Entscheidungsstichwort (Thema)

NZB: Nachträgliche Anteilsveräußerung zu einem Preis erheblich unter dem Schätzwert nach dem Stuttgarter Verfahren

 

Leitsatz (NV)

  1. Die Frage, wann die Schätzung des gemeinen Werts nicht notierter Anteile an Kapitalgesellschaften nach dem Stuttgarter Verfahren zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt, ist einer abstrakten Beantwortung nicht zugänglich und nur für den konkreten Einzelfall zu beantworten.
  2. Die Frage, ob ein offensichtlich unzutreffendes Ergebnis dann vorliegt, wenn die bewerteten Anteile nur zu einem Preis verkauft werden konnten, der den nach dem Stuttgarter Verfahren geschätzten Wert erheblich unterschreitet, ist nicht klärungsbedürftig. Sie ist nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG ohne weiteres zu verneinen.
 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2; BewG § 11 Abs. 2 S. 2

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist Alleinerbin ihres 1998 verstorbenen Ehemanns. Die Eheleute waren je zur Hälfte an der 1987 gegründeten X-GmbH (GmbH) beteiligt, die mit einem Stammkapital von 100 000 DM ausgestattet war. Im April 1997 veräußerten sie ihre Geschäftsanteile zu einem Gesamtpreis von 7 442 452 DM an einen Dritten. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) stellte nach einer Außenprüfung den gemeinen Wert der Anteile auf den 31. Dezember 1993, 1994 und 1995 gesondert und einheitlich auf 18 239 DM, 24 696 DM bzw. 14 564 DM je 100 DM des Stammkapitals fest.

Einspruch und Klage, mit denen zunächst die Eheleute und sodann die Klägerin zugleich als Alleinerbin nach ihrem Ehemann geltend gemacht hatte(n), die Anteilsbewertung nach dem sog. Stuttgarter Verfahren führe im Streitfall zu untragbaren Ergebnissen, wie der tatsächlich erzielte Verkaufserlös zeige, blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) maß dem Vortrag der Klägerin, die Eheleute hätten sich bereits seit Frühsommer 1994 um einen Verkauf ihrer Anteile bemüht und dabei zunächst einen Kaufpreis von 20 Mio. DM und später von 15 Mio. DM gefordert, diesen Preis aber trotz ernsthafter Kaufinteressenten nicht durchsetzen können, keine rechtliche Bedeutung zu. Es führte zur Begründung aus, Anteilsverkäufe, die nach dem Bewertungsstichtag vorgenommen worden seien, hätten gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) außer Betracht zu bleiben. Besondere Umstände, aufgrund deren das Stuttgarter Verfahren im Streitfall ausnahmsweise zu nicht tragbaren, offensichtlich unrichtigen Ergebnissen führt, seien nicht gegeben. Der nachträglich für die Anteile tatsächlich erzielte Verkaufserlös stelle keinen derartigen Umstand dar. Dem stehe ebenfalls § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG entgegen, wonach der Anteilswert unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten zu schätzen sei. Daher sei auch die sog. EBIT-Methode, auf deren Grundlage der Käufer der Anteile den Unternehmenswert der GmbH nach dem Vortrag der Klägerin ermittelt haben soll, keine zulässige Schätzmethode.

Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin geltend, der Sache komme grundsätzliche Bedeutung wegen der Rechtsfrage zu, wann die Schätzung des gemeinen Werts nicht notierter Anteile an Kapitalgesellschaften nach dem Stuttgarter Verfahren zu nicht mehr tragbaren Ergebnissen führt und ob dies insbesondere dann der Fall sei, wenn die Anteile tatsächlich nur zu einem Preis hätten verkauft werden können, der den nach dem Stuttgarter Verfahren ermittelten Wert erheblich unterschreite. Eine Entscheidung dieser Rechtsfragen durch den Bundesfinanzhof (BFH) sei auch nach Wegfall der gesonderten und einheitlichen Anteilsbewertung noch zur Fortbildung des Rechts erforderlich, weil das Stuttgarter Verfahren nach wie vor bei der Anteilsbewertung für Erbschaftsteuerzwecke Anwendung finde. Darüber hinaus diene es der Herstellung einer einheitlichen Rechtsprechung des BFH, wenn geklärt würde, ob und wann Bescheide, die auf weit überzogenen Schätzungen beruhen, nichtig sind. Schließlich rügt die Klägerin Verfahrensmängel, und zwar mangelnde Sachaufklärung, die Nichtberücksichtigung entscheidungserheblichen Vorbringens sowie teilweise fehlende Entscheidungsgründe. Das FG habe sich nicht auf die allgemeine Eignung des Stuttgarter Verfahrens als Schätzmethode zurückziehen und den für die mangelnde Eignung im Streitfall sprechenden Sachvortrag übergehen dürfen. Hätte das FG seiner Pflicht nach § 96 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genügt, das Gesamtvorbringen der Klägerin zu würdigen, wäre es nicht zu einer völligen Klageabweisung gelangt. Zumindest hätte es die als Zeugen benannten Personen, die die Eheleute bei den Verkaufsverhandlungen beraten hätten, vernehmen müssen. Sie hätten bestätigt, dass zu keinem der streitigen Stichtage eine reale Chance bestanden habe, die Anteile zu einem Preis zu verkaufen, der den festgestellten Anteilswerten auch nur annähernd entsprochen hätte. In dem Schweigen des FG zu der Untragbarkeit des Schätzungsergebnisses sowie dazu, wie die mangelnde Durchsetzbarkeit eines Preises annähernd in Höhe der festgestellten Werte am Markt zu erklären sei, sei ein teilweises Fehlen von Entscheidungsgründen zu sehen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen sind weder von grundsätzlicher Bedeutung noch dient ihre Beantwortung durch eine Entscheidung des BFH der Rechtsfortbildung oder einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 1 Nr. 1 und 2 FGO).

