutz gegenüber einem negativen Gewinnfeststellungsbescheid mittels einstweiliger Anordnung gewährt wird (Beschluß vom 10. November 1977 IV B 33-34/76, BFHE 123, 412, BStBl II 1978, 15); der I. und der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) haben sich dem angeschlossen (Beschlüsse vom 17. Oktober 1979 I S 9/78, BFHE 129, 289, BStBl II 1980, 212; vom 12. April 1984 VIII B 136/83, nicht veröffentlicht - NV -).

Nach erneuter rechtlicher Prüfung ist der Senat jedoch zu einem abweichenden Ergebnis gekommen. Er hat die Rechtsfrage daher dem Großen Senat des BFH vorgelegt. Dieser hat durch Beschluß vom 14. April 1987 GrS 2/85 (BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637) in Übereinstimmung mit der Auffassung des erkennenden Senats entschieden, daß vorläufiger Rechtsschutz gegenüber einem negativen Feststellungsbescheid nicht durch Erlaß einer einstweiligen Anordnung, sondern im Wege der Aussetzung der Vollziehung gewährt wird. In der Entscheidungsformel sei in einem solchen Fall auszusprechen, die Vollziehung des angefochtenen Bescheides werde mit der Maßgabe ausgesetzt, daß vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptverfahren von einem Verlust von X DM auszugehen sei, der sich auf die Beteiligten wie folgt verteile: (Angabe der jeweiligen Daten).

3. Die angefochtene Entscheidung konnte dieser geänderten Rechtsprechung nicht Rechnung tragen. Das FG hat das Begehren der Klägerin als Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung behandelt und hierüber durch Beschluß entschieden. Der Antrag der Klägerin kann aufgrund der geänderten Rechtsprechung trotz der abweichenden Bezeichnung wegen seines sachlichen Inhalts als Antrag auf Aussetzung der Vollziehung angesehen werden (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 114 Anm. 1 D; Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 6. Aufl., § 80 Anm. 11, jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen). Es ist jedoch nicht möglich, die Entscheidung des FG in eine solche über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung umzudeuten und hierüber im Beschwerdeverfahren zu entscheiden; dem steht schon Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs über die beschränkte Zulässigkeit von Beschwerden gegen Entscheidungen über die Aussetzung der Vollziehung entgegen (vgl. BFH-Beschluß vom 29. September 1982 VII B 27/82, NV). Der Senat muß die angefochtene Entscheidung deswegen aufheben und die Sache, wie auch im Beschwerdeverfahren zulässig, zur erneuten Entscheidung an das FG zurückverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Das FG wird nunmehr prüfen müssen, ob an der rechtlichen Beurteilung des FA, daß die Klägerin mangels Gewinnerzielungsabsicht keinen Gewerbebetrieb unterhielt und deshalb eine einheitliche Gewinnfeststellung nicht in Betracht kommt, ernstliche Zweifel bestehen oder ob die Vollziehung eine für den Betroffenen unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte mit sich bringt. Das FG wird bei der Beurteilung der Sachfrage den Beschluß des Großen Senats vom 25. Juni 1984 GrS 4/82 (BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751) berücksichtigen können. Einer Beiladung der Gesellschafter bedarf es im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nicht (BFH-Beschluß vom 10. August 1978 IV B 41/77, BFHE 125, 356, BStBl II 1978, 584).

 

Fundstellen

Haufe-Index 415320

BFH/NV 1988, 377

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