Entscheidungsstichwort (Thema)

Unrichtige Datumsangabe auf der Zustellungsurkunde

 

Leitsatz (NV)

1. Beurkundet der Postbedienstete (versehentlich) ein falsches Zustelldatum in der Zustellurkunde, werden die in §9 Abs. 2 VwZG genannten Fristen auch dann nicht in Lauf gesetzt, wenn das Zustelldatum ein offensichtlich unzutreffendes Zustellungsjahr ausweist.

2. Die Rechtsfrage, ob Refinanzierungszinsen, die zur Finanzierung von Entnahmen aufgewendet worden sind, als Betriebsausgaben abzugsfähig sind, wenn das negative Kapitalkonto des Gesellschafters durch stille Reserven gedeckt ist, ist durch den Beschluß des Großen Senats des BFH vom 4. Juli 1990 GrS 2--3/88 (BFHE 161, 290; BStBl II 1990, 817) und die Folgerechtsprechung des BFH geklärt.

3. Maßgeblich für das Vorliegen einer Divergenz ist stets der aktuelle Stand der BFH- Rechtsprechung.

 

Normenkette

VwZG § 3 Abs. 3, § 9 Abs. 2; ZPO § 195 Abs. 2; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2; EStG § 4 Abs. 4

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, die auf einem von der S-Grundstücksverwaltungs- GbR (GbR) gepachteten Grundstück einen Textileinzelhandel betreibt. Der Kommanditist P ist an der GbR zu 6/7 und an der GmbH zu 90 v. H. beteiligt. Der Buchwert des Grundstücks nebst Gebäude betrug 163 834 DM, der Verkehrswert des in den Streitjahren unbelasteten Grundstücks belief sich auf mehrere Millionen DM.

Lt. Gesellschaftsvertrag werden die Kapitalkonten der Gesellschafter als Festkonten, dazu wird ein Rücklagenkonto (Darlehen I) dem 15 v. H. des auf den Kommanditisten entfallenden Jahresgewinns zuzuführen sind, geführt. Eintretende Verluste werden auf Verlustausgleichskonten, Forderungen und Verbindlichkeiten der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft auf besonderen Forderungskonten (Darlehen II) dargestellt. Die Forderungskonten (auf Darlehen II) sind mit 7 v. H. p. a. zu verzinsen.

Die Forderungen der Klägerin an den Kommanditisten, die die Guthaben auf dem Rücklagenkonto in den Streitjahren erheblich überstiegen, sind durch fortlaufende Privatentnahmen entstanden. Für die an den Kommanditisten ausgereichten Mittel (Darlehenskonto II) entstanden der Klägerin in den Streitjahren 1985 bis 1990 jährliche Refinanzierungszinsen, die sich anteilig aus den Wechsel- und Kontokorrentverbindlichkeiten der Klägerin und den daraus entstandenen Sollzinsen ergeben.

Das Finanzgericht (FG) folgte im Klageverfahren der vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) vertretenen Auffassung, daß die der Klägerin durch die Refinanzierung der von dem Kommanditisten getätigten Entnahmen verursachten Schuldzinsen nicht als Betriebsausgaben zu berücksichtigen seien.

Das Urteil des FG vom 18. Juni 1996 wurde der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin durch Übergabe an eine in deren Geschäftsräumen anwesende Angestellte zugestellt. Die Postzustellungsurkunde weist als Zustellungsdatum den 19. Juli 1997 -- eine offensichtlich falsche Jahreszahl -- aus.

Am 20. Dezember 1996 erhob der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht er geltend, die Beschwerdefrist habe wegen des Zustellungsmangels eines unzutreffenden Datums auf der Postzustellungsurkunde gemäß §9 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) nicht zu laufen begonnen. Hilfsweise werde die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beantragt. Die Nichtzulassungsbeschwerde wird auf grundsätzliche Bedeutung und Divergenz gestützt.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist fristgerecht erhoben worden, sie ist jedoch nicht begründet.

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht verspätet eingelegt worden. Die Beschwerdefrist war am 20. Dezember 1996 infolge nicht ordnungsgemäßer Zustellung noch nicht abgelaufen (§9 Abs. 2 VwZG).

Nach §115 Abs. 3 Satz 1 FGO ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen. Diese Frist ist durch die Angabe eines falschen Zustellungsdatums auf der Postzustellungsurkunde nicht in Lauf gesetzt worden (§§104 Abs. 1 Satz 2, 53 Abs. 2, 115 Abs. 3 Satz 1 FGO, §§3 Abs. 3, 9 Abs. 2 VwZG, §195 Abs. 2 Satz 2 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --). Die in §104 Abs. 1 Satz 2 FGO angeordnete Zustellung des Urteils richtete sich nach den Vorschriften des VwZG (§53 Abs. 2 FGO). Erfolgt die Zustellung nach §3 VwZG durch die Post mit Zustellungs urkunde, hat der Postbedienstete u. a. dem Zustellungsempfänger eine Abschrift der Zustellungsurkunde zu übergeben oder auf der Zustellungsurkunde den Tag der Zustellung zu vermerken (§3 Abs. 2 und 3 VwZG i. v. m. §195 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Das Erfordernis ist zwingend (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 13. Januar 1987 VII R 147, 148, 150/84, BFHE 148, 542, BStBl II 1987, 272, 273; Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 9. November 1976 GemS- OGB 2/75, BFHE 121, 1, 4, BStBl II 1977, 275).