a) Die Frage, wann die Schätzung des gemeinen Werts nicht notierter Anteile an Kapitalgesellschaften nach dem Stuttgarter Verfahren zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt, ist einer abstrakten Beantwortung nicht zugänglich und nur für den konkreten Einzelfall zu beantworten. Dem hat die Klägerin bereits selbst dadurch Rechnung getragen, dass sie die Frage dahin präzisiert hat, ob ein offensichtlich unzutreffendes Ergebnis dann vorliegt, wenn die bewerteten Anteile tatsächlich nur zu einem Preis hätten verkauft werden können, der den nach dem Stuttgarter Verfahren festgestellten Wert erheblich unterschreitet. Die solchermaßen auf die Umstände des Streitfalls zugeschnittene Frage ist jedoch nicht klärungsbedürftig. Sie ist nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG ohne weiteres zu verneinen. Die Grenzen möglicher Ausnahmen sind bereits höchstrichterlich geklärt. Eine Revisionsentscheidung ist daher zur Rechtsfortbildung nicht erforderlich.

aa) Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG ist der gemeine Wert nicht notierter Anteile an Kapitalgesellschaften dann, wenn er sich nicht aus Verkäufen ableiten lässt, die weniger als ein Jahr zurückliegen, unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft zu schätzen. Damit ist eine Berücksichtigung von Verkäufen, die nach dem Bewertungsstichtag stattgefunden haben, kraft Gesetzes ausgeschlossen (vgl. BFH-Urteil vom 30. Januar 1976 III R 74/74, BFHE 118, 234, BStBl II 1976, 280). Zwar schränkt das Gesetz nur die Ableitung des gemeinen Werts auf vor dem Stichtag gelegene Verkäufe ein; verprobte man aber die Ergebnisse einer als nachrangig (BFHE 118, 234, BStBl II 1976, 280, unter 1.) vorgeschriebenen Schätzung mittels späterer Verkäufe, liefe dies auf eine Ableitung des gemeinen Werts aus eben diesen Verkäufen hinaus.

bb) Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass nach dem Stichtag getätigte Anteilsverkäufe nicht zu berücksichtigen sind, hat die Rechtsprechung lediglich für solche Sachverhalte zugelassen, bei denen zwar der eigentliche Vertragsabschluss nach dem Bewertungsstichtag stattfand, die Einigung über den Kaufpreis aber bereits vorher herbeigeführt worden war. Allerdings muss dabei der Vertragsabschluss "kurz" nach dem Bewertungsstichtag erfolgt sein, worunter eine nach Wochen zu bemessende Zeitspanne zu verstehen ist (vgl. BFH in BFHE 118, 234, BStBl II 1976, 280, unter 4., sowie vom 2. November 1988 II R 52/85, BFHE 155, 121, BStBl II 1989, 80, unter 2. b).

b) Auch soweit die Klägerin eine Revisionsentscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu der Frage für erforderlich hält, ob und wann Bescheide, die auf "weit überzogenen Schätzungen" beruhen, nichtig sind, ist die Beschwerde zumindest unbegründet. Es ist höchstrichterliche Rechtsprechung, dass selbst grobe Schätzfehler nicht zur Nichtigkeit des Schätzungsbescheides führen (vgl. BFH-Entscheidungen vom 14. April 1989 III B 5/89, BFHE 156, 376, BStBl II 1990, 351, sowie vom 1. Oktober 1992 IV R 34/90, BFHE 169, 503, BStBl II 1993, 259), und zwar selbst dann nicht, wenn sie auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen. Lediglich bei reinen Willkürmaßnahmen ist der darauf beruhende Bescheid nichtig. Im Anschluss an diese Rechtsprechung hat der BFH mittlerweile in der Sache, die dem Urteil des FG des Landes Brandenburg vom 27. Januar 1999 2 K 1760/97 U zugrunde lag, mit Urteil vom 15. Mai 2002 X R 34/99 (vgl. dazu Anm. zu dem Urteil des BFH vom 15. Mai 2002 X R 33/99, BFH/NV 2002, 1415) entschieden, dass eine willkürliche Schätzung nicht nur dann vorliegt, wenn sie bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen vorgenommen worden ist, sondern auch dann, wenn das Schätzungsergebnis trotz vorhandener Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären und Schätzungsgrundlagen zu ermitteln, krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht und in keiner Weise erkennbar ist, dass überhaupt und ggf. welche Schätzungserwägungen angestellt wurden. Ein Mehr an abstrakten Rechtsaussagen zu dieser von der Klägerin aufgeworfenen Frage ist von einer Revisionsentscheidung im Streitfall nicht zu erwarten. Die Anwendung des Stuttgarter Verfahrens zur Ermittlung des gemeinen Werts nicht notierter Anteile an Kapitalgesellschaften erfüllt im Übrigen im Streitfall auch nicht die solchermaßen objektivierten Voraussetzungen einer willkürlichen Schätzung.

2. Die gerügten Verfahrensfehler liegen nicht vor.

a) Die Rüge mangelnder Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) greift schon deshalb nicht durch, weil die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung vom materiellen Rechtsstandpunkt des FG aus zu beurteilen ist (vgl. BFH-Urteil vom 10. Mai 1990 V R 17/85, BFH/NV 1991, 201). Die Aufklärungsrüge dient nicht der Durchsetzung der eigenen, von der Auffassung der Vorinstanz abweichenden materiellen Rechtsauffassung eines Beschwerdeführers. Das FG war der materiellen Rechtsauffassung, dass mangels eines vorangegangenen Verkaufs von Anteilen der GmbH deren gemeiner Wert zwingend unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten zu schätzen war, dass eine Schätzung nach dem dafür von der Rechtsprechung als geeignete Schätzungsmethode anerkannten Stuttgarter Verfahren durchzuführen ist und dass der dabei gefundene Anteilswert wegen der gesetzlichen Vorgaben des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG nur ausgehend vom Vermögen und den Ertragsaussichten der GmbH als offensichtlich unzutreffend angegriffen werden kann. Auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung brauchte das FG die Vorgänge um die Verkaufsbemühungen der Eheleute nicht weiter aufzuklären. Die Auffassung des FG stimmt im Übrigen mit der verbreiteten Ansicht überein, dass die schwere Verkäuflichkeit der Anteile für sich allein nicht wertmindernd zu berücksichtigen ist (so Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Stand April 2002, § 11 BewG Anm. 278; Rössler/Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Stand Februar 2002, § 11 BewG Anm. 77).

b) Auch ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO, wonach das Gericht nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu urteilen hat, liegt nicht vor. Der Mangel ist nur gegeben, wenn er nach der materiellen Rechtsauffassung des FG für dessen Urteil ursächlich gewesen ist. Dies war hier aber aus denselben Gründen nicht der Fall, aus denen bereits die Aufklärungsrüge nicht durchgreifen konnte.

c) Die Rüge, das angegriffene Urteil sei teilweise nicht mit Gründen versehen, hat ebenfalls keinen Erfolg. An fehlenden Gründen leidet eine Entscheidung, die den Beteiligten keine Überprüfung ermöglicht, weil nicht erkennbar ist, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Erwägungen sie beruht (BFH-Urteil vom 26. Juni 1975 IV R 122/71, BFHE 116, 540, BStBl II 1975, 885, sowie BFH-Beschluss vom 12. Juli 1994 VII R 2/94, BFH/NV 1995, 230). Dies ist der Fall, wenn Gründe gänzlich fehlen oder ein eigenständiger Klagegrund oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen worden ist (BFH-Beschluss in BFH/NV 1995, 230). Das Fehlen der Gründe ist abzugrenzen gegen unvollständige oder unzureichende Gründe, bei denen lediglich auf einzelne Argumente der Beteiligten nicht eingegangen worden ist. Bei der Frage, weshalb ein Preis annähernd in Höhe der festgestellten Anteilswerte am Markt nicht durchsetzbar gewesen sei, handelt es sich aber nicht um ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel i.S. der zitierten Rechtsprechung, zumal die Klägerin selbst ausgeschlossen hat, dass sich die günstige Ertragssituation nach dem Bewertungsstichtag wesentlich verschlechtert habe.

 

Fundstellen

Haufe-Index 958718

BFH/NV 2003, 1150

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