Fehlt die Datumsangabe oder beurkundet der Postbedienstete (versehentlich) ein falsches Zustelldatum in der Zustellungsurkunde, so ist die -- sonst ordnungsgemäße -- Zustellung zwar wirksam, der in der Verletzung der Erfordernisse des §3 Abs. 3 VwZG liegende Zustellungsmangel führt jedoch dazu, daß die in §9 Abs. 2 VwZG genannten Fristen nicht in Lauf gesetzt werden (ständige Rechtsprechung, Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes in BFHE 121, 1, 4, BStBl II 1977, 275; BFH-Urteile vom 13. November 1991 X R 48/91, BFHE 166, 367, BStBl II 1992, 351; vom 29. Oktober 1986 I R 2/83, BFHE 148, 404, BStBl II 1987, 223, 224, und in BFHE 148, 542, BStBl II 1987, 272, m. w. N.). Dem Fehlen jeder Datumsangabe steht gleich, wenn das dem Bekanntgabeempfänger übergebene Schriftstück zwar mit einer Datumsangabe versehen, diese aber unleserlich ist und damit Zweifel über den Tag der Zustellung aufkommen läßt (BFH-Urteil vom 28. Juni 1995 II R 36/94, BFH/NV 1996, 170; vgl. auch Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 12. Juni 1986 IX ZB 39/86, Der Betrieb -- DB -- 1986, 1920). Das gilt auch, wenn das vermerkte Zustelldatum offensichtlich falsch ist, es sei denn, der Postbedienstete hat das von ihm (versehentlich) falsch beurkundete Zustelldatum sofort an Ort und Stelle berichtigt (vgl. dazu BFH- Beschluß vom 26. September 1985 IX B 11/83, BFH/NV 1986, 224, 225).

Im Streitfall liegt ein solcher Zustellungsmangel vor. Die Postzustellungsurkunde weist als Zustelldatum die offensichtlich unrichtige Jahreszahl 1997 aus. Der Annahme eines Zustellungsmangels steht nicht entgegen, daß das vom Postbediensteten beurkundete Zustellungsjahr 1997 noch gar nicht begonnen hatte und die Zustellung unter diesem Datum unter keinen Umständen erfolgt sein konnte (a. A. Hessisches FG, Urteil vom 17. März 1987 7 K 31/87, Entscheidungen der Finanzgerichte 1988, 51). Denn aus dem Schriftstück ergibt sich der richtige Zustellungstag nicht. Damit sind Zweifel über den zutreffenden Zustelltag nicht ausgeschlossen. Die objektive Unrichtigkeit des Zustellvermerks auf der Zustellungsurkunde führt dazu, daß dem Zweck der Bestimmung des §3 Abs. 3 VwZG i. V. m. §195 Abs. 2 ZPO, dem Empfänger eindeutig Aufschluß über den Zustelltag zu geben, nicht genügt ist (vgl. BFH/NV 1996, 170, 171). Damit treten die Rechtsfolgen ein, die §9 VwZG an die Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften knüpft (vgl. BFHE 148, 404, BStBl II 1987, 223, 224). Daß aus außerhalb des Beurkundungsvorganges liegenden Umständen, wie dem Eingangsstempel des FG auf der rückgeleiteten Postzustellungsurkunde und der Angabe des Zugangsdatums in der Beschwerdeschrift der Rückschluß auf das tatsächliche Zustelldatum möglich ist, heilt den Zustellungsmangel nicht (vgl. §9 Abs. 2 VwZG; BFHE 148, 542, BStBl II 1987, 272, 273).

Die am 20. Dezember 1996 beim FG eingegangene Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist somit fristgerecht. Eine Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erübrigt sich damit.

2. Der Senat kann offenlassen, ob die Beschwerde möglicherweise aus anderen Gründen ganz oder zum Teil unzulässig ist (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 11. Februar 1987 II B 140/86, BFHE 148, 494, BStBl II 1987, 344). Sie ist jedenfalls unbegründet.

a) Grundsätzliche Bedeutung der Rechts sache liegt nicht vor. Die Frage, ob Refinanzierungszinsen, die zur Finanzierung von Entnahmen aufgewendet worden sind, als Betriebsausgaben abzugsfähig sind, wenn das negative Kapitalkonto eines Gesellschafters durch stille Reserven gedeckt ist, ist durch den Beschluß des Großen Senats des BFH vom 4. Juli 1990 GrS 2--3/88 (BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817) und die daran anschließende Folgerechtsprechung des BFH geklärt. Der Beschluß in BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817 stellt unter C. II. der Gründe ausdrücklich klar, daß Schuldzinsen für ein Darlehen nur dann als Betriebsausgaben abgezogen werden können, wenn sie für eine Verbindlichkeit geleistet werden, die durch den Betrieb veranlaßt ist und deshalb zum Betriebsvermögen gehört. Der Große Senat führt dazu aus: "Aus dem für die Zuordnung von Schulden zur Einkunftssphäre maßgeblichen Kriterium des tatsächlichen Verwendungszwecks eines Kredites ergibt sich schließlich, daß es für das Vorliegen eines solchen Zusammenhangs unbeachtlich ist, ob der Steuerpflichtige mit Darlehen finanzierte Aufwendungen auch durch eigene Mittel hätte bestreiten können oder ob der Betrieb über aktives Betriebsvermögen oder stille Reserven verfügt, die zur Deckung der Betriebsschulden herangezogen werden könnten" (BFH in BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 217, unter C. II. 3. e der Gründe).

So ist die Entscheidung in der Literatur (vgl. Groh, DB 1992, 444, und Schmidt/Heinike, Einkommensteuergesetz, 16. Aufl., §4 Rdnr. 241 und 520 "Schuldzinsen", m. w. N.) verstanden und in der Folgerechtsprechung des BFH angewandt und konkretisiert worden (vgl. BFH-Urteile vom 8. November 1990 IV R 127/86, BFHE 163, 530, BStBl II 1991, 505; vom 15. Mai 1991 III R 121/86, BFH/NV 1991, 809; vom 21. Februar 1991 IV R 46/86, BFHE 163, 551, 553, BStBl II 1991, 514; vom 27. Juni 1996 IV R 80/95, BFHE 181, 148, BStBl II 1997, 36; vom 15. November 1990 IV R 20/89, BFH/NV 1991, 731). In der Entscheidung vom 5. März 1991 VIII R 93/84 (BFHE 164, 46, BStBl II 1991, 516) hat der erkennende Senat die vom Großen Senat für den Einzelunternehmer ausgesprochenen Grundsätze auf die Personen gesellschaft übertragen und bestätigt, daß Schuldzinsen nur dann durch den Betrieb der Gesellschaft veranlaßt sind (§4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes -- EStG --), wenn die Darlehensmittel der Finanzierung betrieblich veranlaßter Aufwendungen und nicht der Finanzierung von Entnahmen dienen. Von diesen Grundsätzen ist das FG ausgegangen. Nach den Feststellungen des FG dienten die Darlehensmittel tatsächlich nicht der Finanzierung betrieblich veranlaßter Aufwendungen, sondern privater Entnahmen. Darauf, ob die in den Wirtschaftsgütern des Betriebes oder des Gesellschafters ruhenden stillen Reserven die Schuldaufnahme abgedeckt hätten, kommt es nach der mit dem Beschluß des Großen Senats in BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817 und durch BFHE 164, 46, BStBl II 1991, 516 fortentwickelten (neueren) Rechtsprechung des BFH nicht an. Damit ist auch die eine andere Rechtsauffassung vertretende Entscheidung des BFH vom 11. Dezember 1987 III R 260/84 (BFH/NV 1988, 359) überholt.

Etwas Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus den Vorlagebeschlüssen des BFH vom 28. Juni 1995 XI R 34/93 (BFHE 178, 395, BStBl II 1995, 877, 879 unter C. 3. der Gründe) und vom 19. Juli 1995 X R 48/94 (BFHE 178, 405, BStBl II 1995, 882 unter IV. 4.), die auch für die Finanzierung über das Zwei-/Dreikontenmodell vom Veranlassungsprinzip ausgehen und lediglich für die Entnahme von Betriebseinnahmen und die anschließende Fremdfinanzierung später entstandener Betriebsausgaben unterschiedliche Gestaltungen für zulässig erachten. Ein damit vergleichbarer Sachverhalt liegt im Streitfall nach den Feststellungen des FG nicht vor.

b) Danach ist es ohne Bedeutung, ob das FG-Urteil von dem BFH-Urteil in BFH/NV 1988, 359 abweicht. Diese Abweichung könnte nicht zur Zulassung der Revision führen. Maßgeblich für das Vorliegen einer Divergenz ist stets der aktuelle Stand der BFH-Rechtsprechung. Frühere Entscheidungen, die durch die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung überholt sind, können nicht zur Begründung der Divergenz herangezogen werden (vgl. Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §115 Rdnr. 19, m. w. N.; BFH-Beschluß vom 9. November 1994 II B 142/93, BFH/NV 1995, 489).

 

Fundstellen

Haufe-Index 66732

BFH/NV 1998, 28

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